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Hintergrund: Bürgergeld statt Hartz IV: Armut per Gesetz oder Grundeinkommen?

Hintergrund

Bürgergeld statt Hartz IV: Armut per Gesetz oder Grundeinkommen?

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    Zum 1. Januar soll das Bürgergeld das heutige Hartz-IV-System ablösen – doch es hagelt Kritik.
    Zum 1. Januar soll das Bürgergeld das heutige Hartz-IV-System ablösen – doch es hagelt Kritik. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Bringt es die "Armut per Gesetz" oder vermittelt es Geringverdienern die Botschaft, dass sich Arbeit nicht mehr lohnt? Das Bürgergeld, mit dem die Ampel-Koalition das bisherige Hartz-IV-System ablösen will, sorgt für erbitterte Debatten. An diesem Mittwoch berät das Kabinett über den Entwurf von Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil. Der SPD-Politiker sagte: „Ich bin zuversichtlich, dass es klappt.“ Mit der Reform soll das 2005 unter dem sozialdemokratischen Kanzler Gerhard Schröder eingeführte Hartz IV "überwunden" werden – viele SPD-Linke halten es bis heute für den sozialpolitischen Sündenfall ihrer Partei. Das "Bürgergeld" wird den Plänen zufolge ab dem kommenden Jahr bezahlt und sieht höhere Regelsätze vor: für alleinstehende Erwachsene etwa 502 Euro im Monat – derzeit sind es 449 Euro. Volljährige Partner erhielten 451 Euro im Monat, Kinder im Alter von 14 bis 17 Jahren 420 Euro, 6- bis 13-Jährige 348 Euro und bis zu 5-Jährige 318 Euro.

    Geplant sind dem Koalitionsvertrag zufolge außerdem bessere Weiterbildungsmöglichkeiten und höhere Schonbeträge für Sparvermögen. Ist die Wohnung unangemessen, muss erst nach zwei Jahren, statt wie bisher sechs Monaten, günstigerer Ersatz gefunden werden. Verstöße gegen Mitwirkungspflichten oder versäumte Termine beim Jobcenter bleiben für ein halbes Jahr folgenlos, anschließend können Leistungen um bis zu 30 Prozent gekürzt werden. Dass Sanktionen nicht, wie zunächst geplant, vollständig abgebaut werden, liegt am koalitionsinternen Widerstand der FDP.

    Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Die Einführung des Bürgergelds zählt zu den wichtigsten sozialpolitischen Vorhaben der Ampel-Koalition.
    Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Die Einführung des Bürgergelds zählt zu den wichtigsten sozialpolitischen Vorhaben der Ampel-Koalition. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Dobrindt: Neuer Anreiz zur Einwanderung in Sozialsysteme

    Aufseiten von Union und Wirtschaft regt sich heftiger Widerstand. Tenor: Für Geringverdiener lohnt sich das Arbeiten künftig kaum noch, denn auch im künftigen Bürgergeld-System übernimmt das Jobcenter Miete und Heizkosten, die ja gerade mächtig steigen. So sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt unserer Redaktion: "Hubertus Heil sucht offensichtlich nach einem Weg zum bedingungslosen Grundeinkommen. Der Grundsatz des Forderns und Förderns wird durch das Bürgergeld weiter eingeschränkt." Dies, so der Unions-Fraktionsvize weiter, könne "gerade dazu führen, dass der Leistungsbezug zementiert wird und Demotivation statt Arbeitsaufnahme gefördert wird". Während Fachkräfte überall im Land gesucht würden, fördere die Ampel den Weg in den Sozialleistungsbezug. Außerdem schafften SPD, Grüne und FDP "neue Anreize zur Einwanderung in unsere Sozialsysteme".

    Auch der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), Hans Peter Wollseifer, lehnt das Bürgergeld ab: "Es sorgt für Demotivation bei denjenigen, die mit einem geringen Gehalt regulär arbeiten. Am unteren Ende verschwimmen immer mehr die Grenzen zwischen regulärer Arbeit und dem Bürgergeld." Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger nannte das Bürgergeld eine "fatale Wegmarke", mit der "keine Brücke in die Arbeit gebildet, sondern ein Weg ins Sozialsystem gestartet" würde.

    Linke kritisiert Rechentricks und warnt vor "Armut per Gesetz"

    Ganz anders fallen die Reaktionen bei Sozialverbänden und der Linkspartei aus. Deren Fraktionsvize im Bundestag, Susanne Ferschl, sagte unserer Redaktion: "Da sich die Regierung offensichtlich nicht durchringen kann, ihre knickrigen Rechentricks beim Regelsatz zu beenden, bleibt auch das Bürgergeld – trotz einiger Verbesserungen – Armut per Gesetz." Die angekündigte Erhöhung von 50 auf 502 Euro gleiche gerade einmal inflationsbedingte Mehrkosten aus, ändere aber nichts an der Systematik und reiche weiterhin nicht, um die Betroffenen wirklich an der Gesellschaft teilhaben zu lassen. Ferschl: "Dafür müsste der Regelsatz mindestens um 200 Euro zuzüglich Stromkosten erhöht werden." Die Kritik von Unternehmen, dass 502 Euro für einen Alleinstehenden schon die Arbeitsbereitschaft untergraben würden, sei "zynisch", so Ferschl. "Fachkräfte fehlen nicht wegen zu hoher Regelsätze, sondern wegen miserabler Arbeitsbedingungen und Löhne", sagte sie.

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