Die Bilder wurden als Schnappschüsse präsentiert. Boris Johnson mit Baby Wilfred bei der Wanderung durch die schottischen Highlands. Ein anderes zeigte den britischen Premier mit seiner Verlobten Carrie Symonds, Sohn und Hund vor atemberaubender Landschaft. Doch nur fürs private Fotoalbum waren die Aufnahmen keineswegs gedacht. Der konservative Regierungschef wollte mit der Wahl seines Urlaubsorts offenbar auch sein persönliches Bekenntnis zur Union und der nördlichen Region demonstrieren. Dort nämlich braut sich ein Sturm zusammen, der Johnson gefährlich werden könnte. Nichts weniger als das Vereinigte Königreich steht auf dem Spiel.
Die Sympathie der Schotten für Premier Johnson sinkt
Laut Umfragen wächst seit Monaten der Drang der Schotten, sich vom Rest des Landes abzuspalten. Diese Woche nun kündigte die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon an, ein Gesetz über ein neues Unabhängigkeitsreferendum auf den Weg zu bringen. In einem Entwurf sollen Zeitrahmen, die Bedingungen und die genaue Fragestellung für die Abstimmung festgelegt werden. Dass die Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei SNP für die Unabhängigkeit kämpft, ist natürlich nichts Neues. Doch die Separatisten fühlen sich durch den Erfolg bei der Parlamentswahl im Dezember, als die Regionalpartei 45 Prozent der Wählerstimmen erhalten und damit 8,1 Prozentpunkte zugelegt hat, bestätigt. Hinzu kommen der Brexit – in Schottland stimmte 2016 die Mehrheit für den Verbleib in der EU – und das Chaos in der Corona-Krise.
Beides ließ Johnson im Norden weiter in den Sympathiewerten abstürzen, weshalb sich der Premier erst im Juli nach Schottland aufgemacht hatte. „Die letzten sechs Monate haben genau gezeigt, weshalb das historische und tief empfundene Band, das unsere vier Nationen zusammenhält, so wichtig ist“, sagte er während seines Besuchs. „Die pure Macht unserer Union wurde wieder einmal unter Beweis gestellt.“ Die Schotten scheinen das anders zu sehen, das weiß natürlich auch der Regierungschef. Und noch mehr weiß das Sturgeon, die in der Pandemie mit ihren seriösen Auftritten punktete und jetzt ihre Chance wittert.
Hinzu kommt die Ungewissheit, ob sich Großbritannien und die EU bis Ende des Jahres auf ein Handelsabkommen einigen. Ein von der Wirtschaft befürchteter No-Deal-Brexit könnte den Plänen der „Yes“-Befürworter am Ende sogar behilflich werden. Am Dienstag diskutierte das Kabinett den Vorstoß der Schotten. Downing Street hält offenbar an der simplen Strategie fest, die da lautet: Einfach weiter Nein sagen. Man kann, so der Hintergedanke, kein Referendum verlieren, das nicht stattfindet. Denn, das ist der Haken für die Abspaltungswilligen im Norden, der Weg zu einer Volksabstimmung führt rechtlich über das Unterhaus in London, das einem Votum zustimmen muss. Wie im Jahr 2014, als der damalige Premier David Cameron ein Referendum genehmigte, um die Debatte zumindest „für eine Generation“ zu klären.
Aktuelle Umfragen: Mehrheit wünscht sich Abspaltung Schottlands
Damals ging es recht knapp aus: 55 Prozent der Schotten sprachen sich letztlich für den Verbleib im Königreich aus – auch, weil Cameron ihnen mehr Eigenständigkeit versprochen hatte. Doch der damalige Premier wurde längst vom Brexit aus dem Amt gefegt und die Stimmung in Schottland dreht sich wieder. Mittlerweile zeigen die Umfragen, dass eine Mehrheit die Unabhängigkeit unterstützt.
Sollte die SNP bei den Wahlen zum schottischen Regionalparlament im Mai besonders erfolgreich abschneiden, dürfte es schwierig für Johnson werden, bei seiner ablehnenden Haltung zu bleiben. „Der Brexit wurde uns aufgezwungen“, betont Sturgeon bei jeder Gelegenheit. Der Landesteil dürfe nicht gegen den eigenen Willen aus der EU gezerrt werden. Dabei, so betonen Kritiker, stehe Schottland wirtschaftlich keineswegs so gut da wie 2014. Und auch die Frage, ob ein autonomes Schottland EU-Mitglied unter den bekannten Bedingungen bleiben könnte oder ob es sich neu bewerben müsste, ist nicht geklärt.
Den Traum der Unabhängigkeit lassen sich die Separatisten davon aber nicht zerstören. Das Königreich steht fragiler da als je zuvor.
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