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Analyse: Gabriel nimmt Katar in Schutz: Die SPD und ihre Lobby-Geschichten

Analyse

Gabriel nimmt Katar in Schutz: Die SPD und ihre Lobby-Geschichten

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    Sigmar Gabriel spricht sich zu einem heiklen Zeitpunkt für die Katar-WM aus.
    Sigmar Gabriel spricht sich zu einem heiklen Zeitpunkt für die Katar-WM aus. Foto: Britta Pedersen, dpa

    Er ist Ex-SPD-Chef, Ex-Minister und Ex-Vizekanzler: Doch für einen, der sich vor vier Jahren aus der aktiven Politik zurückgezogen hat, ist Sigmar Gabriel in der Öffentlichkeit noch sehr präsent. Seine aktiven Parteifreunde nervt das zunehmend, denn eigentlich wollen sie die SPD ja nach dem Scheitern ihrer langjährigen Russland-Politik nicht mehr in den Verdacht kommen lassen, mit fragwürdigen Regimen zu kuscheln. Doch ob es um Russland geht, China oder Katar: Werden Staaten in Deutschland für ihre Menschenrechtspolitik gescholten, einen Fürsprecher finden sie oft: Gabriel.

    So werden ohnehin schon heikle Fragen für die verantwortlichen Genossinnen und Genossen noch komplizierter zu beantworten. Etwa die, ob ihr Kanzler Olaf Scholz zur Fußball-Weltmeisterschaft nach Katar reisen sollte, um die deutschen Nationalspieler anzufeuern, wie Angela Merkel es 2014 in Brasilien tat. Wegen der Menschenrechtslage in dem gastgebenden Wüstenstaat lehnen zwei Drittel der Deutschen einer Civey-Umfrage für den Spiegel zufolge einen Besuch des Bundeskanzlers eher ab. Scholz überlegt noch, ob er fliegt oder nicht. Schließlich ist das Emirat als Gaslieferant seit der Ukraine-Krise wichtiger denn je.

    Zwei Ex-SPD-Chefs: Sigmar Gabriel (links) und Gerhard Schröder.
    Zwei Ex-SPD-Chefs: Sigmar Gabriel (links) und Gerhard Schröder. Foto: Federico Gambarini, picture alliance/dpa

    Von Sigmar Gabriel kommt Schützenhilfe für WM-Ausrichter Katar

    Gabriel hat dem Kanzler die Entscheidung sicher nicht leichter gemacht. Denn der 63-Jährige aus Goslar sorgte dieser Tage für mächtigen Wirbel, als er das Gastgeberland der WM, die am 20. November beginnt, in Schutz nahm. Dabei ist die Liste der Vorwürfe, die Menschenrechtler gegen Katar erheben, lang und reicht von der Ausbeutung ausländischer Arbeiter, Tausende sollen unter anderem beim Bau der Fußballstadien ums Leben gekommen sein, über die eingeschränkten Rechte von Frauen bis zur Verfolgung homosexueller Menschen. Doch Gabriel sieht den Wüstenstaat auf dem Pfad des Fortschritts und twitterte: "Die deutsche Arroganz gegenüber Qatar ist 'zum Ko…! Wie vergesslich sind wir eigentlich? Homosexualität war bis 1994 in D strafbar. Meine Mutter brauchte noch die Erlaubnis des Ehemanns, um zu arbeiten. 'Gastarbeiter' haben wir beschissen behandelt und miserabel untergebracht"

    Auch Deutschland, so der Tenor Gabriels, habe schließlich Jahrzehnte gebraucht, um ein liberales Land zu werden, mit Kritik am Wüstenstaat solle sich die Öffentlichkeit also zurückhalten. Selbst im eigenen Lager kam das nicht gut an. Henning Tillmann, Mitglied der Medienkommission beim SPD-Parteivorstand, konterte: "Kann mich nicht erinnern, dass 1993 Homosexuelle Angst vor Peitschenhieben haben mussten. Oder dass 'Gastarbeiter' in Deutschland massenhaft gestorben sind. Sigmar, ernsthaft, du kannst doch nicht ernst meinen, was für einen Stuss du da in dem Tweet schreibst?"

    Damals 2007: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel vor einem Gletscher in Grönland.
    Damals 2007: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel vor einem Gletscher in Grönland. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Die SPD kann keinen zweiten "Gas-Gerd" gebrauchen

    In der ersten Reihe der Sozialdemokratie fielen die Reaktionen zwar verhaltener aus, doch dort finden viele Gabriels Einlassungen alles andere als hilfreich. "Der Sigmar" könne einfach nicht loslassen, einen zweiten "Gas-Gerd" könne man jetzt nicht auch noch gebrauchen, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Gemeint ist Ex-Kanzler und Putin-Freund Gerhard Schröder, der für die jahrzehntelange Russland-Nähe der SPD steht, die seit dem Ukraine-Krieg als historischer Irrtum gilt. Gabriel galt lange als einer der "Russland-Versteher, "zählte zu den größten Befürwortern der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2. Erst nach dem russischen Überfall auf die Ukraine räumte er ein: "Es war ein Fehler, bei den Einwänden gegenüber Nord Stream 2 nicht auf die Osteuropäer zu hören. Das war auch mein Fehler."

    Auch das kommunistische China nahm Gabriel immer wieder gegen Kritik in Schutz. In der SPD aber wird nun deutlich mehr Wert auf kritische Distanz zu Ländern mit fleckiger Menschenrechts-Bilanz gelegt. Aus den eigenen Reihen nahm Kanzler Olaf Scholz den Auftrag mit auf seine jüngsten China-Reise, die Lage der Minderheit der Uiguren in der Provinz Xinjiang anzusprechen.

    Der einstige Ministerpräsident von Niedersachsen ist seit seinem Ausscheiden aus der Politik in verschiedenen Funktionen in der Wirtschaft tätig. Er arbeitet für Beratungsunternehmen und sitzt in mehreren Aufsichtsräten, etwa beim Stahlkonzern Thyssenkrupp und bei der Deutschen Bank. An dem Geldhaus ist der Wüstenstaat Katar als Großaktionär beteiligt. Doch auch Genossen, die Gabriels vielfältige Aktivitäten skeptisch sehen, glauben nicht, dass finanzielle Interessen bei ihrem Altvorsitzenden im Vordergrund stehen. Als Politiker, der unvollendet blieb, im entscheidenden Moment die Kanzlerkandidatur Martin Schulz überließ, genieße es "der Sigmar", wenn er weiter gebraucht, hofiert und umschmeichelt werde. Getrieben werde "der Sigmar" demnach vor allem von seinem "schier unbändigen Geltungsdrang".

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