Wer einmal britischer Premierminister war, so scheint es, hegt insbesondere seit dem Brexit häufig Ambitionen auf ein erneutes politisches Spitzenamt in Westminster. Dort tummeln sich in ihrer Rolle als Parlamentsabgeordnete nach wie vor einige frühere Parteichefs. Neben der Ex-Premierministerin Theresa May ist natürlich Boris Johnson zu nennen, jener Politiker, an dem Skandale lange Zeit abperlten wie an einer Teflonpfanne. Jetzt erweitert sich der Kreis der ehrgeizigen früheren Regierungschefs um eine Politikerin, die ebenfalls als überaus umstritten gilt.
Nicht einmal vier Monate, nachdem Liz Truss nach nur 45 Tagen im Amt im Oktober 2022 aus der Downing Street Nummer 10 gejagt wurde, meldete sich mit einem Essay in der Zeitung Sunday Telegraph zurück – ohne Reue, dafür aber mit Plänen für ein politisches Comeback.
Liz Truss' Wirtschaftspolitik: „Trussonomics“ schlug fehl
Britinnen und Briten, aber auch viele aus ihrer Tory-Partei reiben sich angesichts ihrer Absichten verwundert die Augen. Schließlich wurde Truss nach ihrem katastrophalen Start Anfang September 2022 schnell zur unpopulärsten Premierministerin aller Zeiten. Dafür verantwortlich waren ihre umstrittenen Pläne für mehr Wachstum. Sie kündigte Steuersenkungen in Milliardenhöhe für die Reichen an. Weil nicht klar war, wie diese finanziert werden sollen, gerieten die Märkte in Aufruhr und die Menschen in Panik.
Es ging die Angst um, dass der Leitzins in Zeiten der galoppierenden Inflation immer weiter steigen könnte. Banken zogen Kreditangebote mit Zinsbindung zurück. Der Pfund-Kurs rutschte auf ein Rekordtief im Vergleich zum US-Dollar ab, Importe wurden teurer, Immobilienkredite platzten. Der Druck auf Truss, von ihrem Amt zurückzutreten, wuchs binnen Tagen. Sie gab nach und packte ihre Sachen. Es war ein Scheitern mit Ansage. Schließlich hatten sie viele Experten im Vorfeld gewarnt, ihre Pläne, auch „Trussonomics“ genannt, in der aktuellen wirtschaftlichen Lage durchzuboxen.
Die wirtschaftliche Lage in Großbritannien ist schlecht
Nach ihrem Rücktritt wurde es eine Weile ruhig um die 47-Jährige. Während wirtschaftlich moderatere Kräfte in der konservativen Partei froh waren, sie los zu sein, sorgten sich diejenigen, die ihr nahe stehen, dass sie ihr Selbstvertrauen verlieren könnte. Ihr Essay im Sunday Telegraph verdeutlicht nun, dass zumindest diese Befürchtung unbegründet war. Denn Truss sucht die Schuld für das wirtschaftliche Desaster nicht etwa bei sich, sondern macht stattdessen „ein sehr mächtiges wirtschaftliches Establishment“ und mangelnde politische Unterstützung für ihr politisches Scheitern verantwortlich. Ihre geplanten Steuersenkungen, die zu einem Chaos an den Finanzmärkten geführt hatten, halte sie nach wie vor für richtig. Damit zog sie erneut viel Spott auf sich. Die britische Tageszeitung Metro titelte am Montag: „Sie hat es immer noch nicht kapiert“.
Truss attackierte in dem Essay auch ihren Nachfolger, den aktuellen Premierminister Rishi Sunak, der anders als sie auf eine Konsolidierung des Haushaltes setzt, um die Inflation nicht weiter in die Höhe zu treiben. Verbündete des 42-Jährigen bezeichneten Truss als „wahnhaft“ und warnten, dass weitere Interventionen die Tories die nächsten Wahlen kosten könnten.
Experten halten ein Comeback der 47-Jährigen zwar für unwahrscheinlich, betonen jedoch, dass ihr Ansatz durchaus Anklang in einflussreichen neoliberalen Teilen der konservativen Partei finden könnte. Denn während die Konjunkturprognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) für 2023 in großen Teilen der Welt Erleichterung ausgelöst hat, herrscht im Vereinigten Königreich weiter Katerstimmung: So ist Großbritannien die einzige große Volkswirtschaft, für die die Ökonomen in diesem Jahr eine Rezession vorhergesagt haben.