Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Hetze: Ein Augsburger erzählt: Wie "Querdenker" im Netz ihre Gegner bedrohen

Hetze

Ein Augsburger erzählt: Wie "Querdenker" im Netz ihre Gegner bedrohen

    • |
    Wie Alexander geht es vielen, die sich im Netz für die Impfung einsetzen, zum Tragen von Masken aufrufen oder über Verschwörungserzählungen aufklären. Sie werden zur Zielscheibe von Hass.
    Wie Alexander geht es vielen, die sich im Netz für die Impfung einsetzen, zum Tragen von Masken aufrufen oder über Verschwörungserzählungen aufklären. Sie werden zur Zielscheibe von Hass. Foto: Oliver Berg, dpa (Symbolbild)

    "Als für ungeimpfte Personen die Test-Pflicht ausgebaut wurde, begann für mich der Horror", sagt Tim, Mitte 20, aus Augsburg. Seinen Namen haben wir geändert, weil er sich gegen Anfeindungen im Netz schützen möchte. Während des Studiums arbeitet Tim in einem Testzentrum, führt Abstriche durch, untersucht

    Wie so häufig begann der Hass im Netz. "Zu Beginn der Pandemie habe ich in den Facebook-Kommentarspalten der großen Medien regelmäßig Wortgefechte mit Impfgegnern geführt", sagt er. "Besonders getroffen hat mich, dass hasserfüllte Posts und Kommentare viele hundert Likes erhielten." Impfgegner kommentierten unter seinen privaten Fotos, drohten mit Gewalt, montierten Bilder, die ihn als Hitler darstellten. Die Belastung wurde zu hoch. Er zog sich aus den sozialen Medien zurück.

    Die Gewalt beschränkt sich häufig nicht auf die digitale Welt

    Wie Tim geht es vielen, die sich im Netz für die Impfung einsetzen, zum Tragen von Masken aufrufen oder über Verschwörungserzählungen aufklären. Sie werden zur Zielscheibe von Hass. Der Anwalt Chan-jo Jun aus Würzburg gehört zu ihnen. Auf Twitter äußerte er sich unter anderem zu Falschbehauptungen von Corona-Leugnern. Sein Konto hat er inzwischen deaktiviert. Auch der Neu-Ulmer Hausarzt und "Impfluencer" Christian Kröner kündigte eine lange Twitter-Pause an.

    Allein in Bayern wurden 2021 insgesamt 2317 Verfahren wegen Hatespeech eingeleitet. Eine Steigerung von 41 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Angeklagt wurden 450, verurteilt 332. Wie weit der Hass im Netz führen kann, zeigte zuletzt der Fall Lisa-Maria Kellermayr. Im Netz setzte sich die Ärztin für die Corona-Impfung ein. Und wurde massiv bedroht. Impfgegnerinnen und Impfgegner waren immer wieder an ihrem Arbeitsplatz aufgetaucht, bis sie ihre Praxis schließen musste. Von der Polizei fühlte Kellermayr sich alleingelassen. Vor drei Wochen wurde sie tot in ihrer Praxis gefunden. Die Polizei geht von Suizid aus.

    Der Fall zeigt: Die Gewalt beschränkt sich oft nicht auf die digitale Welt. Davon berichtet auch Tim. "Zunehmend kamen selbsternannte Impfgegner zum Testen", sagt er. Ihr Hass richtete sich gegen ihn und seine Arbeit. Zwar verteilte er keine Spritzen. Aber in der Testpflicht für Ungeimpfte sahen die Impfgegnerinnen und Impfgegner eine Gängelung des Staats. Einige wurden aggressiv, erzählt er. Und projizierten ihre Aggression auf Tim und seine Kolleginnen. "Sie bezeichneten uns als Corona-Industrie, unterstellten, wir würden falsche Ergebnisse generieren", sagt er. "Ich hatte teils Panik, solche Menschen zu testen." Besonders gegen Kolleginnen richteten sich die Drohungen. Fast täglich seien sie sexistisch beleidigt worden, sagt Tim. Es fielen Sätze wie: "Dir würde ich das Stäbchen aber woanders reinstecken" oder "Wenn ich dir meinen Schwanz in den Rachen schiebe, würgst du auch."

