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Grüne Woche: Landwirtschaftsminister Özdemir verfolgt der Agrar-Diesel-Streit auf die Grüne Woche

Grüne Woche

Landwirtschaftsminister Özdemir verfolgt der Agrar-Diesel-Streit auf die Grüne Woche

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    Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) hält beim Eröffnungsrundgang über das Messegelände der Grünen Woche am Stand der Schweiz ein großes Stück Käse in Händen.
    Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) hält beim Eröffnungsrundgang über das Messegelände der Grünen Woche am Stand der Schweiz ein großes Stück Käse in Händen. Foto: Carsten Koall, dpa

    Frau Antje aus Holland streckt Cem Özdemir ein Tablett mit Gouda-Pröbchen entgegen. Beherzt greift er zu, alles andere wäre bei der traditionellen Eröffnungsrunde des Landwirtschaftsministers ein Affront. Das Amt erfordert gerade nicht nur starke Nerven, sondern auch einen stabilen Magen. Özdemir steckt den gelben Würfel in den Mund, kaut ein wenig, nickt dann und lächelt anerkennend. Schmeckt gut, bedeutet die Geste, die Özdemir an diesem Morgen noch unzählige Male wiederholt. Antje strahlt. Die blonde Werbefigur der niederländischen Käseindustrie, ein weißes Häubchen auf dem Kopf und Holzschuhe an den Füßen, ist eine Veteranin der Grünen Woche. 1959 trat sie hier, auf der weltweit wichtigsten Ausstellung für Lebensmittel, erstmals auf die Bühne. Ein Stück weit ist sie seither zu einem Symbol der europäischen Einigung geworden, die ihre Anfänge auch darin hat, dass einst verfeindete Staaten die Handelsschranken für ihre landwirtschaftlichen Güter abbauten. Streit über die Agrarpolitik ist über die Jahrzehnte oft am Rande ein Thema gewesen. Doch die 88. Auflage der Agrar-Leistungsschau im Berliner Messezentrum, die dieses Jahr bis zum 28. Januar dauert, findet vor dem Hintergrund einer Debatte statt, die so aufgeheizt ist, wie wohl nie zuvor

    Zwischen der Bundesregierung, verkörpert durch den grünen Ressortchef, und den deutschen Landwirten, vertreten von Bauern-Präsident Joachim Rukwied, ist der Streit völlig eskaliert. Auf Kürzungen von Subventionen, etwa beim Agrardiesel, reagierten die Bauern mit wütenden Massenprotesten, sie fürchten um die Zukunft ihrer Höfe. Einen Teil der Maßnahmen strich die Regierung, doch die Bauern fordern von ihr, die Kürzungen komplett zurückzunehmen. Der Konflikt ist festgefahren und wirkt weit über die Landwirtschaft hinaus, scheint den Zusammenhalt der ganzen Gesellschaft zu bedrohen. 

    Grüne Woche: Bauern-Chef Rukwied hält immer etwas Abstand zu Özdemir

    Was auf dem Spiel steht, auch das verkörpert Frau Antje. Nicht die Werbefigur. Viele der echten holländischen Bäuerinnen, für die sie steht, sind schon lange sauer, ihre Männer, Kinder und Nachbarn sind es auch: Seit 2019 gibt es in Holland massive Proteste von Landwirten, die sich gegen eine Verschärfung von Umweltauflagen auflehnten. Entstanden ist daraus die "Bauer-Bürger-Bewegung", die als stärkste Kraft aus den Regionalwahlen 2023 hervorging. Ihr war es gelungen, über die Landwirte hinaus regierungskritische Bürger hinter sich zu sammeln. Neben der französischen "Gelbwestenbewegung" gilt die niederländische Bauernpartei vielen in der deutschen Politik als warnendes Beispiel dafür, wie viel gesellschaftlichen Flurschaden der Zorn der Landwirte und der Bewohner ländlicher Räume anrichten kann.

