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Großbritannien: Liz Truss ist ein Premier ohne Profil

Großbritannien

Die Konservative Liz Truss ist ein Premier ohne Profil

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    Liz Truss hat sich gegen Rishi Sunak durchgesetzt.
    Liz Truss hat sich gegen Rishi Sunak durchgesetzt. Foto: Stefan Rousseau, PA Wire/dpa (Archivbild)

    Peter ist bedient. „Wir sind gerade den schlimmsten Premierminister losgeworden. Und jetzt geht es genauso weiter“, sagt der Demonstrant unweit des britischen Parlaments. Er muss laut reden, um die dröhnende Rockmusik zu übertönen. In den Händen hält er ein Schild: „Johnson machte Party, während Menschen starben.“ Eine Frau sagt: „Ich vertraue Liz nicht“ – als Anspielung auf den Wahlslogan der neuen Premierministerin: „In

    Truss' Vorgänger Boris Johnson bei einer seiner letzten Reden Anfang September.
    Truss' Vorgänger Boris Johnson bei einer seiner letzten Reden Anfang September. Foto: Chris Radburn, dpa

    Kurz vorher war Liz Truss im Queen Elizabeth Centre im Herzen Londons zur neuen Parteivorsitzenden und damit zur künftigen Premierministerin Großbritanniens gewählt worden. Doch der Jubel unter den hunderten konservativen Parteimitgliedern und Abgeordneten war verhalten. Truss erhielt 81.326 Stimmen der Parteimitglieder, ihr Konkurrent Rishi Sunak nur 60.399. Andrew Stephenson, jener Abgeordnete, der den Wahlkampf beaufsichtigt hatte, begründete die nüchterne Stimmung gegenüber unserer Zeitung damit, dass dem Land schwere Zeiten bevorstünden. Truss jedenfalls versprach, „liefern, liefern, liefern“ zu wollen – sei es im Hinblick auf die explodierenden Energiepreise oder das darniederliegende Gesundheitssystem. Konkrete Ankündigungen machte sie aber nicht. Wieder einmal nicht.

    Liz Truss siegt in Großbritannien gegen Rishi Sunak

    Mit ihrem Sieg, den Truss lächelnd zur Kenntnis nahm, hat sie sich in den letzten Wochen gegen acht offizielle Kandidaten und zuletzt gegen Sunak, den einstigen Finanzminister, durchgesetzt. Am heutigen Dienstag wird sie zur neuen Premierministerin Großbritanniens. Damit ist die 47-Jährige, deren einstige Schulkameraden sich laut Medienberichten angesichts ihres Aufstiegs überrascht die Augen reiben, die dritte Frau in diesem Amt nach Margaret Thatcher und Theresa May, die bis 2019 in der Downing Street wohnte, bevor Boris Johnson dort einzog. Nach zwei Monaten Wahlkampf, in denen das Land wie in einer Blase gefangen wirkte, sind die Erwartungen an Truss riesig, endlich konkrete Aussagen darüber zu machen, wie sie Britinnen und Briten angesichts der Krisen, die das Land erwarten, helfen will.

    Bei ihrem letzten „Hustings“, wie die Wahlkampfauftritte für Parteimitglieder genannt werden, im Londoner Wembley-Stadion hatte sie vor allem betont, was sie nicht machen will. Auf Nachfrage des konservativen Moderators Nick Ferrari, der ihr freundlich, aber bestimmt auf den Zahn fühlte, schloss die 47-Jährige nicht nur aus, weitere Steuern einzuführen, sie versicherte auch, dass Strom und Gas, anders als womöglich in Frankreich, nicht rationiert und die Übergewinnsteuer für Energieunternehmen nicht ausgeweitet werde. Bei den geschätzt 180.000 Parteimitgliedern, die im Schnitt deutlich weißer und älter sind als der Durchschnitt der Bevölkerung und über die Nachfolge Boris Johnsons entschieden, kamen überdies Truss’ Versprechungen, Steuern und Sozialabgaben senken zu wollen, gut an. Überzeugt hat sie damit auch die 49-jährige Konservative Joe beim „Hustings“ vergangene Woche: „Ich denke, wir benötigen Frauen mit Macht. Jemanden, der ist wie Thatcher. Der stark ist und für dieses Land geradesteht. Und sie hat schon gezeigt, dass sie das kann.“

    Gilt Margaret Thatcher als Vorbild für Truss?

    Tatsächlich baut Truss durch ihr Versprechen, staatliche Regelungen zurückzunehmen und Steuern zu senken, auf das Image von Thatcher auf. Die 1990 verstorbene Politikerin hatte den Ruf, „trotz Widerständen und Kritik harte Entscheidungen für das Land“ getroffen zu haben, erklärt William King, Historiker zur politischen Geschichte Großbritanniens am Deutschen Historischen Institut in London. Das spreche viele Mitglieder der Konservativen Partei an: „Man erinnert sich an Thatcher als eine Führungspersönlichkeit mit starken Überzeugungen, als ,eiserne Lady‘.“ In Zeiten der Unsicherheit würden solche Eigenschaften geschätzt. Er bezeichnet Truss’ Strategie deshalb „als wichtigen Schritt, um sich die Unterstützung durch die Parteimitglieder zu sichern, die in Wirtschaftsfragen oft rechtsgerichteter sind als die Abgeordneten der Konservativen Partei“. Hätten allein die Abgeordneten und nicht alle Parteimitglieder entschieden, wäre die Wahl vermutlich anders ausgefallen. Bei ihnen hatte Sunak in den vergangenen Wochen vorn gelegen im Kampf um den Vorsitz.

