Dass Regierung und Opposition zwei Paar Schuhe sind, können die Wähler gerade am neuen Finanzminister beobachten. Christian Lindner hatte sich ihnen noch im Wahlkampf als Wahrer der soliden Haushaltspolitik präsentiert. Keine Woche im Amt, lädt der FDP-Vorsitzende nun nach und verschafft dem Staat 60 Milliarden Euro zusätzlich.
Das Geld wird über Staatsanleihen beschafft, die Verschuldung steigt also. „Diese Bundesregierung geht schnell und entschlossen die großen Herausforderungen unseres Landes an“, erklärte Lindner und sprach von einem Booster für die Wirtschaft.
Geld für E-Autos und saubere Fabriken
Die Mittel fließen in den Energie- und Klimafonds, einen Sondertopf zur Finanzierung des klimafreundlichen Umbaus von Wirtschaft und Gesellschaft. Daraus sollen zum Beispiel Zuschüsse für Chemiefabriken und Stahlhütten bezahlt werden, um die Produktion auf den teureren aber sauberen Wasserstoff umstellen zu können. Oder der Bonus für den Kauf von E-Autos.
Denkbar ist auch, dass die Abschaffung der Ökostrom-Umlage aus diesem Nebenhaushalt finanziert wird. Bisher berappen Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die allermeisten Unternehmen die Umlage automatisch mit der Stromrechnung. Sie ist ein Grund dafür, dass Strom in Deutschland so teuer ist.
Lindner bemühte sich am Montag, die neuen Schulden als eigentlich alte zu verkaufen. Tatsächlich zieht er eine Kreditermächtigung, die der alte Bundestag bereits beschlossen hatte und die noch nicht abgerufen wurde. Die Ampel-Koalition hätte darauf verzichten können, wollte sich aber die Gelegenheit nicht entgehen lassen, die Ausnahme von der Schuldenbremse zu nutzen. Wegen der Corona-Pandemie darf der Bund ausnahmsweise deutlich mehr Schulden machen, als es die Schuldenbremse für Normaljahre vorsieht.
Große Zweifel an der Verfassungsfestigkeit
Dennoch geht die Regierung einen riskanten Weg. Der Bundesrechnungshof hält das Schuldenmachen auf Vorrat für unvereinbar mit der Verfassung. Der Grund: Die Gelder aus dem Krisenjahr müssten zweckgebunden für den Kampf gegen die wirtschaftlichen Schäden der Pandemie eingesetzt werden. Der hessische Staatsgerichtshof hat erst vor kurzem einen ähnlichen Versuch der Landesregierung, sich eine solche Kriegskasse zu schaffen, wieder kassiert. Die Bundesregierung geht hingegen davon aus, dass Hessen nicht auf den Bund übertragen werden könne.
Der Wirtschaftsprofessor Jens Südekum von der Universität Düsseldorf hält die rasche Geldbeschaffung trotz rechtlicher Bedenken für sinnvoll, weil in der Pandemie die Investitionen stark zurückgegangen sind und sich langsamer erholen. „Insofern ist es gut begründbar, dass der Bund eine Rücklage aufbaut, um damit in den kommenden Jahren die ökonomischen Folgen der Krise zu überwinden.“
Pikant an seinem Vorgehen ist, dass Lindner in seiner Rolle als Oppositionspolitiker das Schuldenmachen für die Reserve noch angeprangert hatte: „Die Bundesregierung verschiebt Steuergelder in Nebenhaushalte und Rücklagen und untergräbt damit den Grundsatz der Jährlichkeit."
Die Union hat die Rollen getauscht und kritisiert jetzt wiederum Lindner. „Schattenhaushalte werden aufgebaut und die Tilgung der Corona-Schulden wird weit in die Zukunft verschoben“, sagte der CDU-Haushaltspolitiker Andreas Jung unserer Redaktion. Die Haushaltsgrundsätze seien aber Klarheit und Wahrheit, „nicht Schatten und Nebel.“ Bayerns Finanzminister Albert Füracker (CSU) monierte, dass Lindner nach fünf Tagen seine Überzeugungen über Bord geworfen habe:. „Deutschland muss innerhalb der EU der Stabilitätsanker bleiben und jegliches Anzeichen für eigene kreative Haushaltspolitik vermeiden.“