Der Arbeitstag begann für Kanzlerin Angela Merkel wie die meisten anderen in ihrer 16-jährigen Amtszeit auch: Zuerst das Studium der Morgenlage und der Pressemappe, Büroarbeiten, am Vormittag die Konferenz mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten zur Corona-Lage. Der Tag endete allerdings, ganz anders als sonst, mit einem Paukenschlag. Die Bundeswehr verabschiedete die CDU-Politikerin auf dem Appellplatz des Verteidigungsministeriums in Berlin mit einem Großen Zapfenstreich in den politischen Ruhestand, den die 67-Jährige tatsächlich bald erreicht haben wird. Ihr designierter Nachfolger Olaf Scholz (SPD) soll am Mittwoch im Bundestag zum Kanzler gewählt werden.
Rund 200 Gäste waren zum Großen Zapfenstreich für Kanzlerin Merkel geladen
Mit einigem Bangen war den ganzen Tag über aufs Barometer geschaut worden. Sturmböen wirbelten die Hauptstadt auf, der Wind drohte zunächst zur Gefahr für die Frisuren der rund 200 Gäste zu werden. Je näher der Zapfenstreich heranrückte, desto mehr besserte sich die Wetterlage jedoch. Der Bendlerblock, der Sitz des Verteidigungsministeriums unweit des Tiergartens, ist zudem mit seinen hohen Mauern ein guter Schutz gegen Störungen von außen (möglichen Demonstranten inklusive) und entpuppte sich als Garant für einen guten Sound. Der wiederum war wichtig, weil die Nation an Merkels Liedauswahl zuvor gefühlt mehr Anteil genommen hatte als an vielen ihrer politischen Entscheidungen.
Merkel blieb sich auch bei diesem Anlass treu, war emotional, vermied aber jedes Pathos. In einer kurzen Rede unmittelbar vor dem militärischen Zeremoniell drückte sie ihre Demut vor dem Amt und ihre Dankbarkeit für das Vertrauen aus, das ihr in ihrer Amtszeit entgegengebracht worden sei. Gleichzeitig mahnte sie, an jene zu denken, „die sich zeitgleich mit all ihrer Kraft der vierten Welle der Pandemie entgegenstemmen“.
Großer Zapfenstreich: Merkel-Rede war auch ein Appell an die nachfolgenden Generationen
Ihre 16 Jahre als Bundeskanzlerin seien „ereignisreiche und oft auch herausfordernde Jahre“ gewesen. „Sie haben mich politisch und auch menschlich gefordert“, sagte die scheidende Kanzlerin und appellierte an die nachfolgenden Generationen: „Ich möchte dazu ermutigen, auch zukünftig die Welt auch immer mit den Augen des anderen zu sehen.“
Merkel dankte in ihrer gut sechsminütigen Rede ihren politischen Weggefährten, ihre engsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und ihrer Familie. Der neuen Regierung unter Olaf Scholz wünschte sie „eine glückliche Hand und viel Erfolg“.
Stabsmusikkorps der Bundeswehr spielte Nina Hagen und Hildegard Knef für Angela Merkel
Drei Lieder durfte sich Merkel wünschen. Zum Auftakt das Schlagerlied „Du hast den Farbfilm vergessen“ von Nina Hagen, die zur Aufführung 1974 noch nicht die Punk-Ikone ahnen ließ, die sie später werden sollte. „Das Lied war ein Highlight meiner Jugend, die ja bekanntermaßen in der DDR stattgefunden hat“, begründete Merkel die Auswahl dieses Songs. „Das Lied kam auch aus der DDR und zufälligerweise spielt es auch noch in einer Region, die mein früherer Wahlkreis war. Insofern passt alles zusammen.“
Beim Stabsmusikkorps der Bundeswehr passte auch alles zusammen. Die Musikerinnen und Musiker hatten nur wenige Tage Zeit, die gewünschten Lieder aufs vorhandene Instrumentarium zu adaptieren. Die schwierige Aufgabe wurde mit Bravour gemeistert. Das galt auch für die nächsten Stücke: „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ von Hildegard Knef, gefolgt vom Kirchenlied „Großer Gott, wir loben Dich“.
Historisch geht der Große Zapfenstreich nach Recherchen des Verteidigungsministeriums auf die Zeit der Landsknechte im 16. Jahrhundert zurück. Der sogenannte Profos strich damals mit seinem Säbel über den Zapfhahn der Bier- und Weinfässer und leitete damit das ein, was heute Sperrstunde genannt wird. Das Verfahren wurde von nachfolgenden Armeen übernommen, noch heute ist der Zapfenstreich vielerorts das Signal für den Beginn der Nachtruhe.
Im Laufe der Zeit entwickelte er sich zu einem Zeremoniell, das die Bundeswehr zu herausragenden Anlässen aufführt. Die Truppe kennt „personen- und anlassbezogene Große Zapfenstreiche“. Letztere finden bei besonderen Anlässen wie etwa dem Abschluss des Afghanistaneinsatzes statt. Beim personenbezogenen Großen Zapfenstreich tritt „die Truppe gemeinsam an, um eine verdiente Amtsträgerin oder einen verdienten Amtsträger zu seinem Dienstende zu ehren“. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) wurde so als Verteidigungsministerin verabschiedet. Sie wünschte sich unter anderem den Scorpions-Song „Wind of Change“. Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg ging 2011 zu „Smoke on the Water“ von Deep Purple aus dem Amt.