Als David Cameron am gestrigen Montag gegen 9 Uhr morgens aus einem schwarzen Auto stieg und, von Dutzenden Kameras gefilmt, langsam in Richtung Downing Street Nummer 10 ging, rieben sich viele ungläubig die Augen. Sollte er tatsächlich einen Posten im konservativen Kabinett unter Rishi Sunak erhalten? Etwa eine Stunde später war es offiziell: Der ehemalige konservative Premierminister wurde im Rahmen einer Regierungsumbildung zum neuen Außenminister ernannt.
Es war lange klar, dass der Premier wohl im Herbst seine Regierung neu besetzen wird. Mit Cameron hatte aber keiner gerechnet. Er löst James Cleverly als Außenminister ab, der das Amt seit der Regierung unter Sunaks Vorgängerin Liz Truss innehatte. Der 53-Jährige wurde stattdessen zum neuen Innenminister und damit zum Nachfolger der umstrittenen Hardlinerin Suella Braverman. Sie entließ Sunak am Montag wegen umstrittener Aussagen. So hatte sie etwa Wohnungslosigkeit als „Lifestyle-Entscheidung" bezeichnet.
Bekannt, aber auch umstritten
Mit Cameron betritt ein bekannter, aber nicht unumstrittener ehemaliger konservativer Regierungschef die politische Bühne erneut. 2016 wollte er die politischen Gräben in seiner Partei durch ein Referendum kitten, das er mit Argumenten über die hohen Kosten eines EU-Austritts sicher zu gewinnen glaubte. Nachdem die Mehrheit der Briten schließlich gegen seine Empfehlung für den Austritt gestimmt hatte, gestand er seine Niederlage ein und trat zurück. Auf ihn folgten Theresa May, Boris Johnson, Liz Truss und schließlich Sunak.
Befürworter der überraschenden Entscheidung sagten, dass Cameron durch seine langjährige politische Erfahrung eine gewisse „Gravitas“ und damit einen besonderen Status mitbringe, den die konservative Regierung dringend benötige. Er sei der richtige Mann in einer Zeit, in der das Land vor großen innen- und außenpolitischen Herausforderungen stehe, betonte der konservative Politiker Michael Heseltine am gestrigen Montag. Cameron habe den Konservativen zwei Siege bei den Parlamentswahlen beschert und genieße auch international hohes Ansehen, kommentierten britische Journalisten den unerwarteten Schritt.
Ob die Briten von der Personalie begeistert sind, ist zweifelhaft
Andererseits stehe die Entscheidung nicht für den von Sunak versprochenen Wandel, hieß es. „Auch wenn diese Ernennung den Einfluss Großbritanniens auf der internationalen Bühne stärken könnte – immerhin ist er ein ehemaliger Premierminister – scheint es unwahrscheinlich, dass sie bei den Briten gut ankommt“, sagte Tim Bale von der Queen Mary University of London gegenüber dieser Zeitung. Schließlich werde Cameron mit dem Brexit-Referendum in Verbindung gebracht, das das Land gespalten habe. „Er ist pro-EU und wollte sich mit China anfreunden. Das passt nicht zu dieser jetzigen Regierung", so Bale.
Unvergessen sind die Bilder, als Cameron 2015 mit dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping in einem Pub Bier trank. Während der Ex-Premier damals von einem „goldenen Zeitalter“ in den Beziehungen zu Peking sprach, waren seine Nachfolger Theresa May sowie Boris Johnson deutlich skeptischer. Liz Truss bezeichnete China als „Bedrohung“. Sunak schlug zuletzt jedoch mildere Töne an. Auch seine China-Politik sei von wirtschaftlichen Interessen geleitet. Er bezeichnete das Land lediglich als „Herausforderung“.
Vor nur zwei Jahren war Cameron in einen Skandal verwickelt
Vor zwei Jahren war Cameron zudem in einen Lobbyskandal verwickelt, als er sich bei der Regierung für die Finanzierung des inzwischen insolventen Finanzdienstleisters Greensill Capital eingesetzt hatte. Eine Affäre, die ihn und damit die Tory-Partei nun wieder einholen könnte. Hinzu kommt, dass der 57-Jährige kein Abgeordneter mehr ist und damit einen Sitz im Oberhaus erhalten musste, um Außenminister werden zu können.
Es lag laut Beobachtern nahe, dass Sunak überraschende Schritte gehen würde, um nach einer langen Durststrecke Stärke und Entschlusskraft zu suggerieren. Denn der 43-Jährige hat laut Insidern kaum noch etwas zu verlieren. Laut dem Meinungsforschungsinstitut YouGov sind 60 Prozent der Briten der Meinung, er mache keinen guten Job. Er liegt in den Umfragen weit zurück, obwohl er nach den Skandalen um seine Vorgänger Boris Johnson und Liz Truss für einen radikalen Wandel stehen wollte. Etwas, das sich viele Bürger wünschen, den Tories jedoch nicht mehr zutrauen. Seit Monaten liegt die Partei in den Umfragen rund 20 Prozentpunkte hinter Labour. Damit droht den Konservativen bei den Wahlen, die voraussichtlich im Herbst nächsten Jahres stattfinden, eine herbe Niederlage.