Mikhail Uljanow ist ein Meister in der Kunst diplomatischer Schönfärberei. „Ich sehe keine Sackgasse“, sagte der russische Chefunterhändler bei den Wiener Atomgesprächen zwischen der internationalen Gemeinschaft und dem Iran am Freitag. Kurz bevor Uljanow vor die Kameras trat, waren die Iran-Gespräche bis auf Weiteres unterbrochen worden – und zwar wegen zusätzlicher Forderungen Russlands, die eine Vereinbarung blockierten. Der Versuch, Teheran mit dem Mittel der Verhandlungen am Bau einer Atombombe zu hindern, ist nach fast einem Jahr vorerst gescheitert.
Am vergangenen Wochenende hatten die Wiener Verhandlungspartner – China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Russland auf der einen und der Iran auf der anderen Seite – einen Durchbruch erzielt. Die Gespräche, die im April vergangenen Jahres begannen und an denen die USA über Vermittler teilnahmen, standen kurz vor einer Einigung, die einen iranischen Verzicht auf eine hohe Urananreicherung und die Lockerung von US-Sanktionen vorsah. Damit sollte der Atomvertrag von 2015 neu belebt werden, der durch den Ausstieg der USA 2018 infrage gestellt worden war.
Russland böte sich ein Schlupfloch durch die Verhandlungen mit Iran
Doch der Krieg in der Ukraine und die westlichen Sanktionen gegen Russland machten den Unterhändlern in Wien einen Strich durch die Rechnung. In letzter Minute verlangte Moskau, die russischen Handelsbeziehungen zum Iran müssten von den Ukraine-Sanktionen ausgenommen werden. Uneingeschränkter Handel mit dem Iran wäre ein Schlupfloch für die bedrängte russische Wirtschaft. Der Westen lehnte die Forderung ab. Damit stecken die Gespräche fest.
„Wegen externer Faktoren“ werde in Wien eine Pause gebraucht, schrieb der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Freitag auf Twitter. Dabei liege ein Vertragstext fast fertig ausgearbeitet auf dem Tisch. Bei den Verhandlungen gibt es zwar noch ungelöste Fragen, doch die sind nach Einschätzung der Europäer nicht so bedeutend, dass sie eine Verständigung verhindern würden. Europa und China könnten zwar versuchen, eine Einigung mit dem Iran ohne Russland zu erzielen. Das ist jedoch fast unmöglich, weil die sogenannte Gemeinsame Kommission des Atomvertrages, der auch Russland angehört, ihre Entscheidungen im Konsens trifft.
Ein Deal ist auch im Interesse des Kremls
Die iranische Regierung wurde offenbar von dem russischen Schachzug überrascht. In ersten Reaktionen zeigte sich Teheran verärgert über den Sabotageakt aus Moskau. Dann schwenkte die iranische Führung in ihren öffentlichen Äußerungen um. Inzwischen macht sie den Erzfeind USA für die Schwierigkeiten verantwortlich. Kritik an Moskau wird nur noch indirekt geäußert. Kein Einzelakteur könne bestimmen, was bei den Wiener Verhandlungen herauskomme, schrieb der iranische Außenminister Hossein Amirabdollahian auf Twitter. Gebraucht werde eine „gemeinsame Anstrengung“.
Experten vermuten, dass es dem Kreml nicht darum geht, in Wien einen Deal zu verhindern und damit den Iranern den Zugang zur Bombe zu sichern: Russland, China und der Westen sind sich grundsätzlich darüber einig, dass sie keine nukleare Aufrüstung der Islamischen Republik wollen. Denn das würde den Nahen Osten destabilisieren, möglicherweise einen Krieg mit Israel auslösen und in der Region des Kas- pischen Meeres auch Russland selbst bedrohen.
Russland spielt ein riskantes Spiel
Wahrscheinlicher ist, dass Russland die Wiener Gespräche bis auf Weiteres lahmlegen will, ohne sie ganz zu torpedieren: Dieser Schwebezustand verhindert, dass der Iran – wie für den Fall einer Einigung vorgesehen – mehr Öl auf dem Weltmarkt verkaufen darf. Mehr Öl auf dem Markt würde die Preise senken und russische Einnahmen reduzieren. Außerdem müsse sich der Westen jetzt erst einmal weiter mit dem Iran-Thema herumschlagen, was Russland ebenfalls ins Konzept passe, schrieb der Iran-Experte Ali Vaez von der International Crisis Group auf Twitter.
Russland spielt mit seiner Verzögerungstaktik allerdings ein äußerst riskantes Spiel. Iran-Gegner in den USA und Hardliner in Teheran setzen ohnehin alles daran, ein neues Abkommen platzen zu lassen. Sie dürften die Pause in den Verhandlungen nutzen, um weiter gegen einen Deal zu agitieren. Israel will notfalls mit Militärschlägen verhindern, dass der Erzfeind Iran an die Bombe kommt.
Teheran braucht nach westlichen Schätzungen nur noch wenige Wochen, um genug waffenfähiges Material für einen Nuklearsprengkopf beisammen zu haben, wenn keine Beschränkungen für die Urananreicherung vereinbart werden. Einen Termin für neue Gespräche in Wien gibt es nicht.