Beinahe drei Jahre nachdem sich die zehn Meter hohe Flutwelle der Ahr durch das enge Tal wälzte, sind die Spuren und Narben der zerstörerischen Wucht noch immer zu sehen. Sie liegen offen da. Wenn Kinder zur Schule oder in den Kindergarten gehen, dann lernen und spielen sie vielerorts in Containerbauten. Der Verkehr läuft über provisorische Brücken. Bürgermeister und Beamte sitzen in Behelfsbauten aus Blech, um den Aufbau zu planen.
Staatssekretäre übergeben nach wie vor Fördermittelbescheide, damit Bolzplätze und Schwimmbäder wiederhergestellt werden. Bis es so weit ist, werden weitere Jahre vergehen. Das Ahrtal ist eine Baustelle. Immerhin sollen die Züge bis Ende 2025 wieder auf der kompletten Strecke rollen.
Die Ämter kommen nicht hinterher
Das Hochwasser in Bayern und Baden-Württemberg hat auch große Schäden angerichtet, die Wassermassen erreichten aber nicht die Wucht wie seinerzeit die Sturzflut der Ahr. Trotzdem lassen sich einige Rückschlüsse ziehen, worauf es jetzt beim Wiederaufbau ankommt. „Die Verwaltungen sind vollkommen überlastet mit den Baugenehmigungen“, sagt Mechthild Heil. Sie ist nicht nur die Abgeordnete (CDU) für den damals von der Katastrophe heimgesuchten Wahlkreis Ahrweiler, sondern auch Architektin. Bauen ist ihr Spezialgebiet.
Die Union hatte Ende April dieses Jahres im Bundestag einen Antrag eingebracht, um die Förderung einzelner Projekte durch die bereitgestellten Sondertöpfe zum Wiederaufbau zu vereinfachen. Mit der Mehrheit der Ampelkoalition wurde der abgeschmettert. Ein Blick auf die Zahlen zeigt, wie schleppend die Fördergelder abgerufen werden. Aus dem mit 30 Milliarden Euro gefüllten Wiederaufbaufonds waren Ende 2023 gerade einmal 3,3 Milliarden Euro abgerufen. „Geld ist immer noch da, es kommt nur nicht an“, beklagt Heil.
Der Flaschenhals sind aber nicht nur die Amtsstuben, es mangelt auch an Gutachtern und Handwerkern. Ein Klassiker des deutschen Bürokratismus ist der Denkmalschutz. In dem Dorf Rech wurde beispielsweise zwei Jahre darüber debattiert, ob die 300 Jahre alte Nepomukbrücke erhalten oder abgerissen werden soll.
Die Flüsse brauchen mehr Platz
Viel Steuergeld allein sorgt also nicht für eine zügige Beseitigung der Schäden, wenn der Staatsapparat in seinen gewohnten Bahnen arbeitet. Sensibel ist die Frage, ob stark beschädigte Häuser an den Ufern der Flüsse wieder hergerichtet oder abgerissen werden sollten. Eine der zentralen Empfehlungen von Wissenschaftlern, die die Ahr-Katastrophe aufgearbeitet haben, ist, den Gewässern mehr Platz zu geben. „Siedlungsrückzug bietet sich vor allem in der Wiederaufbauphase dort an, wo ohnehin Strukturen geschädigt oder zerstört sind“, lautet eine der Kernthesen der Forscher des sogenannten KAHR-Projekts. Im Ahrtal hat man anders entschieden. Bis auf drei Dutzend Häuser dürfen die zerstörten Gebäude wieder an ihrem alten Fleck errichtet werden.
Ein Hochwasser reißt aber nicht nur an Mauern, sondern auch an den betroffenen Menschen, belastet sie stark. Die KAHR-Wissenschaftler befragten 500 schwer gezeichnete Haushalte im Landkreis Ahrweiler, was die Flut und der Verlust ihrer Existenz in ihrer Psyche angerichtet hat. Knapp 30 Prozent zeigten ein Jahr nach den schrecklichen Tagen Anzeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Die ohnehin knappen Therapieplätze werden nicht ausreichen, um den nach einer Katastrophe steigenden Bedarf decken zu können. „Die Menschen aus dem Ahrtal können Bilder von Hochwassern gar nicht sehen, da ist sofort alles wieder da. Das hinterlässt Wunden in Herzen und Köpfen“, sagt Mechthild Heil. Weil das Wasser in Bayern und Baden-Württemberg nicht so verheerend gewütet hat wie in ihrer Heimat, hofft die Politikerin aber, dass der Wiederaufbau im Süden schneller gelingt. Kraft gebe den Leuten noch heute, dass die Hilfsbereitschaft in ganz Deutschland groß war. „Da sind Freundschaften entstanden, die halten bis heute.“