Im neuerlichen Streit der Bundesregierung ums Geld könnten nach Ansicht des Armutsforschers Christoph Butterwegge ausgerechnet die finanziell Schwächsten unter die Räder kommen. „Man saniert den Bundeshaushalt auf Kosten der Ärmsten in unserer Gesellschaft und vergeht sich aus Spargründen an ihnen“, kritisiert er im Interview mit unserer Redaktion. Hintergrund: Der gerade erst mühsam errungene Haushaltskompromiss der Ampel ist wieder ins Wanken geraten. SPD, Grüne und FDP müssen noch eine Milliardenlücke schließen.
Gutachten nährt verfassungsrechtliche Bedenken am Haushalt
Bundesfinanzminister Christian Lindner hatte vergangene Woche ein wissenschaftliches Gutachten veröffentlicht, das verfassungsrechtliche Bedenken an der Budgetplanung nährt. Der FDP-Chef hält Nachverhandlungen für zwingend. Er will nicht noch einmal einen Haushalt vorlegen, der später vom Verfassungsgericht einkassiert wird. Am Montag stellte er sich in Potsdam den Fragen von Bürgerinnen und Bürgern. Auch hier ging es ums Geld. Lindner versicherte, es sei keine Option, Steuern zu erhöhen. Der Minister wehrt sich auch weiter vehement gegen eine Aufweichung der Schuldenbremse: „Es ist eine große Priorität, dass wir nachhaltige Staatsfinanzen haben.“
Lindner betont, der Staat habe kein Problem mit den Einnahmen, sondern mit zu hohen Ausgaben. Armutsforscher Butterwegge fürchtet, dass die Regierung die falschen Schlüsse daraus zieht. „Wenn die öffentlichen Kassen leer sind, müssten die politisch Verantwortlichen schauen, wer mehr Geld für den Staat erübrigen kann – und das können die Armen am allerwenigsten“, sagt er. Ausgerechnet beim Bürgergeld über Nullrunden zu sprechen, sei der völlig falsche Ansatz.
Armutsforscher Butterwegge kritisiert die CDU
Tatsächlich hatte das Finanzministerium angekündigt, die „Treffsicherheit von Sozialleistungen“ unter die Lupe nehmen zu wollen. Hinter dieser Verklausulierung steckt unter anderem die Debatte um das Bürgergeld, die nicht nur zwischen Regierung und Opposition, sondern auch innerhalb der Ampel geführt wird. Es geht im Kern um die Frage, ob Menschen, die nicht arbeiten, die gleiche Unterstützung erhalten sollen wie Menschen, die nicht arbeiten können. Butterwegge kritisiert hier vor allem die Union. „Es gibt Sozialneid nach unten. Spitzenpolitiker der CDU unterstellen einfach über 100.000 Bürgergeldempfängerinnen und -empfängern, dass sie nicht arbeiten wollen, sondern Totalverweigerer seien.“
Das Bürgergeld war ein Kernanliegen der SPD, dementsprechend alarmiert ist man in den Reihen der Sozialdemokraten. Aber auch Butterwegge hält es für fatal, dass sich die Spardebatte so stark auf Sozialleistungen fokussiert hat. „Der Blick richtet sich stets nach unten. Entsolidarisierungstendenzen haben in unserer Gesellschaft einen weiteren Höhepunkt erreicht“, sagt er und betont, dass die Ausgaben des Sozialstaates in Relation zur Wirtschaftsleistung gesetzt werden müssten. Tut man dies, seien sie im historischen Vergleich „aktuell gar nicht besonders hoch“.
Esken wirft Lindner vor, sich nur profilieren zu wollen
In der ohnehin angeschlagenen Ampel-Koalition liegen die Nerven blank. SPD-Chefin Saskia Esken schloss bereits aus, dass im Sozialbereich gespart werde. Sie wirft Lindner vor, zur eigenen Profilierung mit dem Gutachten vorgeprescht zu sein und bezeichnete das Verhalten des Koalitionspartners als „unanständig“. Der Finanzminister konterte in Potsdam und führte Eskens Angriff eher auf deren mangelnde Kenntnis über die Absprachen in der Bundesregierung zurück.
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