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Analyse: Hat sich die gesellschaftliche Mehrheit wirklich nach rechts verschoben?

Analyse

Hat sich die gesellschaftliche Mehrheit wirklich nach rechts verschoben?

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    Ist der Zuspruch zur AfD ein Beleg dafür, dass sich die Mehrheiten im Land verschoben haben?
    Ist der Zuspruch zur AfD ein Beleg dafür, dass sich die Mehrheiten im Land verschoben haben? Foto: Sebastian Christoph Gollnow, dpa

    Deutschland ist ein Land, das seine Mitte sucht. Und immer mehr Menschen haben aufgrund der jüngsten AfD-Erfolge in Umfragen und Kommunalwahlen - die Partei stellt künftig nicht nur einen Landrat, sondern auch einen Bürgermeister im Osten - den Eindruck, dass sich diese Mitte nach rechts verschoben hat. Was die Zustimmungswerte angeht, liegen die konservative Union und die rechtspopulistische AfD schließlich auf den Spitzenplätzen. Erlebt Deutschland also tatsächlich einen Rechtsruck?

    Jörg Schönenborn, der seit vielen Jahren für die ARD gesellschaftliche Strömungen und Wählerwanderungen analysiert, hat sich auch mit dieser Frage beschäftigt. "Wo die Mitte ist, lässt sich wissenschaftlich schwer beantworten. Was wir aber ermitteln können, ist, wo die Menschen die verschiedenen Parteien auf einer Links-Rechts-Skala einordnen und wo sie sich persönlich sehen. Und da haben wir schon zur Bundestagswahl 2017 gemessen, dass die Mehrheit die Bürgerinnen und Bürger sämtliche Parteien außer der AfD etwa beim Thema Zuwanderung eher links von ihrem eigenen Standpunkt verortet hatte", sagt Schönenborn im Gespräch mit unserer Redaktion. Insofern lasse sich ein Rechtsruck nicht belegen, eher hätten sich die Positionen der etablierten Parteien in den Jahrzehnten zuvor leicht nach links von der Mitte verschoben, sagt der Mann, den Fernsehzuschauer als Moderator langer Wahlabende kennen.

    Wahlexperte Jörg Schönenborn sieht den Schlüssel in der Flüchtlingsfrage

    Bewusst fokussiert sich Schönenborn auf die Zuwanderung. Denn auch wenn zuletzt vor allem der Streit um das Heizungsgesetz, hohe Preise und der Krieg in der Ukraine den Blutdruck der Deutschen steigen ließen, ist aus seiner Sicht noch immer die Flüchtlingsthematik der entscheidende Grund für das AfD-Hoch. Tatsächlich sind die Werte der rechten Partei schon seit dem vergangenen Sommer gestiegen - beinahe parallel mit den Zuwanderungszahlen. "Obwohl der Anstieg der Flüchtlingszahlen medial eine geringere Rolle spielt als 2015 oder 2016, treibt das sehr viele Wählerinnen und Wähler um. Wir wissen: Der Zuzug von fremden Menschen und was er für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland bedeutet, macht der Hälfte der Bevölkerung Sorgen."

    Aus Schönenborns Sicht ist es weniger Protest, sondern vor allem Angst, die die Stimmung nach rechts kippen lässt. "Was es definitiv gibt, sind linke und rechte Themen. Ein linkes Thema war immer Gerechtigkeit, verbunden mit dem Versprechen auf sozialen Aufstieg. Das wird heute aber überlagert von der Angst vor sozialem Abstieg. Und hier glauben immer weniger Menschen an das Versprechen, dass sich der Staat um sie kümmern wird. Im Gegenteil: Viele haben das Gefühl, es werde an ihnen und ihren Sorgen vorbeiregiert. Das gilt für das Thema Heizungsgesetz genauso wie für die Zuwanderung, die eher als rechtes Thema gilt."

    Immer mehr AfD-Wähler kommen aus dem bürgerlichen Lager

    Mit Zahlen untermauern kann Norbert Schäuble den Blick auf die Gesellschaft. Sein Sinus-Institut untersucht die Milieus im Land und erforscht, wo sie sich politisch verorten. Die jüngste Studie kommt zu dem Ergebnis: Die AfD bekommt immer mehr Zuspruch auch in jenen Bevölkerungsgruppen, die als die Mitte der Gesellschaft gelten, also im bürgerlichen Segment. 56 Prozent der AfD-Wählerinnen und -Wähler stammen inzwischen aus diesem Milieu. "Ich würde noch nicht sagen, dass die Gesellschaft insgesamt nach rechts driftet", sagt Schäuble. Der AfD gelinge es stark, bisherige Nichtwähler zu mobilisieren. Doch genau das kann einen Prozess in Gang setzen: "Dabei gilt auch, der Erfolg nährt den Erfolg mit aktuellen Wahlergebnissen", sagt der Forscher. "Neu ist allerdings, dass die AfD nun auch stärker in der modernen gesellschaftlichen Mitte akzeptiert wird."

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