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Haben die Grünen die Union beim Klimaziel über den Tisch gezogen?

Bundestag

Klimaziel kommt ein bisschen ins Grundgesetz

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    Demonstration für mehr Klimaschutz: Droht eine Klagewelle?
    Demonstration für mehr Klimaschutz: Droht eine Klagewelle? Foto: Jens Büttner, dpa

    Sollte der Bundestag an diesem Dienstag tatsächlich mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit die Verfassungsänderungen für das gigantische Schuldenpaket von Union und SPD beschließen, könnte erstmals in der deutschen Geschichte das Wort „Klima“ im Grundgesetz auftauchen. Die Grünen haben für ihre Zustimmung zu dem Finanzpaket von Schwarz-Rot nicht nur als Kompromiss herausverhandelt, dass daraus hundert Milliarden in den Klimaschutz fließen sollen. Dies soll zudem ins Grundgesetz geschrieben werden als „zusätzliche Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045“ im neuen Artikel 143h.

    Ziehen die Grünen die Union bei der Grundgesetzänderung über den Tisch?

    Inzwischen fragen sich Politiker und Juristen, ob die Grünen mit den neu formulierten Verfassungsänderungen die Union über den Tisch gezogen haben. Zwar hatten Union und SPD schon vor vier Jahren unter CDU-Kanzlerin Angela Merkel das Zieldatum der Klimaneutralität bis 2045 ins damalige Klimaschutzgesetz geschrieben.

    Doch seitdem gibt es immer wieder Stimmen in der politischen Debatte, die angesichts der hohen Kosten mahnen, dass Deutschland sich lieber nach dem von der Europäischen Union beschlossenen Ziel richten solle. Demnach sollen erst etwas später, ab dem Jahr 2050, nicht mehr Treibhausgase in die Atmosphäre gepustet werden, als die Natur aus der Luft filtern kann. Die bayerische Regierung unter CSU-Chef Markus Söder ist von ihrem ehrgeizigen Ziel, die Klimaneutralität schon 2040 anzustreben, inzwischen wieder abgerückt.

    Verfassungsrechtler nennt Klimaziel im Grundgesetz „Hoch-Risiko-Aktion“

    Der Verfassungsrechtler Josef Franz Lindner sagte nun der Bild-Zeitung: „Die Aufnahme von ‚Klimaneutralität 2045‘ in den Text des Grundgesetzes ist eine verfassungsrechtliche Hoch-Risiko-Aktion.“ Der Augsburger Juraprofessor hält eine Klagewelle von Umweltinitiativen und anderer Nichtregierungsorganisationen gegen künftige Gesetze für möglich, falls sie gegen das Klimaziel verstießen. Es sei durchaus realistisch, „dass das Bundesverfassungsgericht auf Klagen von NGO die ,Klimaneutralität 2045‘ als verbindlichen verfassungsrechtlichen Handlungsauftrag an den Staat interpretiert“, erklärte Lindner.

    Allerdings sehen nicht nur Unionspolitiker, sondern auch andere Staatsrechtler die Rechtslage entspannter. Allen voran erklärte der ehemalige Verfassungsrichter und Bonner Juraprofessor Udo Di Fabio, dass der geänderte Grundgesetzartikel keine neuen bahnbrechenden Urteile aus Karlsruhe erwarten lasse. „Das ist eine finanzverfassungsrechtliche Vorschrift, die eine Zweckbindung formuliert“, sagte Di Fabio der Frankfurter Allgemeinen. „Daraus ergibt sich kein Staatsziel, wie wir es kennen mit dem Sozialstaatsziel oder dem Schutzauftrag für die natürlichen Lebensgrundlagen in Artikel 20 und 20a des Grundgesetzes“, betonte er. „Das Ziel der Klimaneutralität für Deutschland bis 2045 ist allein im Klimaschutzgesetz des Bundes fixiert und könnte dort auch weiter ausgestaltet oder verändert werden.“ Er betrachte „die Warnung vor einem trojanischen Pferd der grünen Zustimmung zum Sondervermögen als übertrieben“, stellte Di Fabio fest.

    Derzeit liegt Deutschland laut Umweltbundesamt beim Klimaziel auf Kurs

    Derzeit liegt Deutschland laut Umweltbundesamt auf Kurs, zumindest was die Absenkung des Treibhausgasausstoßes insgesamt angeht. Wie die Behörde am Freitag mitteilte, haben der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Emissionshandel dazu geführt, dass der Ausstoß im vergangenen Jahr um 3,4 Prozent gesunken sei. Damit sei das Etappenziel für 2030 in greifbarer Nähe. Bis zum Jahr 2045 müsste allerdings erheblich mehr geschehen, vor allem im Verkehrs- und Gebäudebereich, mahnte das Umweltbundesamt.