    Mit dem Verlauf der Pandemie wurden die Demonstrationen größer – und damit auch die Zahl der Impfgegnerinnen und Impfgegner, die am Testzentrum vorbeizogen, in dem Tim arbeitete. "Es gab immer die Angst, einzelne Demonstranten könnten uns nach Dienstende auflauern." Im Januar wurde eine Sanitäterin nach einer Corona-Demo in Augsburg beschimpft und mit Steinen attackiert. Sie erlitt eine Platzwunde. Der Mann soll der Frau vorgeworfen haben, ihn und andere impfen zu wollen – dabei war sie nur auf dem Weg zu einem ehrenamtlichen Einsatz bei einem Eishockey-Spiel. "Der Angriff änderte alles. Ab dem Moment wurde ich panisch", sagt Tim, der selbst Rettungssanitäter ist.

    Inflation und eine weitere Corona-Welle könnten die Proteste wieder aufflammen lassen

    Auch der Extremismusforscher Andreas Zick beobachtet eine zunehmende Gewaltbereitschaft des Milieus. "Auf den Protesten nimmt die Gewalt zu. Ebenso steigt die Zahl der Angriffe auf Politiker, Ärzte, Polizistinnen und Polizisten und Wissenschaftler." Seit Beginn der Pandemie habe das Milieu sich zunehmend radikalisiert und von der Mehrheitsgesellschaft distanziert – auch wenn die Demonstrationen selbst weniger präsent sind. "Hass, Demos und Angriffe haben in den letzten zweieinhalb Jahren in den Verschwörungsmilieus zugenommen", sagt er. Die Feindbilder würden oft mühelos ausgetauscht.

    "Das alles ist aber nicht neu. Die Radikalisierung war von Anfang an angelegt." Zumal sich unter die Demonstranten gewaltbereite Rechtsextreme gemischt hätten, die Einfluss auf den Verlauf der Proteste nehmen. Die Gruppen wenden sich zum Teil neuen Themen dazu, darunter beispielsweise Klima, Migration, Energieknappheit. "Es steht eine schwere Zeit von Einsparungen bevor, eventuell eine weitere Corona-Welle und die Inflation bedient neue Opferbilder", sagt Zick. "Die Netzwerke formieren neue Aktionen, die jetzt sichtbar sind. In den Städten nehmen die sogenannten Spaziergänge wieder zu. Insgesamt steigt also das Risiko weiterer aggressiver Demos."

    Beraterin: "Die Rechte von Betroffenen digitaler Gewalt müssen gestärkt werden"

    Tim fühlt sich durch die Demonstrationen bedroht. Er hat das Gefühl, die Polizei nehme das Thema nicht ernst. "Dass diese Demos teils an Test- und Impfzentren vorbeiliefen, stellte für mich einen massiven Vertrauensbruch in Staat und Polizei dar", sagt er. Angezeigt hat er die Drohungen bisher nicht. Er habe nicht das Gefühl gehabt, dass das vom Betreiber des Testzentrums gewünscht wäre, sagt er. "Es gab ja auch viele positive Erlebnisse und nette Menschen. Nur dadurch habe ich all das andere überstanden."

    Eine, die Betroffenen von Bedrohungen hilft, ist Wanda Valenta. Sie arbeitet als Beraterin für "HateAid". Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Organisation mit Sitz in Berlin unterstützen Betroffene von digitaler Gewalt, hören zu, geben Rat zum Umgang mit Anfeindungen und finanzieren in einigen Fällen die Prozesskosten. "Die Rechte von Betroffenen digitaler Gewalt müssen gestärkt werden", sagt sie. "Im Gesetz und auf den Plattformen. Die Verantwortlichen bei Facebook, Telegram oder Twitter müssen erreichbar sein, schneller reagieren und konsequenter löschen."

    Außerdem fehle bei den Ermittlungsbehörden häufig das Problembewusstsein für digitale Gewalt. Bedrohungen würden zu häufig nicht konsequent verfolgt. Das Problem habe sich durch die Corona-Pandemie verschärft. Viele Beleidigungen kommen ­– so Valenta – aus rechten Milieus und dem Umfeld der Corona-Demonstrationen. "Menschen, die sich im Internet mit einer politischen Haltung zeigen oder selbst als Politikerinnen aktiv sind, werden angegriffen, sie sollen mundtot gemacht werden." Doch prinzipiell könne jeder betroffen sein. Manche Anfeindungen kommen auch aus dem privaten Bereich, andere werden grundlos zur Projektionsfläche von Hass, ohne politische Motivation.

    Sich von den sozialen Medien abzumelden, war für Tim keine leichte Entscheidung. "Ich habe Social Media vor der Pandemie nie als Belastung wahrgenommen." Doch inzwischen nehme der Hass im Netz Ausmaße an, dass es krank machen kann, sagt er. "Wir dürfen das Netz nicht den Verrückten überlassen, aber man muss für sich selbst auch eine Grenze ziehen, wenn es nicht mehr geht."

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden