Das Ende des ungeliebten Hartz IV war für die SPD eines der wichtigsten Projekte dieser Koalition. Schon der Name Bürgergeld sollte die vielen Wunden vergessen machen, welche die Reformen der Agenda 2010 aus der Ära Gerhard Schröders innerhalb der Reihen der Sozialdemokraten schmerzhaft hinterließen. Die heutige Parteiführung und SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil waren so clever, das Vorhaben mit all seinen Kosten gleich als Erstes rasch zu Beginn der Wahlperiode des Bundestags über die Bühne zu bringen.
Denn unter den gewaltigen Haushaltsproblemen, vor denen die Ampel seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse steht, wäre die große Sozialreform kaum so einfach machbar gewesen. Obendrein wird das Bürgergeld für die Ampel deutlich teurer als erwartet. Arbeitsminister Heil musste für das laufende Jahr zusätzliche 3,25 Milliarden Euro beim Finanzminister „als überplanmäßige Ausgabe“ für das Bürgergeld sowie die Zuschüsse für Wohn- und Heizkosten der Leistungsbezieher anmelden.
Bürgergeld: Über vier Milliarden Euro Mehrkosten durch Regelsatz-Erhöhung
Heil begründete die Ausgaben zum einen mit der hohen Inflation bei den Kosten für Lebensmittel und Energie sowie dem Anstieg der Mieten und weiterer Nebenkosten. Zum anderen sei die Zahl jener Arbeitslosen gestiegen, die je nach Alter nach zwölf bis 24 Monaten aus dem normalen Arbeitslosengeld gefallen seien.
Auch fällt die Zahl der Bürgergeldempfänger unter den erwerbsfähigen ukrainischen Kriegsflüchtlingen mit einer halben Million höher aus, als die Regierung kalkuliert hatte. Heil kündigte inzwischen ein Programm mit dem schönen Namen „Job-Turbo“ an, um ukrainische und andere Flüchtlinge schneller in Arbeit zu bringen, statt sie erst einmal durch alle Stufen der Sprach- und Integrationskurse zu manövrieren.
Obendrein kommen für das kommende Jahr weitere über vier Milliarden Euro Mehrkosten für die von der Bundesregierung im September beschlossene Erhöhung der Regelsätze: Um zwölf Prozent steigt die Arbeitslosenunterstützung - so stark wie noch nie: Alleinstehende bekommen ab Januar 563 Euro, 61 mehr als bisher.
Union will die Bürgergeld-Reform rückgängig machen
Insgesamt gibt es derzeit fünfeinhalb Millionen Leistungsberechtigte, davon gelten laut Bundesagentur für Arbeit 3,9 Millionen Männer und Frauen als erwerbsfähig. Seit dem vergangenen Jahr stieg die Zahl um 200.000, allerdings lagen die Zahlen vor dem Ukraine-Krieg und der Corona-Pandemie meist deutlich über vier Millionen. Laut Fachleuten ist deshalb unklar, ob die Bürgergeldreform zu mehr, weniger oder einer ähnlich hohen Zahl an Beziehern führt.
Dennoch will die Union die Reform rückgängig machen. "Wir wollen das Bürgergeld in dieser Form wieder abschaffen“, sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann diese Woche der Süddeutschen Zeitung. Es gebe in Deutschland aus guten Gründen keinen Arbeitszwang. „Wer nicht arbeiten will, muss das nicht tun - er kann dann aber auch nicht erwarten, dass die Allgemeinheit für seinen Lebensunterhalt aufkommt.“ Denn der Sozialstaat müsse „für die wirklich Bedürftigen da sein, die nicht arbeiten können“.
Nicht nur der Bund, sondern auch die Gemeinden leiden unter den steigenden Kosten: „Wir haben schon im ersten Halbjahr 2023 gesehen, dass die Ausgaben für Sozialleistungen in den Kommunen um 3,9 Milliarden höher waren als 2022“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds Gerd Landsberg unserer Redaktion. „Wir erwarten, dass es im Jahr 2024 nach der erneuten Erhöhung wiederum einen deutlichen Anstieg der Kosten geben wird.“
Kürzungen im Etat der Jobcenter "schwer nachzuvollziehen"
Umso wichtiger sei es, erwerbsfähige Bürgergeldempfänger in Arbeit zu bringen, betont Landsberg. Doch im Sinne des Grundsatzes vom „Fördern und Fordern“ sei es unverständlich, dass die Ampelkoalition ausgerechnet die Mittel für die dafür zuständigen Jobcenter um gewaltige 400 Millionen kürzen will. „Die Kürzungen im Etat der Jobcenter sind angesichts der weiterhin hohen Zahl an Langzeitarbeitslosen schwer nachzuvollziehen“, kritisiert Landsberg.
Der Städtebund-Geschäftsführer verweist darauf, dass der Bund schon in diesem Jahr die Jobcenter-Zuschüsse um die gleiche Summe gekürzt hatte, sodass die Betreuung und Beratung nicht so wie mit der Reform versprochen angeboten werden könne. „Teilweise fehlen die Mittel für Qualifikation und Weitervermittlung in den Jobcentern“, kritisiert Landsberg. „Aus unserer Sicht muss der Bund weiterhin zu seinen Verpflichtungen stehen und die Jobcenter auskömmlich finanzieren, sodass sie ihre Aufgabe „Fördern und Fordern“ weiterhin erfüllen können.“
Abseits davon stellt Landsberg der Sozialreform bislang aber ein positives Zeugnis aus: „Im Bereich des Bürgergelds hat die Umsetzung aus unserer Sicht gut und geräuschlos geklappt“, sagt er.