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Analyse: Warum die Österreicher nicht in die Nato wollen

Analyse

Warum die Österreicher nicht in die Nato wollen

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    Bundeskanzler Karl Nehammer in der österreichischen Botschaft in Moskau: Selbst nach Kriegsbeginn in der Ukraine traf sich der konservative Politiker noch mit Wladimir Putin.
    Bundeskanzler Karl Nehammer in der österreichischen Botschaft in Moskau: Selbst nach Kriegsbeginn in der Ukraine traf sich der konservative Politiker noch mit Wladimir Putin. Foto: Dragan Tatic, dpa

    Die schöne Landschaft, die Alpen, Mozarts Musik, Kultur und Tradition, das Erbe der Habsburgermonarchie – und die Neutralität. Das bekommt man zu hören, wenn man Österreicherinnen und Österreicher fragt, was ihr Land eigentlich ausmacht. Die „immerwährende Neutralität“ ist seit der Nachkriegszeit und der Unabhängigkeit 1955 durch den Staatsvertrag mehr als nur militärische Bündnisfreiheit: Sie ist Bezugspunkt der kollektiven Identität und des nationalen Selbstverständnisses. Den 26. Oktober, der Tag der Unterzeichnung des Neutralitätsgesetzes im Verfassungsrang, feiern die Österreicher als Nationalfeiertag. Diskussionen, ob diese Neutralität noch zeitgemäß, oder ohnehin durch den EU-Beitritt und diverse militärische Kooperationen und Engagements längst überholt sei, kommen ebenso regelmäßig auf, wie sie wieder verschwinden.

    Der russische Angriffskrieg in der Ukraine und vor allem die Nato-Beitrittsgesuche von Schweden und Finnland haben die Diskussion nun von Neuem angeheizt – doch ÖVP-Bundeskanzler Nehammer erklärte die Debatte gleich wieder für beendet. Rund 75 Prozent der Österreicher, das zeigen aktuelle Umfragen, lehnen die Nato ab. Dass sich trotz Putins Krieg die Zustimmung zur Neutralität nicht verändert hat, liegt wohl auch an einem simplen geografischen Faktum: Die Alpenrepublik ist mit Ausnahme der neutralen, aber hochgerüsteten Schweiz und dem kleinen Liechtenstein, gänzlich von Nato-Staaten umgeben. Österreich sei ein Nato-„Trittbrettfahrer“, das ist auch in der öffentlichen Debatte immer öfter zu hören. Außer der Alpenrepublik sind innerhalb der Europäischen Union nur mehr das kleine Malta, Zypern und Irland nicht bereit, sich dem Verteidigungsbündnis anzuschließen.

    Das rückt Österreich und seine Verteidigungspolitik in den Fokus. Nachbarn wie Tschechien würden es gerne sehen, wenn man sich der Nato anschließen würde – was Kanzler Nehammer bei seinem Besuch in Prag Mitte Mai aber ausdrücklich ausschloss. Ob die Debatte um Wiens Rolle damit so einfach erledigt ist, muss sich aber erst zeigen.

    Der Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens zwingt Österreich zu einer Entscheidung

    Der jetzt von Finnland und Schweden initiierte Nato-Beitritt erhöht nicht nur den Druck mancher EU-Staaten auf Österreich, sondern zwingt das Land auch zu einer wesentlichen Entscheidung: Welchen Beitrag soll Österreich zu einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur leisten? Was tun auf Basis der Neutralität?

    Warum selbst der nur wenige hunderte Kilometer von Österreichs Ostgrenze entfernte Krieg die Stimmung im Land nicht wesentlich zu verändern vermag, das kann Oliver Rathkolb erklären. Anders als in Schweden, Finnland oder der Schweiz, sagt der renommierte Zeithistoriker und Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien, habe die Verpflichtung zur militärischen Landesverteidigung, die die Neutralität mit sich bringt, in Österreich immer im Hintergrund gestanden. „Durch die intensiven internationalen Aktivitäten des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky in den 70er Jahren ist die Neutralität zu einer Visitenkarte Österreichs am internationalen Parkett geworden.“ Neutralität, sagt Rathkolb, würden die Österreicher vor allem „mit Wohlstand, Fortschritt und sozialer Sicherheit“ assoziieren – und eben kaum mit militärischer Selbstverteidigung.

