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Debatte um Kampfpanzer: Heute Panzer, morgen Kampfjets? Waffen-Debatte ohne Ende

Debatte um Kampfpanzer

Heute Panzer, morgen Kampfjets? Waffen-Debatte ohne Ende

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    Ein Panzer Leopard 2A6 während einer Übung im niedersächsischen Bergen.
    Ein Panzer Leopard 2A6 während einer Übung im niedersächsischen Bergen. Foto: picture alliance / dpa

    Die Lieferung von 14 Leopard-2-Panzern war noch nicht offiziell bestätigt, da meldete sich der frühere ukrainische Botschafter Andrij Melnyk zu Wort. Mit dem ihm eigenen Selbstbewusstsein erklärte der jetzige Vize-Außenminister im ntv-Interview, dies könne nur "der erste Schritt" sein.

    Die Ukraine benötige jetzt eine Verstärkung ihrer Luftwaffe, sie benötige moderne Kampfjets, Tornados. "Wir bräuchten Kriegsschiffe, damit die Küste geschützt werden kann. Wir bräuchten auch U-Boote." Und das alles müsse viel schneller und zügiger gehen als bisher. Mit seinen Aussagen schien Melnyk die schlimmsten Befürchtungen aller Waffen-Skeptiker zu bestätigten: Egal wie viel Deutschland auch liefert, die

    Nach der Waffenlieferung ist vor der Waffenlieferung. Seit Beginn des Krieges vor elf Monaten diskutiert Deutschland nunmehr nahezu in Dauerschleife darüber, wie stark es die Ukraine unterstützen will und wo die Grenze sein soll. Wie Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch im Bundestag ausführte, verläuft die rote Linie nun bei Kampfflugzeugen. Aber wenn man bedenkt, wie sich die Dinge seit der berühmten Ankündigung von Ex-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (

    Umfragen zeigen seit Kriegsbeginn, dass die Bevölkerung in der Frage gespalten ist. So halten nach einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa für das RTL/ntv-"Trendbarometer" 53 Prozent die Panzerlieferung an die Ukraine für richtig und 39 Prozent für falsch. Vor allem im Osten ist die Missbilligung groß: Dort sind 65 Prozent dagegen. Eine Lieferung von Kampfflugzeugen lehnt die große Mehrheit der Befragten - 63 Prozent - ab.

    In anderen Ländern wird die Debatte nicht geführt

    Auffällig ist, dass es eine so intensive Waffen-Debatte wie in Deutschland in anderen Ländern nicht gibt. Nicht in Frankreich, nicht in Großbritannien, nicht in Polen, nicht in den Niederlanden. Warum ist das so? Die deutsche Geschichte! Die Bundesrepublik war im Kalten Krieg "Frontstaat", das heißt: Wenn es zu einem heißen Krieg gekommen wäre, hätte dieser als erstes Deutschland getroffen. Die Angst davor war im Alltag präsent. Wenn zum Beispiel von Ferne irgendein ungewohntes Grollen zu hören war, dann konnte es sein, dass irgendein Spaßvogel ausrief: "Die Russen kommen!" In der DDR lagen die Dinge wieder anders: Dort war Russland der große Bruder, den man fürchtete, aber auch respektierte. Dort herrschte das Gefühl vor, dass man gegen die übermächtige Sowjetunion am Ende doch nichts ausrichten konnte. Die Angst davor, den "russischen Bären" zu stark zu reizen, sitzt in Deutschland deshalb tiefer als in anderen Ländern.

    Dazu kommt die Last des Zweiten Weltkriegs. "Unternehmen Barbarossa" - Hitlers unvorstellbar grausamer Angriffskrieg gegen die Sowjetunion. Geschätzte Opferzahlen: zehn Millionen Soldaten der Roten Armee, 14 Millionen sowjetische Zivilisten. Und jetzt, nachdem deutsche Politiker jahrzehntelang Kränze in Moskau niedergelegt haben, sollen wieder deutsche Panzer gen Osten rollen?

    Dieses Argument lässt sich allerdings auch umdrehen: "Die Lektion aus der Geschichte ist nicht die, dass deutsche Panzer, ganz egal was der Kreml auch tut, niemals gegen Russland eingesetzt werden sollten, sondern dass sie genutzt werden sollten, um die Ukrainer zu schützen, die mit am meisten unter Hitler und Stalin gelitten haben", meint der britische Historiker und Karlspreisträger Timothy Garton Ash. So ähnlich fallen inzwischen praktisch alle Meinungsbekundungen westlicher Kommentatoren aus. Der israelische Historiker Yuval Noah Harari ("Eine kurze Geschichte der Menschheit") versicherte dem "Spiegel": "Ich kann das den Deutschen als Jude und Israeli und als Enkel von Holocaust-Überlebenden sagen: Wir wissen, dass ihr keine Nazis seid. Ihr braucht das nicht mehr zu beweisen. Deutschland muss jetzt aufstehen und führen, denn

