Russische Oligarchen parken ihre Luxusjachten an türkischen Küsten und wollen am Bosporus investieren, weil sie seit Ausbruch des Ukraine-Krieges im Westen nicht mehr erwünscht sind – doch die Türkei habe selbst schon Oligarchen genug, sagt die Opposition in Ankara. Wie sein Freund Wladimir Putin in Russland kann sich Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan in der Türkei auf eine Riege schwerreicher Unternehmer verlassen, die ihm für lukrative Staatsaufträge die Treue halten.
Die türkische Opposition spricht von der superreichen "Fünfer-Bande"
Als „Fünfer-Bande“ prangert die Opposition fünf superreiche Unternehmer an, die Flughäfen, Autobahnen, Brücken und Staudämme bauen dürfen. Mit dem Vorwurf von Nepotismus und Korruption will sie vor den Wahlen im nächsten Jahr eine offene Flanke des Präsidenten angreifen. Erdogan ist sich der Gefahr bewusst und will der Opposition von der Justiz verbieten lassen, über die „Fünfer-Bande“ zu sprechen. Mit der Debatte über die türkischen Oligarchen will die Opposition den Unmut der Wähler über die Regierung anfachen.
Die Inflation ist auf über 60 Prozent gestiegen, die Lira hat innerhalb von knapp anderthalb Jahren mehr als die Hälfte ihres Wertes eingebüßt. Mehr als drei Millionen Verbraucher können ihre Stromrechnungen nicht mehr bezahlen und sitzen im Dunkeln.
Kritiker sehen Ähnlichkeiten zum russischen Oligarchen-System
Erdogan bezeichne sich als Wirtschaftsexperten, sei aber nur „Kassenwart der Fünfer-Bande“, sagt Oppositionschef Kemal Kilicdaroglu. Die Rolle der Unternehmer für Erdogan sei „eine Kopie von Putins Oligarchen-System“. Mit „Fünfer-Bande“ meint die Opposition die Unternehmer Mehmet Cengiz, Nihat Özdemir, Cemal Kalyoncu, Celal Kologlu und Adnan Cebi, die in den vergangenen Jahren milliardenschwere Infrastruktur-Aufträge vom Staat erhalten haben – darunter der Istanbuler Großflughafen und Autobahnbrücken über den Bosporus und die Dardanellen. Das Risiko können sie auf die Steuerzahler abwälzen: Wenn beispielsweise die Mauteinnahmen für eine Brücke unter den Erwartungen bleiben, erhalten die privaten Betreiber staatliche Ausgleichszahlungen.
Unternehmer, die sich in der Gunst des Präsidenten sonnen, seien unangreifbar, sagen Kritiker. In der Schwarzmeer-Provinz Rize soll ein Steinbruch-Projekt von Mehmet Cengiz mit Erdogans Unterstützung gegen den Widerstand der örtlichen Bevölkerung durchgesetzt werden. Die schweren Waldbrände im Süden der Türkei brachen nach Ansicht einer Forstarbeiter-Gewerkschaft aus, weil die Betreiber die Schneisen unter ihren Hochspannungsleitungen nicht vorschriftsgemäß freihielten. Die Betreiber der Leitungen – Mitglieder der „Fünfer-Bande“ – müssten trotzdem keine Folgen befürchten, denn sie stünden unter dem Schutz des Staates. Die regierungstreuen Geschäftsleute sollen zudem von großzügigen Steuernachlässen profitiert haben. Im Gegenzug könne sich Erdogan auf die Loyalität der „Fünfer-Bande“ verlassen, sagen Kritiker.
Mit Erdogan habe Klientelismus neue Dimensionen erreicht
Laut den Ermittlungen von Erdogan-feindlichen Staatsanwälten im Jahr 2013 sammelte Erdogan bei seinen Unternehmerfreunden Millionensummen ein, um Zeitungen und Fernsehsender von anderen befreundeten Geschäftsleuten aufkaufen und auf Regierungslinie bringen zu lassen. Auch privat sind sich Präsident und Unternehmer nahe. Mehrmals war Erdogan in den vergangenen Jahren Trauzeuge bei Hochzeiten von Kindern der „Fünfer-Bande“. Enge informelle Verbindungen zwischen Politik und Wirtschaft seien in der Türkei zwar nicht ungewöhnlich, meint der Türkei-Experte Dimitar Bechev von der Universität Oxford. In Erdogans Regierungszeit habe der Klientelismus allerdings neue Dimensionen erreicht, schreibt Bechev in seinem neuen Buch „Die Türkei unter Erdogan“.
Die Regierung weist alle Vorwürfe von Unregelmäßigkeiten zurück, doch die Opposition ist sicher, ein stimmenträchtiges Thema gefunden zu haben. Erdogan sei „der Fünfer-Bande zu Diensten“, wiederholt Kilicdaroglu seit Wochen. Der Präsident hat vor Gericht eine einstweilige Verfügung erwirkt, nach der Kilicdaroglu solche Sätze nicht mehr sagen darf, doch der Oppositionschef will sich nicht daran halten: „Ihr könnt mich nicht zum Schweigen bringen“, sagte er am Dienstag. Die Mitglieder der „Fünfer-Bande“ hätten im Stil russischer Oligarchen ihr Vermögen nach London transferiert, behauptet Kilicdaroglu. Nach einem Wahlsieg im kommenden Jahr werde er dafür sorgen, dass das Geld in die Türkei zurückgebracht werde. In einigen Umfragen führt das Oppositionsbündnis aus Kilicdaroglus linksnationaler CHP und anderen Parteien vor der Regierungsallianz aus Erdogans AKP und der rechten MHP.