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Gruppe zu, Einrichtung dicht: Wenn Kitas das Personal ausgeht

Kinderbetreuung

Kürzere Betreuung, Gruppe zu, Einrichtung dicht: Wenn Kitas das Personal ausgeht

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    Wenn Personal in Kitas fehlt, ist eine pädagogische Arbeit mit den Kindern für Erzieherinnen und Erzieher kaum mehr möglich.
    Wenn Personal in Kitas fehlt, ist eine pädagogische Arbeit mit den Kindern für Erzieherinnen und Erzieher kaum mehr möglich. Foto: Marijan Murat, dpa

    "Weil Personal fehlt: In Diedorf macht eine Kita-Gruppe dicht" – "Schließungen und Einschränkungen: Krankheitswelle bringt Kitas ans Limit" – "Affing muss den Naturkindergarten vorübergehend schließen" – "Die Situation in den Unterallgäuer Kitas ist angespannt". All diese Meldungen sind aus dem vergangenen Kitajahr, in allen Fällen war Personalmangel der Grund für die Probleme. Wenn zu viel Personal in der Kita fehlt, müssen Einrichtungen Betreuungszeiten verkürzen, Gruppen oder ganze Kitas für eine Weile komplett schließen. Für viele Familien ein riesiges Problem. Und auch für die Erzieherinnen und Erzieher eine untragbare Situation. Das zeigt eine Recherchekooperation von CORRECTIV.Lokal, "Frag den Staat" und unserer Redaktion.

    Über 2.000 Kita-Mitarbeitende haben an einer nicht repräsentativen Umfrage zur Recherche teilgenommen und von den Folgen des Personalmangels berichtet. Über die Hälfte der Betroffenen sagt, dass sie mit den Kindern nicht mehr pädagogisch arbeiten können – die Kinder würden nur noch verwahrt, eine frühkindliche Bildung oder Angebote wie Ausflüge oder Kita-Feste gebe es nicht mehr.

    Fast jede fünfte Person hat zudem berichtet, dass sie alleine in einer Gruppe arbeiten musste. Das kann bedeuten, dass Erzieherinnen und Erzieher die Aufsichtspflicht nicht erfüllen oder stundenlang nicht auf die Toilette gehen können. Eine betroffene Erzieherin aus Bayern schreibt: „War zehn Stunden alleine und sechs Kinder gleichzeitig haben über eine halbe Stunde geschrien. Ich war alleine auf der Etage und konnte niemanden um Hilfe bitten."

    Erzieherinnen und Erzieher denken über Ausstieg aus dem Beruf nach – oder sind bereits ausgestiegen

    In Extremfällen ist nicht sichergestellt, dass die Grundbedürfnisse der Kinder erfüllt werden können, sie also satt, sauber und sicher sind. Dann können Windeln nicht gewechselt und Verletzungen nicht angemessen versorgt werden. Manche Teilnehmenden aus der Umfrage berichten zudem über psychische und körperliche Gewalt gegen Kinder: "Kollegen, die Kinder zusammen brüllen oder wütend am Arm packen, sind leider keine Seltenheit mehr", so schreibt es eine Erzieherin aus Bayern.

    Es ist so ein schöner Beruf, aber so halte ich das nicht bis zur Rente durch.

    Erzieherin, aus Berlin

    Mehr als die Hälfte der Teilnehmenden erleben Stress und Überlastung, fast jede fünfte Person gibt gesundheitliche Folgen wie Depression oder Burnout an. Und eine von elf Personen überlegt, aus dem Beruf auszusteigen, oder ist schon ausgestiegen. Das drückt auch eine Umfrageteilnehmerin aus Berlin aus: „Es ist so ein schöner Beruf, aber so halte ich das nicht bis zur Rente durch. Ich fühle mich ausgebrannt.“

    Damit sich etwas ändert, wäre ein logischer erster Schritt eine Bestandsaufnahme. Oft fehlen aber detaillierte Zahlen zur Situation. Kitas müssen den zuständigen Aufsichtsbehörden melden, wenn der vorgeschriebene Personalschlüssel unterschritten wird. Im Kreis Augsburg, in dem auch die eingangs erwähnte Kita in Diedorf liegt, gibt es nach Angaben des zuständigen Jugendamts 188 Einrichtungen. Im vergangenen Kitajahr gab es dort 103 Meldungen wegen erheblichen Personalmangels. Wie viele Einrichtungen dabei betroffen waren, lässt sich aus diesen Zahlen nicht sagen.