    "Nie wieder Krieg" als BRD-Gründungsideal

    Doch eine Führungsrolle fällt Deutschland auf militärischem Gebiet weiter schwer. Die Bundesrepublik hat das einfach nicht in den Genen. "Nie wieder Krieg" war eines ihrer Gründungsideale. Daneben habe es aber immer auch noch einen anderen Referenzpunkt gegeben, erläutert der Militärhistoriker Sönke Neitzel der Deutschen Presse-Agentur: "Nie mehr allein." Alleingänge und Sonderwege sind der Bundesrepublik möglicherweise ein noch größerer Graus als militärische Abenteuer. Das gilt gerade auch für Olaf Scholz, der seit Beginn des Krieges immer wieder betont hat, dass Deutschland nur zusammen mit seinen Verbündeten handeln werde.

    Die Beteiligung eines ganz bestimmten Verbündeten war jetzt bei der Panzer-Entscheidung von äußerster Wichtigkeit: Erst als die USA ebenfalls die Lieferung von Kampfpanzern zugesagt hatten und Scholz somit sicher sein konnte, dass sich Deutschland nicht allein exponieren würde, sprang der erklärtermaßen vorsichtige Politiker über seinen Schatten. Neitzel vermutet dahinter "die alte deutsche Urangst, dass die Amerikaner die Europäer allein lassen könnten". Schon Bundeskanzler Helmut Schmidt habe im Kalten Krieg im vertraulichen Kreis gesagt, im Falle eines russischen Angriffs werde man kapitulieren müssen, denn die USA würden für Europa nicht das Verglühen ihrer eigenen Städte im Atomkrieg riskieren.

    Wie geht es nun weiter? Die entschlossensten Befürworter von Waffenlieferungen plädieren dafür, dass Deutschland der Ukraine einfach alles geben soll, was sie haben will. Der Verteidigungsexperte Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik hält diese Haltung für zu schlicht. "Mit dieser Begründung könnte man gleich auch - ich überspitze jetzt bewusst - Atomwaffen liefern", sagt er. "Die Ehrlichkeit gebietet es zu sagen, dass deutsche und ukrainische Interessen nicht immer deckungsgleich sind. Es mag im Interesse der

    Experte: Eigene Kriegsziele nicht ausreichend klar definiert

    Der Kern des Problems liegt für Kaim darin, dass Deutschland seine eigenen Kriegsziele bisher nicht ausreichend klar definiert habe. Die Linie der Bundesregierung ist, dass sie die Ukraine nach Kräften unterstützt und die Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj völlig unabhängig entscheidet, bis zu welchem Punkt sie gegen Russland weiterkämpfen will. Nach Meinung von Kaim müsste die Bundesregierung aber auch für sich selbst bestimmen, wie weit sie in dem Konflikt gehen will: "Wollen wir lediglich verhindern, dass die russischen Streitkräfte noch weiter vorrücken? Oder wollen wir erreichen, dass die ukrainische Armee die von

    Man könnte dem entgegenhalten, dass in diesem Krieg mit seinen überraschenden Wendungen gar keine langfristigen Planungen möglich sind. Niemand weiß, was in Wladimir Putins Kopf vor sich geht, aber auch was zum Beispiel die Höhe der ukrainischen Verluste betrifft, tappen Experten weitgehend im Dunkeln. Militärhistoriker Neitzel glaubt, dass die Stärke der Ukraine überschätzt wird: "Die Vorstellung, dass die

    Der Konfliktforscher Hein Goemans, der sich mit der Frage beschäftigt hat, wie Kriege letztlich zuende gehen, betont vor allem die Notwendigkeit, dass sich der Westen weiterhin konsequent und geschlossen hinter die Ukraine stellt. Das sei die einzige Sprache, die Putin verstehe, unterstreicht der Spezialist aus den USA im Gespräch mit der dpa. Putin müsse das Signal bekommen, dass der Westen sich nicht spalten lasse. Verhandlungsangebote nützten derzeit gar nichts.

    Aber was ist dann mit den düsteren Drohungen, die Putin und seine Leute jetzt gegen den Westen und auch konkret gegen Deutschland ausstoßen? Muss man davor gar keine Angst haben? Goemans' Rat: Nur nicht Bange machen lassen. "Russland kommuniziert immer über Drohungen. Es begann den Krieg mit Drohungen und hat nie damit aufgehört. Bisher waren es jedoch leere Drohungen - Bluff."

    (Von Christoph Driessen, dpa)

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