    Dass Thatcher eine Ikone für viele Tories ist, wurde auch bei der Wahlveranstaltung im Wembley-Stadion deutlich. Denn dort konnte man für umgerechnet zwölf Euro neben blauen Tassen mit dem Aufdruck „Liz for leader“ (Liz soll die Führung übernehmen) und „Rishi“ auch eine mit dem Antlitz der einstigen Premierministerin kaufen. Auf der Tasse, die sich laut den Wahlhelfern gut verkaufte, hebt sie mahnend den Finger, fast so, als würde sie die politische Richtung vorgeben.

    Rishi Sunak bewarb sich auch um die Nachfolge von Premierminister Johnson.
    Rishi Sunak bewarb sich auch um die Nachfolge von Premierminister Johnson. Foto: Jacob King, PA/dpa

    Als Truss’ Umfragewerte im Verlauf des Wahlkampfes stiegen, fühlte sie sich im Rampenlicht dem Anschein nach wohler. Schien sie am Anfang noch unsicher, wirkte sie in London selbstbewusst, vor allem, wenn es darum ging, Fragen von Journalisten, Reporterinnen und aus dem Publikum zu beantworten. Dennoch galt Truss’ Sieg vor einigen Wochen nicht als ausgemacht. Denn zunächst war eben der frühere Finanzminister Rishi Sunak Favorit im Rennen um das Amt des Premierministers. Dieser überzeugte vor allem die konservativen Abgeordneten damit, dass er die Steuern erst später senken wollte, um die Inflation nicht noch weiter in die Höhe zu treiben. Der Ansatz stand Truss’ Ideen entgegen, doch viele hätten ihn laut Experten eigentlich bevorzugt. „Es wird eine große Herausforderung für die neue Premierministerin sein, hier einen Kompromiss zu finden. Denn anders als beim Brexit ist die Partei in wirtschaftlichen Fragen tief gespalten“, erklärt Anand Menon von der Denkfabrik „UK in a Changing Europe“ (Großbritannien in einem sich verändernden Europa) im Gespräch mit unserer Redaktion.

    Liz Truss ändert ihre Meinung um 180 Grad

    Viele Tories, die nicht für Truss stimmten, zweifeln an ihr auch deshalb, weil sie sich lange Zeit eher unbeholfen präsentiert hatte. Während des Wahlkampfes kursierte in den sogenannten sozialen Medien ein Video von einer Rede während des Tory-Parteitages im Jahr 2014. Als Umwelt- und Landwirtschaftsministerin prahlte sie damit, im Vereinigten Königreich „Weizen wettbewerbsfähiger anzubauen als in der kanadischen Prärie“ und damit, dass Yorkshire-Tee nach China verkauft werde. Nach jeder Aussage grinste sie künstlich und wartete auf Applaus. Viele Briten und Britinnen lachten damals darüber, tun es noch heute.

    Auch in anderen Situationen wirkte die zweifache Mutter steif, ihre Sprache hölzern. Doch Truss ließ sich von der Kritik nicht unterkriegen. Sie holte sich Hilfe, um ihre Außenwirkung zu verbessern, arbeitete an ihrem Image. So gewappnet und weil sie sich dem rechten Spektrum der Partei andiente, bekam ihre Karriere unter Boris Johnson neuen Schwung. Er machte sie erst zur Ministerin für Internationalen Handel und dann zur Außenministerin. Neben Unsicherheiten warf sie außerdem auch politische Überzeugungen über Bord. Einst für den Verbleib in der EU, ist sie heute eine überzeugte Brexiteer.

    Königin Elizabeth II., hier bei einem Wohltätigkeitsbesuch, wird Truss empfangen.
    Königin Elizabeth II., hier bei einem Wohltätigkeitsbesuch, wird Truss empfangen. Foto: Kirsty O'connor, Pool PA,AP/dpa

    An diesem Dienstag also wird Liz Truss von Queen Elizabeth II. auf Schloss Balmoral in Schottland die Erlaubnis erteilt bekommen, eine Regierung zu bilden. Danach nimmt sie noch im Flugzeug ihre Arbeit als Premierministerin auf, um schließlich am Nachmittag eine Rede vor dem Amtssitz Downing Street Nummer 10 zu halten. Wird Liz Truss endlich sagen, was sie plant? Am Sonntag versuchte ihr die BBC-Moderatorin Laura Kuenssberg zu entlocken, was sie vorhat, um den Menschen im Land zu helfen. Truss wich aus, sagte dann aber zu, innerhalb einer Woche anzukündigen, was sie anstrebt, „um dieses Land vor dem Winter auf den richtigen Weg zu bringen“.

    Ab heute prallen Truss’ Versprechungen und ihr zur Schau getragener Optimismus auf die Realität. Und die hat es in sich. Schließlich verzeichnet das Land mit einem Preisanstieg von über zehn Prozent seit dem vergangenen Jahr die höchste Inflation unter den G7-Staaten, der staatlich festgelegte Preisdeckel für Gas- und Energie liegt ab Oktober für private Haushalte bei umgerechnet rund 4100 Euro, Tendenz steigend. Jeder vierte Brite hat deshalb laut Umfragen angekündigt, im Winter die Heizungen nicht mehr anstellen zu wollen, um Geld zu sparen. Den Tafeln gehen jetzt schon die Lebensmittel aus und Hilfsorganisationen fürchten, dass die Krise kommenden Winter Menschenleben kosten wird. Liz Truss muss wirklich „liefern, liefern, liefern“. Ansonsten droht ihr neben der Skepsis der Abgeordneten auch die geballte Wut der britischen Bürgerinnen und Bürger.

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