Die Hauptstadt Kasachstans ist kein Ort, an dem Freude aufkommt. Astana, im Norden des Landes gelegen, wurde mitten in der Steppe hochgezogen. Im Winter geht das Thermometer auf 40 Grad minus runter, im Sommer auf 40 Grad hoch. Die Metropole mit ihren rund 1,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern wirkt künstlich, erbaut wurde sie mit den Dollars aus dem Rohstoffgeschäft. Korruption ist hier genauso weit verbreitet wie im restlichen Land. Die ehemalige Sowjetrepublik wird autoritär regiert, Präsident Kassim-Schomart Tokajew hat ein Vetorecht und kann Gesetze verhindern. Wer hier Geschäfte machen will, hat mit vielfältigen Hindernissen zu rechnen. Hier zählt, wer stark ist. Das gilt für den Bundeskanzler aus Deutschland nur noch eingeschränkt.
Astana ist die zweite Station für Olaf Scholz auf seiner dreitägigen Zentralasien-Reise. Der Region komme eine „wachsende Bedeutung“ zu, erklärt er und lobt Kasachstan als „starken Partner“. Viel mehr kann er im Moment gar nicht sagen. In seiner Ansprache vor einem Wirtschaftsforum greift er in der Not auf die persönlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern zurück - Hunderttausende Kasachen leben in Deutschland – und weist auf den Klimawandel hin.
Olaf Scholz in Asien: Mehr als Absichtserklärungen springen in Kasachstan nicht heraus
Viel ist das nicht. In Deutschland schwächelt die Wirtschaft, die Leute sind unzufrieden, haben Sorge um Job oder Rente – und viele davon wählen aus Enttäuschung seine SPD nicht mehr. Ein richtiger Wumms, wie der Kanzler so gerne sagt, müsste her, aber in Astana werden nur Abkommen und Absichtserklärungen unterzeichnet. Darin stehen Sätze wie: „Um den Anforderungen der nachhaltigen Entwicklung gerecht zu werden, wird die kasachische Seite weiterhin fortschrittliche, international anerkannte Standards in der Bergbauindustrie studieren und umsetzen.“ Das hört sich nicht nur wachsweich an, das ist es auch. Das knallharte Geschäft machen die anderen. Die Russen und die Chinesen zum Beispiel. Sie dominieren den Handel zusammen zu mehr als 50 Prozent.
Kasachstan ist zwar Deutschlands wichtigster Handelspartner in Zentralasien. Rund 400 deutsche Unternehmen sind im Land, im vergangenen Jahr belief sich das Handelsvolumen auf 8,75 Milliarden Euro. Trotzdem hat die deutsche Delegation das Gefühl: Hier geht noch mehr, hier ist das Potenzial nicht ausgeschöpft. Deutschlands heimlicher Exportschlager ist in Kasachstan gefragt: Bildung und Ausbildung. In der Heimat mag über das Bildungswesen zwar geflucht werden, hier steht es hoch im Kurs. Deutsche zeigen, wie das mit der Dualen Ausbildung funktioniert, das hilft jungen Menschen vor Ort, zahlt aber nur aufs Moral-Konto ein.
Deutschland bezieht Öl aus Kasachstan
Das große Geld bringen die Rohstoffe. Nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges verzichtete Deutschland auf russisches Öl und Kasachstan wurde zu einem sehr wichtigen Öllieferanten. Am Rande des Scholz-Besuchs wird vereinbart, dass die PCK-Raffinerie im brandenburgischen Schwedt mehr Öl aus Kasachstan bekommt. Zur monatlichen Lieferung von 100.000 Tonnen Rohöl bis Ende 2025 kommen weitere 50.000 Tonnen pro Monat dazu. Das Geld allerdings geht aufs kasachische, möglicherweise auch aufs russische Konto ein. Wie viel vom kasachischen Öl eigentlich russisches Öl ist? Niemand weiß es. Aber die deutsche Regierung begrenzt den Zufluss, will am Ende nicht doch wieder abhängig werden von Moskau. Auch deshalb möchte Deutschland ans kasachische Gas ran, schließlich wird die eigene Energieversorgung noch Jahre davon abhängen. Das könnte der Wumms sein. Aber dazu gibt es kein Abkommen.
Scholz wirkt müde, als er am Amtssitz des Präsidenten eintrifft. In der Heimat verfolgt ihn die Migrationsdebatte. Jeden Tag die Frage: Platzt die Ampel oder hält sie? Mit Kasachstan gibt es zumindest in der Asylpolitik keine Diskussionen. Dafür steht das Land immer wieder im Verdacht, Russland bei der Umgehung von Sanktionen behilflich zu sein. Präsident Tokajew hat inzwischen bekräftigt, dass sein Land die internationalen Sanktionen gegen Russland einhält. Gleichwohl gehen die Gerüchte weiter.
Nachhaken kann man den Präsidenten bei der Scholz-Reise nicht. Eine gemeinsame Pressebegegnung wurde kurzfristig abgesagt. Scholz wird später danach gefragt, er reagiert schmallippig, macht deutlich, dass immerhin er die Pressefreiheit hochhält. Doch die Sache ist kein Einzelfall mehr.
Schwindet Deutschlands Ansehen in der Welt?
2010 war Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Astana. Es ging damals um die Belebung des darbenden OSZE-Formats, die Deutsche wurde hofiert, jedes ihrer Worte hatte Gewicht. Es hätte sich damals wohl niemand auf kasachischer Seite getraut, eine Pressebegegnung mit Merkel abzusagen. Bei ihrem Nachfolger häufen sich nach Einschätzung von Beobachtern diese Vorfälle jedoch. Immer wieder mal muss Scholz auf seinen Reisen improvisieren. Es gibt dann einen sogenannten O-Ton, bei dem er Fragen deutscher Journalisten beantwortet. Aber das findet im Freien statt oder irgendwo in der Ecke eines Regierungssitzes, ohne Kameras des Gastlandes. Dass man sich der deutschen Gäste schämt, wäre zu stark formuliert. Angeben will man mit ihnen aber auch nicht mehr.
Die Absagehäufigkeit dürfte mit dem schwindenden Ansehen Deutschlands in der Welt zu tun haben. Die Produktivität sinkt, die Wirtschaft schwächelt, Rechtsextreme werden gewählt. Als Scholz mit Studierenden der Maksut-Narikbayev-Universität diskutiert, machen die sich tatsächlich Sorgen um Volkswagen. Der deutsche Abstieg wird mit ungläubigem Staunen beobachtet. Den Erfindern von Made in Germany geht die Puste aus?
Auf seiner Reise nach Usbekistan und Kasachstan kann Scholz daran nichts ändern. Er muss ziemlich unverrichteter Dinge wieder nach Deutschland zurück. Zurück zu den Problemen mit den Grünen und der FDP, zu Friedrich Merz und schlechten Umfragewerten. Besser wird es nicht: Am Samstag reist er nach New York und nimmt am „Zukunftsgipfel der Vereinten Nationen“ teil. Statt harter Dollars wird dieser Trip wieder nur warme Worte einspielen. Immerhin wird Scholz dann weit weg sein von Brandenburg, wo seine SPD am Sonntag bei der Landtagswahl den ersten Platz ausgerechnet an die AfD verlieren könnte.
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