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Großbritannien: Wie London Migranten einsperren und abschieben will

Großbritannien

Wie London Migranten einsperren und abschieben will

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    Zehntausende Migranten kommen jährlich über den Ärmelkanal nach Großbritannien.
    Zehntausende Migranten kommen jährlich über den Ärmelkanal nach Großbritannien. Foto: Gareth Fuller, dpa

    Es war in der Zeit, als in Großbritannien noch ein anderer Wind wehte. Damals, in den 1990er Jahren, wurden Menschenrechte im Vereinigten Königreich als wesentlich angesehen und so beschloss die Labour-Regierung unter Tony Blair vor fast genau 25 Jahren den "Human Rights Act 1998". Seither gelten universelle Rechtsansprüche, die in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgehalten wurden, ausdrücklich auch in

    Mittlerweile ist die Welt auch bei den Briten eine andere. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) stellte in einem ihrer jüngsten Berichte fest, dass die britische Tory-Partei "wiederholt versucht hat, den Schutz der Menschenrechte zu schädigen und zu untergraben". Die Liste der dort aufgeführten Probleme ist lang. Erwähnt wird der unzureichende Schutz der Rechte von Bürgern mit niedrigen Einkommen oder auch von Geflüchteten.

    Flüchtlinge sollen nach Ruanda abgeschoben werden

    Eben die will die britische Regierung nun noch weiter einschränken. Helfen soll der "Illegal Migration Bill" – ein Gesetzentwurf zur illegalen Migration. Der sieht vor, dass irreguläre Einwanderer, die mit kleinen Booten über den Ärmelkanal nach Großbritannien kommen, in Lagern interniert und dann auf schnellstem Wege in als sicher angesehene Länder wie Ruanda ausgeflogen werden sollen – auch wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sich dagegen aussprechen sollte. Laut dem Deal zwischen dem ostafrikanischen Land und Großbritannien sollen die Geflüchteten dort in Camps untergebracht werden. Legale Wege ins Königreich gibt es für Migranten so gut wie nicht. In dieser Woche stimmte das Unterhaus mit einer Mehrheit von 59 Abgeordneten in dritter Lesung für den Gesetzentwurf. Bevor das Gesetz in Kraft treten kann, muss es noch die Zustimmung des Oberhauses bekommen.

    Diese Pläne sorgten nicht nur bei der Opposition, Flüchtlingsorganisationen und den Vereinten Nationen für Entsetzen, auch innerhalb der konservativen Partei regte sich teils erbitterter Widerstand. Der ehemalige Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox, eigentlich ein überzeugter Brexiteer, stellte klar, dass die Minister von den Abgeordneten offenbar erwarten, gegen das Völkerrecht zu verstoßen. Ex-Regierungschefin Theresa May äußerte ebenfalls offen Kritik an den Plänen. Eine Rebellion der moderaten Kräfte innerhalb seiner Partei konnte Premierminister Rishi Sunak nur abwenden, indem er Zugeständnisse machte. So sollen nun zumindest geflüchtete Kinder besser geschützt werden. 

    Widerstand gegen das Gesetz "Illegal Migration Bill"

    Dass das Gesetz in dieser Form verabschiedet werde, sei höchst unwahrscheinlich, glaubt Joelle Grogan von der Denkfabrik "UK in a Changing Europe". Denn im Oberhaus, wo der Gesetzesvorschlag jetzt landet, werde er viel Widerstand erfahren. Dabei gehe es nicht nur darum, dass der Entwurf gegen internationale Normen verstoße, weil den Menschen das Recht auf Asyl verwehrt werde. Es sei auch fraglich, wie er in der Praxis funktionieren soll. "Das Innenministerium wäre zwar verpflichtet, Personen abzuschieben, die illegal eingereist sind, aber es ist gar nicht klar, wohin sie gehen sollen." In die EU zurückgeschickt werden könnten sie nicht und außer Ruanda gebe es keine weiteren sicheren Drittstaaten, so Grogan. 

    Rishi Sunak, Premierminister von Großbritannien, will die Migration nach Großbritannien massiv einschränken.
    Rishi Sunak, Premierminister von Großbritannien, will die Migration nach Großbritannien massiv einschränken. Foto: Kin Cheung, dpa

    Bis es zu einem Kompromiss kommt, können Wochen oder gar Monate vergehen. Laut Grogan kommt diese lange Verhandlungsphase für Sunak zum rechten Zeitpunkt. Denn er wolle mit seiner "Stoppt-die Boote-Kampagne" zunächst insbesondere bei den bevorstehenden Lokalwahlen Anfang Mai punkten. Doch Sunaks Vorgehen ist gewagt, denn es könnte erneut zum Streit mit den internationalen Partnern kommen. Unter der UN-Flüchtlingskonvention, die auch für Großbritannien gilt, hat jeder Verfolgte das Recht, in einem sicheren Land seiner Wahl Asyl zu beantragen – unabhängig davon, wie er dort hingelangt ist. 

    So viele Flüchtlinge kommen nach Großbritannien

    Premier Sunak ficht das nicht an. Seine Regierung behauptet, nur mit scharfen Gesetzen ließe sich die irreguläre Zuwanderung nicht aufhalten. Mittlerweile ist sogar ein Lastkahn vor der südenglischen Küste angemietet, der hunderte Menschen beherbergen soll. Denn Großbritannien hat ein Platzproblem. Bisher kommen Migranten vor allem in Hotels unter, das kostet nach Regierungsangaben mehr als sechs Millionen Pfund pro Tag. Auffanglager gibt es nicht – bis zum EU-Austritt hatte das Land mit unerwünschter Einwanderung wenig zu tun. Entsprechend sind keine Kapazitäten vorhanden. Doch seit dem Brexit gibt es kein Rücknahmeabkommen mehr mit der EU.

    Gut 45.000 waren es, die vergangenes Jahr über den Ärmelkanal nach Großbritannien kamen und damit deutlich weniger als etwa Deutschland aufnimmt. Doch für die Konservativen sind die vergleichsweise hohen Zahlen ein heikles Thema: Sie hatten versprochen, dass Großbritannien mit dem Brexit die Kontrolle über die eigenen Grenzen wiedererlangen werde. 

    In der ruandischen Gesellschaft wird über das Thema kaum gesprochen – aus Angst vor Repressalien der autoritären Regierung. Präsident Paul Kagame führt das Land seit mehr als 20 Jahren. Eine Opposition duldet er nur begrenzt. Schon jetzt ist Ruanda eines der Länder mit der höchsten Bevölkerungsdichte. Das scheint auch Machthaber Kagame klar zu sein. Anfang des Jahres drohte er Flüchtlingen aus der benachbarten Demokratischen Republik Kongo: "Wir können nicht weiterhin Flüchtlinge aufnehmen, für die wir später in irgendeiner Weise zur Verantwortung gezogen werden", sagte er. International weckte das Zweifel an der Verlässlichkeit Ruandas für ein Abschiebe-Projekt.

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