    Bauern-Chef Rukwied begleitet den Grünen-Politiker Özdemir beim Rundgang, auch das will die Tradition. Doch die Stimmung zwischen den beiden groß gewachsenen Männern ist frostig, beide kommen sich nicht näher, als unbedingt nötig. An den Ständen von Marokko bei Datteln und Arganöl, bei den polnischen Ausstellern, die Honig, Hering und Softeis anbieten oder bei der Verkostung moldauischen Weins: Rukwied hält sich stets ein paar Schritte entfernt von Özdemir. Doch Verbalattacken auf die Gegenseite unterlassen beide – es herrscht eine Art Burgfrieden, der Streit zwischen Bauern und Politik soll nicht auch noch die Messebesucher belasten. Davon hätte niemand etwas. Käse, Wurst und exotische Früchte zu kosten, Kälbchen zu streicheln und auf Traktoren zu klettern, darauf freuen sich die Besucher, erwartet werden rund 300.000. Für ihre Erzeugnisse werben möchten die 1400 Aussteller aus aller Herren Länder.

    Agrar-Diesel: Hinter den Kulissen wird um die Beilegung des Streits gerungen

    Hinter den Kulissen, heißt es sowohl aus dem Umfeld des Landwirtschaftsministeriums, als auch vonseiten des Bauernverbandes, werde intensiv um eine Beilegung des Streits gerungen. Doch man sei noch weit von einer Lösung entfernt. Bauern-Präsident Rukwied kündigt in einer kurzen Stellungnahme für die kommende Woche weitere Aktionen an. Es werde sich aber nicht um Riesenproteste wie zuletzt, sondern eher um kleinere "Nadelstiche" handeln. Weitere Details nennt er nicht. 

    Özdemir hat als Ausgleich für den schrittweisen Abbau der Diesel-Subventionen neue finanzielle Hilfen für die Bauern ins Spiel gebracht. Ein "Tierwohl-Cent" etwa könne von Fleischkonsumenten kassiert werden. Mit einer solchen Abgabe will der überzeugte Vegetarier zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: die Verbraucher in Richtung einer gesünderen Ernährung steuern und gleichzeitig die Bauern entlasten. Eben erst hat er die Ernährungsstrategie der Bundesregierung vorgestellt: mehr Produkte aus ökologischer und regionaler Erzeugung, weniger Fleisch, lautet sie in Kurzform. Özdemir sagt: "So wie wir hier stehen, brauchen wir einander, brauchen wir die verschiedenen Ebenen, von den Landwirtinnen und Landwirten bis zum Lebensmittelhandel, aber auch die verschiedenen Ebenen in der Politik, von den Ländern bis zur Europäischen Union. Das Gemeinsame ist jetzt wichtig." 

    Klimafreundliche Traktoren sind bis zu 30 Prozent teurer

    In Sichtweite des Ministers sehen sich drei Junglandwirte aus Altusried im Allgäu Traktoren an, die mit alternativen Kraftstoffen oder elektrisch laufen. Bis zu 350.000 Euro kosten sie. Im Streit um die Agrardiesel-Subventionen hatten Regierungsvertreter immer wieder auf solche neuen Schlepper-Generationen verwiesen, durch die sich das Thema Diesel ohnehin bald erledigen werde. Nachdem er aus der Kabine eines grün lackierten Acker-Giganten gestiegen ist, ist einer der Nachwuchsbauern so fasziniert wie ernüchtert. "Das sind tolle Maschinen. Aber im Betrieb rund 30 Prozent teurer, als ein Diesel-Schlepper." Das rechne sich einfach nicht. Zum aktuellen Streit zwischen Bauernverband und Bundesregierung, zur Rolle des grünen Agrarministers, ja, da habe er eine klare Meinung, sagt der Allgäuer. Aber er wolle sich die gute Messelaune jetzt nicht schon am Morgen kaputtmachen: "Drum sag ich lieber nichts." 

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