Mitglieder krimineller Clans sollen nach einem Plan von Bundesinnenministerin Nancy Faeser auch ohne strafrechtliche Verurteilung abgeschoben werden können. Doch mit ihrem Vorstoß bringt die SPD-Politikerin nicht nur die Opposition, sondern auch die Koalitionspartner Grüne und FDP auf die Barrikaden – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP im Bundestag, Stephan Thomae, hat rechtliche Bedenken. "Grundlegend gilt: Abschiebungen können nur dann erfolgen, wenn eine Person straffällig geworden ist oder an einer Straftat beteiligt war", sagte er unserer Redaktion. Dass Angehörige krimineller Clans "aufgrund eines zufälligen Verwandtschaftsverhältnisses abgeschoben werden sollen", halte keiner rechtsstaatlichen Prüfung stand.
Irene Mihalic, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, kritisierte: "Vorschläge, nach denen Familienangehörige von Kriminellen von vornherein wie Kriminelle betrachtet werden, ohne dass eine strafrechtliche Verurteilung vorliegt, befinden sich außerhalb des rechtsstaatlichen Rahmens und werden bei meiner Fraktion keine Unterstützung finden." Ausgelöst hatte die Debatte ein Diskussionspapier aus dem Innenministerium. Demnach sollen "Angehörige von Gemeinschaften der organisierten Kriminalität" auch "unabhängig von einer strafrechtlichen Verurteilung" ihr Aufenthaltsrecht verlieren können. Vorbild sei eine Regelung, die sich gegen Angehörige von terroristischen Vereinigungen richtet.
Viele haben einen deutschen Pass
Seit Jahren machen Angehörige meist arabischstämmiger Großfamilien mit spektakulären Verbrechen von sich reden. Gegen die Bandenmitglieder will Faeser nun härter vorgehen. Dass mit "Angehörigen" aber nicht unbescholtene Familienmitglieder der Verbrecher gemeint seien, sondern Personen mit Bezug zu den kriminellen Aktivitäten, stellte ein Sprecher Faesers klar.
Doch in vielen Fällen würde Faesers Vorhaben auch gegen sie keinerlei Handhabe bieten. Experten gehen davon aus, dass bis zu zwei Drittel aller Clan-Mitglieder die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen - sie können nicht abgeschoben werden. Bei den übrigen scheitert dies oft daran, dass sie ihre Herkunft verschleiern. Wo Heimatländer bekannt sind, weigern sich diese oft, Straftäter aufzunehmen.
Für CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt ist die Ampel im Kampf gegen die Clan-Kriminalität "nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems". Unserer Redaktion sagte er: "Frau Faeser ändert das Staatsbürgerrecht, damit Ausländer bereits nach drei Jahren die Staatsbürgerschaft bekommen können. Wenn Angehörige von Clans einmal eingebürgert sind, kann sie keiner mehr abschieben." Das zeige, "dass es vollkommen unglaubwürdig ist, was Faeser über die Abschiebung von Clanmitgliedern erzählt". Die Innenministerin lasse einen Testballon steigen, "dem die Grünen sofort die Luft rauslassen".
Stimmungstest für einen Kurswechsel?
Ist Faesers Vorstoß also ein Stimmungstest für eine mögliche Kurskorrektur ihrer Partei in Fragen von Zuwanderung, Abschiebung und Kriminalitätsbekämpfung? Ohne dass viel nach außen dringt, wird in der SPD seit geraumer Zeit diskutiert, welche Lehren das Schicksal ihrer Genossen in Skandinavien bereithält. In Schweden haben die jahrzehntelang dominierenden Sozialdemokraten die Macht an ein von Rechtspopulisten toleriertes Mitte-Rechts-Bündnis verloren. Die Stimmung im einstigen Wohlfahrts-Musterland, das Migranten mit offenen Armen und üppigen Sozialleistungen empfing, war gekippt, nachdem es in von Zuwanderer-Gangs dominierten Stadtvierteln zu einer Welle tödlicher Schießereien gekommen war. In Dänemark waren es die Sozialdemokraten selbst, die auf eine harte Linie bei der Bekämpfung von Migranten-Kriminalität schwenkten und sich damit die Zustimmung der Wähler sicherten.
Dass ein beträchtlicher Teil der Menschen, die sich in Deutschland der AfD zuwenden, aus enttäuschtem SPD-Publikum besteht, ist Parteistrategen durchaus bekannt. Nicht wenige glauben: Bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen - wo Faeser als SPD-Spitzenkandidatin antritt - sowie in drei ostdeutschen Ländern im kommenden Jahr könnte die SPD bei der Inneren Sicherheit punkten. Dagegen wehrt sich das linke Parteispektrum: Aziz Bozkurt, Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt, twitterte: "Nun Sippenhaft." Seine Erklärung: "Das Ministerium macht, was es will". Aus der ersten Reihe der SPD-Politik gab es niemand, der Faeser angriff – was darauf hindeuten könnte, dass der Abschiebungs-Vorstoß in der Führungsriege abgestimmt war.