Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Großbritannien: Premierminister Rishi Sunak und der „vergiftete Kelch“ 

Großbritannien

Premierminister Rishi Sunak und der „vergiftete Kelch“ 

    • |
    Großbritanniens Premierminister Rishi Sunak sieht sich dieser Tage mit einem handfesten Skandal in den eigenen Reihen konfrontiert - wieder einmal.
    Großbritanniens Premierminister Rishi Sunak sieht sich dieser Tage mit einem handfesten Skandal in den eigenen Reihen konfrontiert - wieder einmal. Foto: Aaron Chown/PA Wire, dpa

    Am frühen Morgen in London: Journalisten verfolgen den Generalsekretär der konservativen Partei und früheren Schatzkanzler der britischen Regierung unter Boris Johnson bis zu seinem Auto. Sie wollen vom Nadhim Zahawi wissen, ob er zurücktreten wird. Er lässt die Frage unbeantwortet, schlüpft in die schwarze Limousine und fährt davon. Viele haben ihn jedoch längst abgeschrieben: „Er ist erledigt”, soll ein früherer konservativer Minister gesagt haben. 

    Die britische Boulevardzeitung Daily Star, die während der kurzen Amtszeit von Premierministerin Liz Truss im Herbst vergangenen Jahres einen Salatkopf in ihrer Redaktion aufbewahrte, um auf humoristische Art zu vergleichen, wer sich wohl länger halten würde, verzichtete diesmal gleich ganz auf den Gang zum Gemüsehändler um die Ecke. Es sei ohnehin „klar”, wie das für Zahawi endet, titelte sie dann kurz und bündig.

    Stets von Kamerateams verfolgt: Nadhim Zahawi war bis zum Sommer Schatzkanzler in der britischen Regierung. Jetzt wird seine Entlassung aus dem Kabinett Sunak gefordert.
    Stets von Kamerateams verfolgt: Nadhim Zahawi war bis zum Sommer Schatzkanzler in der britischen Regierung. Jetzt wird seine Entlassung aus dem Kabinett Sunak gefordert. Foto: Stefan Rousseau, dpa

    Großbritanniens Premier Sunak hatte mehr Ehrlichkeit und Transparenz versprochen

    Premierminister Rishi Sunak, der zu Beginn seiner seit 25. Oktober währenden Amtszeit Wandel, Integrität sowie mehr Ehrlichkeit und Transparenz versprochen hatte, sieht sich dieser Tage mit einem handfesten Skandal in den eigenen Reihen konfrontiert, wieder einmal. Denn Zahawi soll ausgerechnet während seiner Zeit als Finanzminister im Sommer 2022 eine Strafe an die Steuerbehörde HMRC gezahlt haben. Und das, obwohl er damals öffentlich bestritten hatte, dass er mit den Behörden über die Beilegung einer millionenschweren Affäre verhandelt habe. Er habe damit gelogen, betonen Experten. 

    Sunak weigerte sich bisher dennoch, den 55-Jährigen, der irakische Wurzeln hat und einer der Gründer des bekannten Meinungsforschungsinstituts Yougov ist, von seinem Amt zu entheben. Er übergab den Fall an die Ethikkommission. Die Opposition deutet dies als Schwäche. „Jeder weiß, dass es falsch ist, dass Zahawi nicht in der Lage war, seine Steuerangelegenheiten zu klären, obwohl er die dafür verantwortliche Behörde leitete“, kritisierte der Labour-Chef Keir Starmer.

    Sunak hat einen sprichwörtlichen „vergifteten Kelch“ geerbt, erklärt Tim Bale, Politologe an der Queen-Mary-Universität, im Gespräch mit unserer Redaktion. „Johnson und Truss ließen die Partei richtungslos und tief gespalten zurück.“ Sie sei schwer zu führen. „Viele Dinge, für die er nun die Verantwortung übernehmen muss, passierten eigentlich vor seiner Amtszeit”, betont auch Sophie Stowers von der Denkfabrik „UK in a Changing Europe“ gegenüber unserer Redaktion. Ein Durchgreifen sei schwierig, weil die Partei nicht in sich geschlossen sei, er viele sehr unterschiedliche Grüppchen zufriedenstellen müsse. Um in der Gunst der Britinnen und Briten zu steigen, hätte Sunak Zahawi feuern sollen, meint sie. Aber: Mit einer harschen Reaktion gegenüber einem Minister riskiere Sunak immer auch eine Rebellion der Hinterbänkler.

    Großbritanniens Premierminister Sunak wurde „im perfekten Sturm zum Kapitän ernannt“

    Einen Rücktritt Sunaks vor den nächsten Parlamentswahlen, die regulär spätestens im Januar 2025 stattfinden werden, halten die Experten dennoch für unwahrscheinlich. „Schließlich ist bis dahin nicht mehr viel Zeit und ein erneuter Wechsel an der Spitze deshalb nicht ratsam“, sagt Stowers. Das sei auch den rebellischen Hinterbänklern der konservativen Partei klar. Bale vergleicht die Strategie Sunaks mit der eines Schiffskapitäns, der versucht, den Kurs zu halten. „Solange die Crew nicht meutert, sollte er bis zu den nächsten Parlamentswahlen überleben“, betont er. Angesichts der wirtschaftlichen Lage auf der Insel und wegen der vielen Skandale erwarte die Tories jedoch wohl ein katastrophales Ergebnis, wenn die Menschen zu den Urnen schreiten. „Er wurde im perfekten Sturm zum Kapitän ernannt.“ 

    Und als ob das nicht reichen würde, liefert Sunak dann auch noch eher überflüssige Schlagzeilen: Erst vor wenigen Tagen war er auf einem Videoclip, der über seine Media-Accounts verbreitet wurde, unangeschnallt auf dem Rücksitz eines fahrenden Autos zu sehen. Empörung und Gespött waren ihm ebenso sicher wie eine deftige Geldbuße. Es ist bereits das zweite Mal in neun Monaten, dass die Polizei ein Strafgeld gegen Sunak verhängt: Im April 2022 musste er – noch als Finanzminister – wegen der „Partygate“-Affäre um verbotene Feiern während des Corona-Lockdowns eine Strafe zahlen. 

    Einer, der das Schiff zusätzlich ins Wanken bringt, ist Ex-Premierminister Boris Johnson. Vergangenes Wochenende reiste er nach Kiew, um den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu treffen. „Sie saßen sich gegenüber, hinter ihnen war der Union Jack zu sehen. Er vermittelte damit den Eindruck, die britische Regierung zu vertreten – ein cleverer Schritt“, betont Stowers. Trotz der Bemühungen Johnsons, positiv in Erscheinung zu treten, hält sie ein Comeback des 58-Jährigen für unwahrscheinlich. 

    Wegen der vielen Skandale und weil gegen ihn ermittelt wird. Der Tory-Spender Richard Sharp soll dem Ex-Premier dabei geholfen haben, ein Darlehen von umgerechnet über 900.000 Euro zu erhalten. Kurz darauf schlug Johnson Sharp für den Posten des Vorsitzenden beim Sender BBC vor. Johnson werde die Hoffnung auf ein Comeback nicht aufgeben, meint Bale. „Aber die Umfragen deuten stark darauf hin, dass die Öffentlichkeit froh ist, ihn endlich loszusein.“

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden