Keine Frage, Oskar Lafontaine beherrscht den stilvollendeten Abgang. Am Mittwoch seine letzte Rede über das Thema Krieg und Frieden im saarländischen Landtag. Dafür gab es viel Beifall und Anerkennung – im Plenarsaal und auch in den Medien. Lafontaine ist ein Profi. Nicht unwahrscheinlich, dass die Zeilen, mit denen er am Tag darauf die Trennung von der Linkspartei begründen sollte, bei seiner Abschiedsansprache im Plenarsaal in der Innentasche seines Jacketts ruhten.
Lafontaine bemängelt in dem Statement „die schleichende Änderung des politischen Profils der Linken“ in den letzten Jahren. Er wiederholt zudem seine Kritik, dass die „Interessen der Arbeitnehmer und Rentner“ nicht mehr im Mittelpunkt stehen würden: „Ich wollte, dass es im politischen Spektrum eine linke Alternative zur Politik sozialer Unsicherheit und Ungleichheit gibt, deshalb habe ich die Partei Die Linke mitgegründet. Die heutige Linke hat diesen Anspruch aufgegeben.“
Gegen Lafontaine lief ein Parteiausschlussverfahren
Es dürfte weitere gewichtige Gründe für die politische Scheidung geben. Da ist ein schwer zu durchschauender innerparteilicher Krach um angeblich manipulierte Mitgliederlisten in der Saar-Linken. Der in Saarlouis geborene Lafontaine sprach von einem „Betrugssystem“, dafür wurde ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn angestrengt. Als sicher kann zudem gelten, dass auch der Dauerkonflikt zwischen der Linken und Sahra Wagenknecht, seiner vierten Ehefrau, zu der Trennung beigetragen hat. Dass der diplomierte Physiker seiner Partei jetzt und nicht nach der Landtagswahl am 27. März den Laufpass gegeben hat, zeigt, wie tief die Verbitterung sitzt. Denn mit diesem Timing verpasst er der Linken an der Saar einen platzierten und wohlüberlegten Tiefschlag. Die Partei muss nun fürchten, den Wiedereinzug in den Landtag zu verpassen.
Oskar Lafontaine beherrscht auch den Abgang aus dem Nichts. Als der damalige Finanzminister im rot-grünen Kabinett von Bundeskanzler Gerhard Schröder 1999 von allen Ämtern zurücktrat, waren Gegner, aber auch Parteifreunde völlig überrascht.
Ämter übrigens hatte der frankophile Katholik in seiner Karriere viele: Oberbürgermeister von Saarbrücken, Ministerpräsident an der Saar, SPD-Parteichef und Bundesminister, Co-Vorsitzender der Linken. 2005 verließ er die SPD, um sich der neu gegründeten Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG) anzuschließen. Energisch trieb er das Bündnis mit der SED-Nachfolgepartei PDS voran. Heraus kam die Linkspartei, die er zu bundesweiten Erfolgen führte – zulasten der Sozialdemokraten. In einem Interview mit unserer Redaktion im Jahr 2018 antwortete er auf die Frage, ob hinter dem Engagement für die Linke auch das Bedürfnis gestanden habe, sich an dem alten Rivalen Gerhard Schröder zu rächen: „Das ist albernes Zeug.“ Zweifel blieben dennoch. Aufhorchen ließ, dass Lafontaine zuletzt zumindest andeutete, dass er sich heute nicht sicher sei, ob die Trennung von der SPD ein richtiger Schritt gewesen ist.
Am Mittwoch nahm Lafontaine an seiner letzten Landtagssitzung teil
Jetzt geht aller Voraussicht nach eine bemerkenswerte politische Karriere zu Ende, die mehr als ein halbes Jahrhundert andauerte – und auch durch den fast tödlichen Messerstich einer verwirrten Attentäterin auf den damaligen SPD-Kanzlerkandidat Lafontaine im Jahr 1990 nicht gestoppt wurde.
Schluss gemacht mit der Politik hat ein Mann, der mit Charisma, rhetorischer und intellektueller Brillanz gesegnet ist. Auf der anderen Schulter saßen seine Dämonen: ein Hang zu überschießender Polemik und ein sehr großes Selbstbewusstsein – Quell des Impulses, sich selbst zu überschätzen.