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Haushalt: Die Regierung ist in Finanznot – wie geht es jetzt weiter?

Haushalt

Die Regierung ist in Finanznot – wie geht es jetzt weiter?

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    60 Milliarden Euro fehlen der Regierung auf einen Schlag. Doch es könnte noch schlimmer kommen.
    60 Milliarden Euro fehlen der Regierung auf einen Schlag. Doch es könnte noch schlimmer kommen. Foto: Patrick Pleul, dpa

    Was bedeutet eine Haushaltssperre?

    Es heißt jedenfalls nicht, dass Bundesbehörden heruntergefahren werden. Die Situation in Deutschland ist also nicht vergleichbar mit der Rechtslage in den Vereinigten Staaten von Amerika. „Bestehende Verbindlichkeiten werden weiter eingehalten, es dürfen nur keine neuen eingegangen werden“, teilte das Finanzministerium mit.

    Warum wurde die Sperre nötig?

    Das Urteil der Verfassungsrichter zur Schuldenbremse stellt die bisherige Finanzpraxis fundamental infrage. Nicht nur die Auszahlungen aus dem eigentlich beklagten Sondertopf "Transformations- und Klimafonds", dem das Gericht 60 Milliarden Euro strich, sind betroffen. Auch Gelder aus weiteren Nebenhaushalten haben wahrscheinlich gegen das Grundgesetz verstoßen. Im Feuer stehen unter anderem die staatlichen Subventionen für die Strom- und Gaspreisbremse. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat bereits das Aus für diese Hilfen angekündigt. 2023 haben beide Preisbremsen laut Bundesrechnungshof allein bis Ende September 32,3 Milliarden Euro gekostet. Weil das wohl gegen die Verfassung verstieß, muss der Betrag wiederbeschafft werden. Denkbar ist, dass zu der Summe noch weitere Gelder kommen, die aus anderen Schattenhaushalten, wie zum Beispiel dem Hilfsfonds für den Aufbau des Ahrtals nach der Flut, finanziert wurden.

    Woher soll das Geld kommen?

    Mittlerweile kristallisiert sich heraus, dass die Ampelkoalition rückwirkend für 2023 eine Notlage ausrufen will. Damit soll die Möglichkeit geschaffen werden, die Schuldenbremse auszusetzen. Die abgeflossenen Gelder für die Energiepreisbremsen sollen am Finanzmarkt über Kredite beschafft werden, um die Bilanz auszugleichen. Dazu bedarf es eines Nachtragshaushaltes. Der Wirtschaftsberater von Finanzminister Christian Lindner (FDP), der Ökonomieprofessor Lars Feld, hat genau das vorgeschlagen. Die Begründung des Lindner-Vertrauten mutet allerdings nach einer juristischen Verrenkung an. Weil die Bundesregierung nicht mit dem Urteil der Verfassungsrichter habe rechnen können, sei jetzt die rückwirkende Ausrufung der Notlage geboten. Immerhin: Feld steht mit seiner Argumentation nicht allein da. Auch der Rechtsprofessor Hanno Kube von der Universität Heidelberg sieht darin einen gangbaren Weg. „Ein Nachtrag für 2023 ist aus meiner Sicht sehr, sehr naheliegend“, sagte der Jurist am Dienstag bei einer Anhörung im Haushaltsausschuss des Bundestages. Kube ist nicht irgendwer. Er hatte die Unionsfraktion bei ihrer Klage gegen eben jenes Finanzgebaren der Ampelkoalition beraten, die zu dem wegweisenden Urteil in Karlsruhe führte.

    Was heißt das für den Finanzminister?

    Für Finanzminister Christian Lindner (FDP) wäre es gleichwohl eine schwere persönliche Niederlage. „Die neue Rechtsklarheit ist kein Anlass, die Schuldenbremse zu schleifen, sondern sie zu stärken“, hatte er erst am Wochenende gesagt. Der 44-Jährige hatte zuletzt immer wieder gemahnt, dass die (zu hohen) Ausgaben in den Fokus genommen werden müssten. Für den Finanzminister pikant ist auch, dass er gemeinsam mit SPD und Grünen das verfassungswidrige Aufladen des Klimafonds mit den 60 Milliarden Euro vorangetrieben hat. Die Idee hatte allerdings sein Vorgänger im Amt: der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). 

    Hätte die Ampel das Urteil erahnen können?

    Ja. Der unabhängige Stabilitätsrat beim Bundesfinanzministerium warnte schon im Dezember 2021 vor „erheblichen verfassungsrechtliche Risiken“ der Operation zur Aushebelung der Schuldenbremse. Der Staatsgerichtshof in Hessen hatte außerdem einen ähnlich gestrickten Krisenfonds des Bundeslandes für unvereinbar mit der dortigen Landesverfassung erklärt. 

    Was heißt das für den Haushalt 2024?

    Die Ampel muss nicht nur rückwirkend ein Milliardenloch im laufenden Jahr schließen, sondern auch im kommenden. Denn die 60 Milliarden Euro für den Klimafonds haben die Verfassungsrichter gestrichen. 2024 wird nicht die volle Summe fällig, sondern ein Anteil von 20 Milliarden Euro. Eingeplant war das Geld beispielsweise für die E-Autoprämie, den Heizungszuschuss, Bahngleise und Chipfabriken. In der Koalition tobt jetzt der Streit, ob Ausgaben gekürzt oder Steuern erhöht werden müssen. SPD und Grüne plädieren dafür, die Schuldenbremse zu reformieren oder ganz abzuschaffen. Trotz vieler offener Fragen ist die Koalition fest entschlossen, von Donnerstag und auf Freitag in der zweiten Bereinigungssitzung das Zahlenwerk festzuzurren. 

    Ist das ohne Risiko?

    Nein, sagt die Union. CDU-Haushaltsexperte Christian Haase warnte die Koalition am Dienstag davor, „sehenden Auges in einen verfassungswidrigen Haushalt“ hineinzulaufen. Die Union, die mit ihrer erfolgreichen Klage vor dem höchsten deutschen Gericht die Regierung vor die schwerste Probe gestellt hat, fordert die Absage der Bereinigungssitzung an diesem Donnerstag. 

    Was bedeutet das Urteil ökonomisch?

    Die zur Expertenanhörung geladenen Wirtschaftsprofessoren waren sich am Dienstag einig, dass ein Ausfall der Gelder aus dem Klimafonds zum grünen Umbau der Wirtschaft das Zeug hat, Deutschland in einen hartnäckigen Abschwung zu schicken. Dieses Jahr stehen ohnehin alle Zeichen auf Rezession, doch nun wackelt auch die vorausgesagte Erholung im folgenden Jahr. „Wir sind gesamtwirtschaftlich in einer außerordentlich schwierigen Situation“, mahnte der Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther. Der Wirtschaftsprofessor Jens Südekum von der Universität Düsseldorf schlug in die gleiche Kerbe. „Das hätte das Potenzial, die Rezession, in der wir stecken, erheblich zu verlängern.“ Unter deutschen Ökonomen gibt es eine breite Übereinstimmung, dass die Schuldenbremse reformiert werden muss. Investitionen in Wirtschaft und Infrastruktur sollen auf Kredit möglich sein. 

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