In diese Steuerschätzung hatten die Bundesministerien viel Hoffnung gesetzt: Mehr Einnahmen sollten im festgefahrenen Streit um den Bundeshaushalt zusätzliche Spielräume schaffen. Je mehr Wünsche erfüllt werden könnten, desto eher könne man sich einigen, so die Hoffnung. Nun ist klar, dass es anders kommt. Der Bund muss im kommenden Jahr mit weniger Geld auskommen, als die Steuerschätzer noch im Herbst voraussagten. Für Finanzminister Christian Lindner ist das keine Überraschung. Der FDP-Chef sieht sich in seinen Spar-Aufrufen bestätigt.
"Was nun aber ist die Konsequenz aus den vorgelegten Zahlen? Keine", sagte Lindner daher bei Vorstellung der Zahlen im japanischen Niigata, wo er sich bis Samstag mit anderen G7-Finanzministern trifft. Spielräume für zusätzliche Wünsche gebe es nicht - das habe er aber vorher auch schon gesagt.
Grund für das Minus ist unter anderem der nach der letzten Schätzung beschlossene Inflationsausgleich bei der Einkommensteuer. "Wir geben den Menschen und Betrieben im Schätzzeitraum jährlich rund 34 Milliarden Euro zurück", erklärte Lindner. Der Schätzzeitraum umfasst die Jahre bis 2027 - hier prognostizieren die Schätzer für den Gesamtstaat, also Bund, Länder und Kommunen, ein jährliches Einnahme-Minus von durchschnittlich rund 30 Milliarden Euro. Das beweise, dass der Staat sein Versprechen halte, sich nicht an der Inflation zu bereichern, betonte Lindner.
Lindner: Geben kein Geld aus, das wir nicht haben
Dem Bund stehen laut Prognose der Schätzer im kommenden Jahr rund 377,3 Milliarden Euro an Steuereinnahmen zur Verfügung. Damit hat Lindner 13 Milliarden weniger Spielraum in seinem Etat als im Herbst gedacht. Der Finanzminister selbst hat eine Haushaltslücke von rund 20 Milliarden Euro ausgemacht. Unter anderem müssen auch Mehrkosten durch den Tarifabschluss im öffentlichen Dienst und höhere Zinsen kompensiert werden. Diese Lücke müsse durch Verzicht erwirtschaftet werden, betonte er. "Wir können nur das Geld ausgeben, das die Menschen und Betriebe in diesem Land erwirtschaften."
Lindner sieht dabei weniger ein Einnahmeproblem - die Bürgerinnen und Bürger zahlten bereits hohe Steuern -, sondern ein Ausgabeproblem. Das heißt übersetzt: Die Bundesregierung, seine Ministerkollegen müssten sparen. Das macht die Aufstellung des Haushaltsplans für 2024 weiterhin schwierig. So schwierig, dass der ursprünglich angepeilte Termin für die Vorlage im Kabinett nicht mehr zu halten ist. Lindner kann den Entwurf erst nach dem 21. Juni vorlegen.
Er führt dafür in erster Linie technische Gründe an: Die Zeit zwischen Steuerschätzung und Kabinettstermin sei so kurz, dass handwerklich überhaupt kein Entwurf erstellt werden könne. Doch auch von einer inhaltlichen Einigung scheint die Ampel-Koalition noch weit entfernt.
Lindner besteht darauf, die im Grundgesetz vorgeschriebene Schuldenbremse im kommenden Jahr wieder einzuhalten. Steuererhöhungen zur weiteren Steigerung der Einnahmen schließt er auf der anderen Seite aber ebenfalls aus. Seine Rechnung geht daher nur auf, wenn einige Ministerkollegen auf Ausgaben und Wünsche verzichten.
Zeitplan noch unklar
Haushaltspolitiker aus dem Bundestag zeigten sich überrascht von der Verschiebungs-Nachricht aus Japan. Sie wollen, dass der Minister sich im Bundestagsausschuss erklärt. "Für uns ist klar: Der Regierungsentwurf muss vor der Sommerpause vorliegen, damit ein geordnetes parlamentarisches Verfahren gewährleistet ist", sagte SPD-Haushälter Dennis Rohde.
Lindner selbst ließ sich zum Zeitplan nicht in die Karten schauen, sagte aber Informationen dazu noch im Laufe des Monats zu. Der Bundestag werde den Entwurf ganz normal beraten können, versprach er. Üblich ist ein Beschluss im Dezember, dem gehen aber normalerweise monatelange Beratungen in den Bundestags-Ausschüssen voraus. "In der parlamentarischen Sommerpause beschäftigen sich die Haushälter ziemlich intensiv mit einem Haushaltsentwurf, wenn er denn vorliegt", sagte Lindner und deutete damit an, der Entwurf könne vor der Sommerpause vorliegen.
Union: "Ein Trauerspiel"
In der Opposition sieht man die Haushaltssituation nun "maximal angespannt und ungelöst". "Die bereits über Monate andauernde Uneinigkeit und Lethargie in der Haushaltspolitik ist ein Trauerspiel und sollte schnellstmöglich überwunden werden", betonte Unions-Haushälter Christian Haase (CDU). "Den Utopisten bei SPD und Grünen ist endlich Einhalt zu bieten."
Auch für den Gesamtstaat, also Bund plus Länder und Kommunen, sagten die Schätzer weniger Einnahmen voraus: Ein Minus von 16,8 Milliarden in diesem Jahr, 30,8 Milliarden weniger in 2024. Ähnlich soll es in den Folgejahren weitergehen. Zuletzt war vermutet worden, der Gesamtstaat könne schon im kommenden Jahr die Einnahmeschwelle von einer Billion knacken - jetzt wird das erst für 2025 erwartet.
Der Bund der Steuerzahler forderte eine konsequente Einhaltung der Schuldenbremse und einen Abbau "wachstumshemmender Belastungen für Bürger und Betriebe", wie Verbandspräsident Reiner Holznagel sagte.
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) verlangte bessere Abschreibungsbedingungen und mehr Investitionen am Standort Deutschland. "Die Ergebnisse der heutigen Steuerschätzung sind ein Weckruf: Wenn die Wirtschaft nicht rund läuft, kommt auch in den Staatskassen weniger an", mahnte Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte "einen Einkommensteuertarif, der den Großteil der Menschen entlastet, aber wirkliche Spitzenverdiener stärker in die Pflicht nimmt" sowie eine Wiedererhebung der Vermögensteuer und eine gerechtere Erbschaftsteuer.
(Von Theresa Münch und Felix Müschen, dpa)