In Israel geben sich derzeit die Staats- und Regierungschefs die Klinke in die Hand. Und so wollte auch Rishi Sunak am vergangenen Donnerstag an der Seite des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu Stärke und Vermittlungsgeschick suggerieren. Doch dann erreichte den britischen Premierminister eine niederschmetternde Nachricht aus der Heimat: Bei Nachwahlen in zwei englischen Kreisen erlitt seine Konservative Partei vergangene Woche eine historische Niederlage.
Waren die beiden Sitze zuvor fest in der Hand der Tories, gingen sie nun an die Labour-Partei. Das Resultat gilt als weiterer deutlicher Fingerzeig, dass die Menschen im Land nach 13 Jahren konservativer Regierung einen Wechsel wollen. „Während der britische Premierminister auf der Weltbühne geschickt agiert hat, scheint die Bühne im eigenen Land unter ihm zusammenzubrechen“, kommentierte Tim Shipman, Journalist der Sunday Times. Wie steht es also um Sunak, genau ein Jahr, nachdem er in die Downing Street Nummer 10 eingezogen ist?
Rishi Sunak ist seit einem Jahr britischer Premierminister
Tim Bale von der Queen Mary University of London bezeichnet dessen Amtszeit gegenüber unserer Redaktion als einen „Albtraum“ für die Tories. Zwölf Monate nach der Amtsübernahme von seiner Vorgängerin Liz Truss, deren Wirtschaftspläne das Land viel Geld gekostet hatten, sei „jeder Optimismus, dass er die Dinge ändern könnte, verflogen“.
Dabei habe Sunak einiges erreicht, wie Jill Rutter von der Denkfabrik Institute for Government betont. Er habe die Wirtschaft stabilisiert, die Beziehungen zur EU verbessert und sich auf der Weltbühne etabliert. „Dennoch ist es ihm nicht gelungen, die Wahlchancen der Konservativen zu verbessern." Dies spiegelt sich in den Umfragen wider. Tatsächlich ist Sunak heute so unbeliebt wie Boris Johnson bei seinem Rücktritt im Juli 2022. Laut einer YouGov-Umfrage haben 67 Prozent keine gute Meinung von ihm. Die oppositionelle Labour-Partei liegt derzeit 20 Prozentpunkte vor den Tories. Damit droht den Konservativen bei den nächsten Wahlen eine herbe Niederlage.
Rutter zufolge belasten den Premierminister die Auswirkungen der zwar langsam sinkenden, aber immer noch hohen Inflation sowie die Probleme im Öffentlichen Dienst. Schließlich stehe das Gesundheitssystem nach wie vor unter großem Druck. Hinzu kämen die anhaltenden Streiks. Die Wähler hätten zudem den Eindruck, dass Sunak die illegale Einwanderung mit kleinen Booten über den Ärmelkanal nicht in den Griff bekomme. Und das, obwohl er dies bei seinem Amtsantritt vor einem Jahr zu einem seiner zentralen Vorhaben erklärt hatte. Mit seiner neuen Strategie, nun eher auf langfristige Ziele zu setzen, wie er auf dem Parteitag in Manchester Anfang Oktober betonte, habe er das Ruder nicht herumreißen können, so Rutter.
Ist Sunak nur noch ein Parteichef auf Abruf?
Eine Frage, die deshalb in diesen Tagen durch die britischen Medien geistert, ist: Könnte Sunak durch einen neuen Parteichef ersetzt werden? Schließlich gelten konservative Parlamentarier als gnadenlos, wenn es darum geht, ihre eigene Haut zu retten. Tim Bale hält das für unwahrscheinlich. Immer mehr konservative Abgeordnete seien zwar überzeugt davon, dass Sunak eine lahme Ente ist, „aber sie trauen sich nicht, etwas gegen ihn zu unternehmen, weil ein erneuter Führungswechsel sie noch lächerlicher aussehen lassen könnte als ohnehin schon“. Und: „Weitere interne Machtkämpfe würden die Wähler mit Sicherheit bestrafen, vor allem angesichts der großen wirtschaftlichen und politischen Unsicherheit“, so Rutter.
Sehr viel Zeit bleibt Sunak nicht mehr, um den Rückstand aufzuholen. Spätestens im Januar 2025 muss er Wahlen ausrufen. Laut der Expertin werde er deshalb wohl so lange wie möglich warten und auf eine weitere Erholung der Wirtschaft hoffen und darauf, dass vorher „irgendetwas passiert, das die Situation zu seinen Gunsten verändert“. Tim Bale hält einen Sieg der Konservativen auf Basis der aktuellen Daten jedoch für unwahrscheinlich. „Die meisten Analysten wären überrascht, wenn Labour nicht zumindest stärkste Partei würde." Aber er weiß auch: „Sag niemals nie." Schließlich hätten die Konservativen in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt, dass sie Parlamentswahlen gewinnen können.