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Großbritannien: Premierministerin Liz Truss sorgt für Chaos in Westminster

Großbritannien

Premierministerin Liz Truss sorgt für Chaos in Westminster

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    Liz Truss, Premierministerin von Großbritannien, während einer Pressekonferenz in der Downing Street.
    Liz Truss, Premierministerin von Großbritannien, während einer Pressekonferenz in der Downing Street. Foto: Daniel Leal/PA Wire, dpa

    Gelächter und Buh-Rufe. Es geht oft laut zu im britischen Parlament. Am Mittwoch war die Stimmung in Westminster jedoch besonders aufgeladen. Schließlich stellte sich die Noch-Premierministerin Liz Truss zum ersten Mal den Fragen von Oppositions-Chef Keir Starmer, nachdem der neu ernannte Finanzminister Jeremy Hunt am Montag in einer Erklärung fast alle ihre politischen Versprechungen zurückgenommen hatte, um die Märkte zu beruhigen.

    Starmer ließ die Gelegenheit zum Angriff nicht verstreichen und zählte all die Steuersenkungen auf, die nun nicht mehr gelten, begleitet von einem im Chor ausgerufenen „gone” („weg“) der Labour-Abgeordneten. „Ich bin eine Kämpferin, keine Drückebergerin“, hält Truss dagegen. Nur um erneut eine Kehrtwende hinzulegen: Die staatliche Rente soll ab April nun doch mit der Inflation steigen. Die Boulevardzeitung The Mirror bezeichnete den Auftritt als „chaotisch“.

    Studie zeigt: 80 Prozent der Briten stehen Truss ablehnend gegenüber  

    Auch wenn die Stunde im Parlament gemeinhin als Stimmungstest gilt, so hätte Truss wohl auch mit einer besseren Performance nichts mehr geändert. Denn in Westminster redet man dieser Tage vorrangig über eines: Wann und vor allem wie man sie aus dem Amt heben und durch einen Nachfolger ersetzen kann. Schließlich ist sie nach ihrem katastrophalen Start in ihre Amtszeit am 6. September die unpopulärste Premierministerin aller Zeiten.

    Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov ergab, dass ihr 80 Prozent der Britinnen und Briten ablehnend gegenüberstehen. Sogar die Mehrheit der rund 150.000 Partei-Mitglieder, jener kleine Teil der Bevölkerung, der sie in einer Abstimmung im Sommer ins Amt gehoben hatte, ist inzwischen für Truss' Rücktritt.

    Britische Innenministerin Suella Braverman tritt zurück

    Gesteigert wurde das Ausmaß des Chaos gestern durch den Rücktritt von Innenministerin Suella Braverman am späten Nachmittag. Medienberichten zufolge hatte die 42-Jährige gegen Sicherheitsregeln verstoßen, indem sie Informationen über ihr privates Telefon weitergab. Braverman gehört zum extremen rechten Flügel der Partei. Sie sprach sich gegen die Sterbehilfe und gleichgeschlechtliche Ehen aus und forderte immer wieder ein härteres Vorgehen bei Abschiebungen. Ersetzt werden soll sie offenbar durch den früheren Verkehrsminister Grant Shapps.

    Für Truss jedenfalls war es ein Scheitern mit Ansage. Viele Experten hatten sie im Vorfeld davor gewarnt, ihre neoliberalen Pläne in der aktuellen wirtschaftlichen Lage durchzuboxen. Sie versuchte es trotzdem - und versetzte die Märkte in Aufruhr und die Menschen im Land in Panik. Um die Lage in den Griff zu bekommen, kassierte Hunt sowohl die angekündigten Steuersenkungen als auch einen Deckel auf Energierechnungen für zwei Jahre ein. Weitere Maßnahmen sollen mit dem traditionellen „Halloween-Budget“ folgen. Truss hatte mit ihren Plänen für mehr Wachstum sehr hoch gepokert. Zu hoch, wie sich zeigte.

    Truss erscheint eine Stunde zu spät im Parlament

    Am Montag wollte die Parteichefin offenbar nur eines tun: nichts. Sie fiel in Westminster durch Abwesenheit auf. Als sie zu später Stunde im Parlament erschien, war ihr Grinsen steif, ihr Blick starr nach vorn gerichtet. Durch Hunt entmachtet und von konservativen Abgeordneten öffentlich zum Rücktritt aufgefordert, bezeichnete die sonst regierungsfreundliche Zeitung The Sun Truss als „Geister-Premierministerin“. Sie sei noch „im Amt, aber ohne Macht“, schrieb Daily Mail.

    Die konservative Abgeordnete Penny Mordaunt nutzte die Gelegenheit, um Truss subtil zu verspotten. „Die Premierministerin ist nicht unter einem Schreibtisch“, sagte sie und ließ es klingen, als hätte man Angestellte in Downing Street 10 dazu aufgefordert, nachzusehen, ob sie sich nicht doch dort versteckt. Medien beschrieben dies als geschickten Schachzug, um sich selbst als Nachfolgerin ins Spiel zu bringen.

    Doch wie könnte ein Wechsel ablaufen? Klar ist, dass sich die konservativen Abgeordneten gerne schnell auf einen Kandidaten einigen und so verhindern wollen, dass erneut die Parteimitglieder entscheiden können. Schließlich würde das einen wochenlangen Wahlkampf nach sich ziehen. Um den Prozess zu beschleunigen, müssten aber die Regeln geändert werden. Der Chef des zuständigen Komitees, Graham Brady, soll bereits an einer Lösung arbeiten. Eine Möglichkeit wäre, die Hürde der benötigten Stimmen für den Kandidaten auf das Amt des Parteichefs so hochzusetzen, dass nach der Abstimmung der Abgeordneten nur noch einer übrig bleibt. Es ist eine schwierige Aufgabe, die dazu führen könnte, dass Truss noch eine Weile im Amt bleibt.

    Konservative können sich auf keinen Nachfolger für Truss einigen

    Ein schneller Wechsel ist auch deshalb schwierig, weil es aktuell keinen Kandidaten gibt, auf den sich die konservativen Abgeordneten einigen können. Ein möglicher Nachfolger ist Rishi Sunak. Der 42-Jährige schied im Sommer im Zweikampf gegen Truss aus. Gegen ihn spricht laut Experten allerdings, was schon damals galt: Er wird durch seinen Rücktritt vom Amt des Finanzministers Anfang Juli maßgeblich für den Sturz von Ex-Premier Boris Johnson verantwortlich gemacht. Weitere Favoriten sind der als moderat geltende Hunt sowie die für Parlamentsfragen zuständige Ministerin Mordaunt. Die Mehrheit der Mitglieder hätte gerne Johnson zurück. Dieser gilt unter vielen Abgeordneten jedoch mittlerweile als Persona non grata.

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