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EU: Hätte, hätte, Lieferkette

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Hätte, hätte, Lieferkette

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    Goldverarbeitungsanlage in der Region Brong-Ahafo in Ghana: Zwei kleine Jungen waschen das Erz, um es vom Schlamm zu trennen.
    Goldverarbeitungsanlage in der Region Brong-Ahafo in Ghana: Zwei kleine Jungen waschen das Erz, um es vom Schlamm zu trennen. Foto: Kristin Palitza, dpa

    Eigentlich schien sie schon in trockenen Tüchern, die europäische Richtlinie, die Unternehmen verpflichten soll, bei ihren weltweiten Zulieferern auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards zu achten. Doch in der bevorstehenden endgültigen Abstimmung im EU-Rat droht das Projekt zu scheitern – am nächsten großen Ampel-Streit in Berlin. Denn die FDP will die Pläne nicht mittragen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil gibt nicht auf und schlägt dem Kabinett "ein Paket für eine Entlastung von unnötiger Bürokratie und faire Wettbewerbsbedingungen für unsere Wirtschaft und klare Kante gegen Kinderarbeit und Ausbeutung vor". 

    SPD warnt vor Gleichgültigkeit gegenüber Kinder- und Zwangsarbeit

    Der SPD-Politiker mahnt die Liberalen eindringlich, ihren Widerstand gegen das geplante EU-Lieferkettengesetz aufzugeben. Sein Maßnahmenbündel solle die Bedenken deutscher Unternehmen zerstreuen, nach denen die Neuregelung zusätzlichen Aufwand bedeute. Heil sagte unserer Redaktion: "Unser Wertegerüst ist klar: Wir können und dürfen unsere Augen nicht vor Kinder- und Zwangsarbeit verschließen. Ein europäisches Lieferkettengesetz ist aber nicht nur eine Frage von Menschenrechten, sondern auch im wirtschaftlichen Interesse unseres Landes, denn von gleichen Regeln für alle in Europa profitieren deutsche Unternehmen." 

    Deutschland, so Heil weiter, sei eine Exportnation, deren Wohlstand entscheidend auf freiem Handel in globalen Lieferketten basiere. Freier Handel aber müsse auch fairer Handel sein. Er empfehle der Bundesregierung daher "dringend eine Zustimmung zum Richtlinienvorschlag". 

    Die FDP zieht die Bremse und die Industrie applaudiert

    Zuvor verlautete aus Regierungskreisen, das Bundesjustizministerium und das Bundesfinanzministerium könnten die Pläne nicht mittragen. "Im Rat der Europäischen Union hat dies eine Enthaltung Deutschlands zur Folge, die im Ergebnis wie eine "Nein"-Stimme wirkt", heißt es in einem Schreiben von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner (beide FDP).

    Hintergrund des faktischen Vetos der Liberalen sind Bedenken der Industrie, die Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger so zusammenfasst: "Die bisherige Regelung nutzt nicht den Menschenrechten, sondern schadet den Unternehmen. Dieses europäische Lieferkettengesetz würde Unternehmen mit erheblicher Rechtsunsicherheit, Bürokratie und unkalkulierbaren Risiken konfrontieren." Er begrüßte die angekündigte Enthaltung Deutschlands als "gute Nachricht für unseren Wirtschaftsstandort und seine Unternehmen". 

    FDP-Chef Christian Lindner.
    FDP-Chef Christian Lindner. Foto: Bernd Weißbrod, dpa

    Mit seinem Vorschlag will Hubertus Heil Wirtschaft und FDP nun eine Brücke bauen, der Richtlinie doch noch zuzustimmen. Das Kompromisspapier, das unserer Redaktion exklusiv vorlag, sieht vor, dass durch das geplante EU-Lieferkettengesetz keine doppelten Berichtspflichten für Unternehmen entstehen. Vorgaben nach dem deutschen "Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz" würden entfallen. Gelten sollen dann nur noch die allgemeinen Pflichten gemäß der neuen EU-Richtlinie.

    Betroffene deutsche Unternehmen müssten 2024 keinen Bericht für das Geschäftsjahr 2023 erstellen und einreichen. Ab 2025 müssten die Unternehmen, die unter das Lieferkettenschutzgesetz fallen, dann nur noch einen Nachhaltigkeitsbericht nach dem europaweit einheitlichen Standard erstellen. Faktisch läuft der Heil-Vorschlag also darauf hinaus, das Anfang 2023 eingeführte deutsche Lieferkettengesetz durch ein etwas entschlacktes europäisches zu ersetzen. Damit könnten sich dem Vernehmen nach auch die Grünen anfreunden, die Dritten im Ampel-Bund. Doch ob die FDP noch einlenkt, blieb am Donnerstag offen.

    In Brüssel sind sie nur noch genervt von Berlin

    Politiker anderer Länder erleben in Brüssel ein politisches Déjà-vu: Ein Phänomen, das im EU-Jargon unter dem unseligen Begriff "German Vote" bekannt ist. Damit wird bezeichnet, wenn sich Deutschland bei Abstimmungen im Kreis der 27 Mitgliedstaaten enthält, weil sich die Koalitionspartner nicht einigen können. Es handelt sich um ein freundliches Nein, wenn man so will. Nun droht nach dem Streit um das "Verbrenner-Aus" im vergangenen Jahr ein weiteres wichtiges EU-Projekt zu kippen, weil die FDP auf die letzten Meter interveniert. 

    Mit dem neuen EU-Lieferkettengesetz ist geplant, dass Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und 150 Millionen Euro Jahresumsatz künftig Informationen über entsprechende Risiken in Sachen Naturschutz und Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten sammeln, auswerten und Gegenmaßnahmen ergreifen sollen. Ein Beispiel wäre, wenn Wälder im großen Stil abgeholzt wurden, um Platz zu schaffen für den Anbau von Soja oder Kakao. Wer gegen die Regeln verstößt, muss mit Bußgeldern oder gar Klagen rechnen.

    Kinder im Kongo sortieren Steine, die Kobalt enthalten.
    Kinder im Kongo sortieren Steine, die Kobalt enthalten. Foto: Amnesty International

    Mit dem "German Vote" wäre die Mehrheit in Europa gefährdet

    Bereits im Dezember hatten sich die drei Institutionen, also der Ministerrat der 27 Mitgliedstaaten, die EU-Kommission sowie das Europaparlament, auf den Entwurf der Richtlinie geeinigt. Im Normalfall ist alles, was nach einem Kompromiss in diesem sogenannten "Trilog-Verfahren" folgt, mehr oder minder Formsache. Doch sollte es dabei bleiben, dass die FDP gegen das Gesetz Widerstand leistet, müsste sich die deutsche Regierung beim Schlussvotum am Freitag nächste Woche enthalten. Mit diesem "German Vote" wäre die Mehrheit im europäischen Ministerrat gefährdet – und das Projekt womöglich gescheitert. 

    Dass die Bundesregierung einen grundsätzlich ausverhandelten Plan zum Lieferkettengesetz so spät im Prozedere infrage stellt, empfinden die Vertreter vieler anderer EU-Länder als bedenklichen Präzedenzfall, der die europäische Kompromisskultur beschädigt. Der Ärger ist entsprechend groß.

    "Wenn der größte Mitgliedstaat nicht berechenbar ist, ist das wenig hilfreich", klagte nun ein Insider in Brüssel. Die Bundesregierung verspiele die Glaubwürdigkeit der gesamten Bundesregierung in der EU, hieß es vonseiten einiger EU-Beamter. Was nämlich ist ein Deal mit den Deutschen noch wert?

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