    Über 3000 Meldungen zu erheblichem Personalmangel in Kitas in Bayern

    Für den Kreis Dillingen, in dem es 65 Einrichtungen gibt, liegt die Zahl der betroffenen Kitas hingegen vor: 14 Einrichtungen machten Meldungen zu erheblichem Personalmangel – 16 Meldungen insgesamt. Wo läuft es nun besser, im Kreis Augsburg oder Dillingen? Das lässt sich aus den Zahlen nicht ableiten.

    Insgesamt kommen bei der Recherche über 3000 Meldungen zusammen – alleine für Bayern. Dabei sind die Zahlen nur Mindestangaben. Und die Meldepraxis variiert. Hinzu kommt: Manche Fälle könnten auch nicht erfasst worden sein, weil Personal fehlte, aber zum Beispiel Eltern eingesprungen sind. Weil keine Zahlen vorliegen. Oder weil Ämter auf unsere Anfragen nicht reagiert haben. So sind die einzelnen Zahlen nicht untereinander vergleichbar.

    Personalmangel in Kitas: Wie kann die Lage besser werden?

    Wie geht der Freistaat mit dieser schlechten Datenlage um? Welche Einrichtungen wann wie lange wegen Personalmangels Einschränkungen hatten und welche das waren, wird im bayerischen Sozialministerium nicht gesammelt. Das Ministerium teilt mit, eine zentrale Meldung sei nicht vorgesehen, würde zu zusätzlichem Verwaltungsaufwand für Einrichtungsträger und Betriebserlaubnisbehörden führen – und hätte nur geringen Nutzen. Die Maßnahmen müssten einzelfallbezogen vor Ort ergriffen werden.

    Gefragt nach Maßnahmen gegen den Personalmangel verweist das Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales auf den Aufbau von Ausbildungsstellen, Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen, die Akquise von Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern und Verbesserungen in der Vergütung. "Bis Ende des Jahrzehnts schaffen wir ausreichend Betreuungsplätze für unsere Kinder und stellen eine hochwertige Betreuung in unseren Kitas sicher", sagt die bayerische Familienministerin Ulrike Scharf unserer Redaktion. "Wir müssen aber nicht nur neue Kräfte gewinnen, sondern auch die vorhandenen im System halten." Ab 2024 solle die Zahl der staatlich geförderten Teamkräfte von rund 6000 auf rund 12.000 verdoppelt werden.

    Opposition kritisiert Staatsregierung bei Maßnahmen gegen Personalnot an Kitas

    Abgeordnete der bayerischen Oppositionsparteien kritisieren beim Thema Kitas die Staatsregierung dafür, nicht mehr zu unternehmen. "Beim Kita-Ausbau hat Bayern den größten Nachholbedarf, weil man aus ideologischen Gründen jahrzehntelang die Betreuung von Kindern in Krippen und Kindergärten abgelehnt hat", sagt Landtagsabgeordnete Simone Strohmayr von der SPD. "Obwohl sowohl bei den Plätzen als auch beim Personal in den letzten Jahren ein Aufwuchs stattgefunden hat, sind jetzt die Lücken immer noch riesig." Zusätzliches Personal für Hauswirtschaft und Verwaltung müsse vom Staat refinanziert werden. Auch die Kita-Finanzierung müsse insgesamt überarbeitet werden.

    Die Grünen-Abgeordnete Kerstin Celina ist seit 2013 Mitglied des sozialpolitischen Ausschusses im Bayerischen Landtag. Sie moniert, dass dort zwar Lösungsansätze diskutiert würden, die Umsetzung aber an der Priorisierung durch die Staatsregierung scheitere: Die Söder-Aiwanger-Regierung investiere "seit vielen Jahren lieber in einkommensunabhängige Gebührenentlastung statt in die Qualität".

    Im neuen Koalitionsvertrag zwischen CSU und Freien Wählern werden einige Maßnahmen genannt, um die Situation zu verbessern und die Personalnot zu lindern. Wie auch schon 2018.

    Möchten Sie, dass sich etwas ändert? Dann werden Sie jetzt aktiv! Besuchen Sie die Themenseite kitanotstand.de, die von unserem Kooperationspartner CORRECTIV erstellt wurde. Dort finden Sie vielfältige Möglichkeiten, wie Sie selbst einen Beitrag leisten können. Erfahren Sie, wie Sie die Politik zum Handeln bewegen können und entdecken Sie Mitmalbilder für Ihre Kinder sowie Plakate, die Sie in Ihrer Nachbarschaft aufhängen können, um auf den Kitanotstand aufmerksam zu machen.

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