    Die ÖVP-FPÖ-Koalition versuchte in den Nullerjahren erfolglos, Österreich auf Nato-Kurs zu bringen

    Rathkolb weist darauf hin, dass schon in den Nullerjahren die Versuche der damaligen ÖVP-FPÖ-Koalition, die Neutralität politisch zu entsorgen und das Land auf Nato-Kurs zu bringen, „grandios gescheitert“ waren. Heute lehnt nicht nur die ÖVP Karl Nehammers, sondern praktisch jede Partei die Nato-Option ab. Nur die liberalen Neos wollen darüber diskutieren und drängen gleichzeitig auf eine europäische Armee. „Einen Nato-Beitritt zu fordern, gleicht für eine Partei einem politischen Selbstmord“, sagt der Historiker. Das weiß auch die FPÖ: Sie nutzt die Neutralitätsdebatte geschickt für ihren Pro-Russland-Kurs. Die Diskussion kommt den Rechtspopulisten, deren Parteichef Herbert Kickl sich vor die „Querdenker“ und Putin-Sympathisanten gestellt hat, gerade recht. Neutralität, so stellt es die extreme Rechte dar, das bedeute eben auch, die russische Seite zu verstehen. Auch das kommt bei vielen in Österreich gut an.

    Eine Uminterpretation der Neutralität im Sinne einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur, das hält Rathkolb derzeit noch nicht für möglich – obwohl durch den Vertrag von Lissabon und die dort geregelte gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie eine neue Verfassungsbestimmung längst die EU-Beistandspflicht in militärischen Konflikten akzeptiert worden sei. „Trotz des russischen Krieges fühlen sich die Österreicher zwar wirtschaftlich, nicht aber militärisch bedroht.“

    Österreich muss in die eigene Verteidigung investieren

    Will Österreich nicht weiter als sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer gelten, muss es seine eigene Verteidigung neu aufstellen – und Geld in die Hand nehmen. Viel Geld, denn das österreichische Bundesheer, das weiß auch Brigadier Philipp Eder, ist nicht verteidigungsfähig. Der Leiter der Abteilung Militärstrategie im Verteidigungsministerium zweifelt aber, ob tatsächlich ausreichend Mittel locker gemacht werden, um das zu ändern. Zehn Milliarden Euro will ÖVP-Verteidigungsministerin Klaudia Tanner kurzfristig locker machen, in fünf Jahren sollen 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung zur Verfügung stehen.

    Eders Aufzählung, was das Bundesheer an Waffen am dringendsten benötigen würde, verdeutlicht die angenommene Gefahrenlage: Aufklärungsgerät wie Drohnen bräuchte es, ebenso Investitionen in den Militärgeheimdienst, das Heeresnachrichtenamt. Zudem fehle eine moderne Luftabwehrtruppe, um Drohnen, Flugzeuge und Marschflugkörper abwehren zu können. „Notwendig ist auch irgendeine Form eines Raketenabwehrschirms“, sagt Eder. Cybersicherheit und Abwehr hybrider Bedrohung sei ein weiteres dringliches Handlungsfeld. Vor allem aber müsse Österreich endlich zurück zu einem funktionierenden Milizsystem. Verpflichtende Übungen der Miliz wurden 2006 auf freiwillige Teilnahme umgestellt. Das funktioniere nicht wirklich, sagt Eder.

    Ein riesiger Kostenfaktor ist die Luftraumsicherung: „Mit 1,5 Prozent des BIP können wir die Überwachung sicherstellen“, sagt Eder. Wenn der Luftraum auch selbst verteidigt werden soll, müssten es aber schon zwei Prozent des BIP sein. Die Verteidigung des Luftraums an einen anderen Staat abgeben? Nicht möglich, sagt Eder. Da könne sich Österreich auch nicht auf EU-Gesetze und Partnerschaften berufen. „Wenn man das will, dann ist die einfache Antwort: Dann müssten wir der Nato beitreten.“ Bleibt also nur die Erneuerung der Verteidigungsfähigkeit – im Alleingang.

    Die Zeit, in der sich Österreich auch militärisch als „Insel der Seligen“ zurücklehnen konnte, sind wohl vorbei.

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