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    8 Kommentare
    Franz Xanter

    Was hat eine konkretisierte und somit eindeutig festgelegte Jahreszahl im Grundgesetz zu suchen? Nichts! Ziele können konkretisiert werden, aber eine eindeutig und unumkehrbare Festschreibung hat da nichts zu suchen! Was passiert, wenn auch welchen Gründen auch immer oder bedingt durch gemeinsamen Konsens diese Jahreszahl geändert werden soll? Nur mit 2/3-Mehrheit möglich! Welch ein Aberwitz! Mir erscheint, hier hat man wieder einmal die Notwendigkeit und Logik vernachlässigt.

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    Robert Miehle-Huang

    Ziele müssen konkret sein, ganz einfach. Sonst ist eine Zielerreichung nicht messbar.

    Lothar Bock

    Absolut richtig. Es ist augenscheinlich Symbolpolitik, allerdings wenn es dort steht, ist es auch ein einklagbares Grundrecht. Allerdings, und das ist auch in den Diskussionen zum Gesetzentwurf angemerkt worden (siehe Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses, Drucksache 20/15117Bundestagsseite): "Zum einen ergeben sich erhebliche definitorische Unsicherheiten hinsichtlich des Begriffs der Klimaneutralität und damit einhergehende Zweifel an der Einhaltung des Bestimmtheitsgebot..." Man kann Klimaneutralität nicht real messen. Ändert sich etwas , wenn wir 5 Jahre früher klimaneutral werden, als die EU insgessamt? Dem Klimasystem ist es egal, ob und wie schnell wir klimaneutral werden. Es ist eine globale Aufgabe, die am besten funktioniert, wenn zeitgleich auf globaler Skale ähnliche Anstrengungen unternommen werden. Außer dass es uns vielleicht viel mehr Anstrengungen abverlangt, hat eine frühere Neutralität auf vielen Skalen eine (sehr) geringe Effektgröße.

    Lothar Bock

    Witzig, das geht ja jetzt schon los. In der aktuellen Sondersitzung im Bundestag: Dobrindt nennt die Argumentation der Grünen bzgl Klimaneutralität im GG auf Nachfrage eines AfD-Abgeordneten absurd. Die Grünen-Abgeordnete Brantner widerspricht ausdrücklich... Das kommt wohl davon, wenn man Gesetze im Eilverfahren durchpeitschen möchte...

    Martin Dünzl

    Man kanns natürlich auch so flexibel halten wie der bayrische Wendehals - wenn Klimaschutz gesellschaftspolitisch grad hoch im Kurs ist, wird Bayern (natürlich!) schon 5 Jahre vor dem Bund klimaneutral, um sich als CSU einen grünen Anstrich zu verpassen - das Ziel kann man dann ja später wieder möglichst unbemerkt streichen (getan hatte man ja bis dato eh noch nix dafür - nur eben heiße Luft produziert).

    Gerold Rainer

    Die Forderung, in 20 Jahren eine CO2- neutrale Bilanz zu haben, lässt die kommunale Wärmeplanung teilweise total absurd aussehen. Es mach wenig Sinn, immer größere Fernwärmenetze aufzubauen, wenn irgendwann einmal der Müll hoffentlich ordentlich recycled statt verbrannt wird, außer man macht alternativ neben dem Müllofen eine geothermische Bohrung.

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    Maria Reichenauer

    Herr Rainer, Sie sprechen immer wieder die Müllverbrennung an. Aber bitte was soll denn geschehen mit dem wöchentlich anfallenden Restmüll? Wissen Sie, was passiert, wenn man den nicht verbrennt? Würden Sie riesige Deponien im ganzen Bundesgebiet anlegen wollen? Oder den Dreck lieber ins Ausland bringen – in Indien gibt es Landstriche, die nur mit Müll beladen sind ... Man kann nun mal nicht alles recyceln, auch wenn man da – da gebe ich Ihnen Recht – mehr passieren könnte.

    Maria Reichenauer

    Mich erstaunt die Ausdrucksweise von Herrn Pohl doch sehr. Würde er über den Bericht ein "Kommentar" setzen, dann wäre es seine persönliche Meinung, aber in einem ernstgemeinten Bericht davon zu sprechen, dass die Grünen die Union "über den Tisch gezogen" haben – das ist eines Journalisten einer Zeitung, die eine gute sein möchte, nicht würdig. Die Grünen haben gut verhandelt – zu Wohl von uns allen. Dies als "über den Tisch ziehen" zu bezeichnen, finde ich unverschämt. Man würde dies von den C-Parteien sicher so nie sagen. Das Klima im Auge zu haben ist wichtiger denn je – wenn die C-Parteien dies nun endlich erkannt haben, dann ist es etwa Gutes für alle Menschen. Dass man sie hier etwas schubsen musste – Frau Dröge und Frau Haßelmann haben dafür meine volle Zustimmung.

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