Ein Foto belegt den Moment, der Großbritanniens politische Zukunft bestimmt. Darauf zu sehen sind Liz Truss und Königin Elizabeth II. Mit einem Handschlag der freundlich lächelnden Monarchin wurde die 47-Jährige offiziell zur Premierministerin ernannt. Sie ist der 15. Premierminister, den die 96-Jährige auf diese Weise ins Amt hob. Doch anders als sonst geschah dies nicht im Buckingham-Palast, sondern auf Schloss Balmoral, einem königlichen Anwesen 800 Kilometer von London entfernt. Das Protokoll wurde geändert, da die Monarchin aufgrund „episodischer Mobilitätsprobleme“, wie es vonseiten des Palastes hieß, nicht von Schottland nach London reisen kann. Deshalb mussten sowohl Johnson als auch Truss gestern nach Aberdeen in Schottland fliegen, um daraufhin wieder in die Hauptstadt zu jetten. Eine Maßnahme, die erneut Sorgen zum Gesundheitszustand der Queen schürte und überdies den Zeitplan durcheinander brachte. Truss' lang erwartet Rede war deshalb nicht für den Mittag, sondern erst für den Nachmittag geplant.
Liz Truss erklärt die Energiekrise und das Gesundheitssystem zu Prioritäten
Metaphern über das Wetter verbieten sich eigentlich. Dass Boris Johnson seine letzte Rede in der Morgensonne hielt, während kurz vor der Ansprache von Liz Truss am Nachmittag starker Regen einsetzte, deuteten manche dann doch als ein schlechtes Omen. Schließlich klarte der Himmel wieder etwas auf und sie konnte dennoch vor der Downing Street Nummer 10 zu ihren Anhängern sprechen. Ihre Rede selbst war „scharf und kurz“, wie Beobachter bemerkten. „So stark der Sturm auch sein mag, ich weiß, dass die Briten stärker sind“, sagte sie und nannte erneut ihre drei wichtigsten Prioritäten: die Wirtschaft, die Energiekrise und das nationale Gesundheitssystem NHS. Indem sie erwähnte, dass sie Steuern senken wolle, machte sie außerdem erneut klar, dass sie ihren deregulierenden Kurs nach dem Vorbild von Premierministerin Margaret Thatcher fortsetzen will.
Es wird erwartet, dass sie heute im Rahmen ihres ersten Auftritts im Parlament vorstellen wird, wie sie den Menschen angesichts explodierender Energiepreise im Land helfen will. Im Verlauf des Wahlkampfes versprach die 47-Jährige den Parteimitgliedern, die über ihren Sieg entschieden und deutlich wohlhabender sind als der Rest der Bevölkerung, Steuern zu senken. Mit Zusagen für Hilfen für durchschnittlich verdienende oder hilfsbedürftige Britinnen und Briten, wie Rentner oder Erwerbslose, hielt sie sich jedoch extrem zurück. In der Bevölkerung sorgte dies für Panik. Viele fragen sich, wie sie angesichts von jährlichen Stromrechnungen von umgerechnet über 4000 Euro über den Winter kommen sollen. Mittlerweile ist die Rede von einem milliardenschweren Hilfspaket für Unternehmen und Haushalte und davon, dass sie gemeinsam mit ihrer neuen Regierung Gas- und Stromrechnungen einfrieren will. Wie das Ganze finanziert werden soll, ist noch nicht klar.
Nach ihrer Rede gab Truss außerdem bekannt, wer die gesetzten Ziele gemeinsam mit ihr in der Regierung umsetzen soll. Bemerkenswert daran ist, dass es vermutlich das erste Kabinett der Geschichte sein wird, in dem keines der wichtigen Ämter von einem Weißen übernommen wird. Finanzminister und Kanzler soll wohl ihr enger Vertrauter und Noch-Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng werden. Außenminister wird vermutlich der 53-jährige Bildungsminister James Cleverly.
Die Bevölkerung begegnet der neuen Premierministerin mit Skepsis
Während Truss ihre Ansprache später hielt, musste Boris Johnson für seine Abschiedsrede deutlich früher aufstehen als geplant. Um 7.30 Uhr betonte er im Schein der Morgensonne erneut, was die Regierung unter seiner Führung für das Land geleistet, dass er den Brexit durchgezogen und ein beispielloses Impfprogramm auf den Weg gebracht habe.
Bezüglich seiner politischen Zukunft verglich er sich mit einer Rakete, die ihre Funktion erfüllt hat. „Jetzt werde ich sanft wieder in die Atmosphäre eintreten und in einer abgelegenen und obskuren Ecke des Pazifiks landen.“ Ist es wirklich das Letzte, was man von ihm als Politiker gehört hat? Viele bezweifeln dies, auch weil er nach wie vor viele Unterstützer hat. Edward Udny-Lister, einst Abgeordneter in der konservativen Partei, glaubt jedenfalls, dass Johnson bereit sei, das Kommando zu übernehmen, wenn „ihm der Ball vor die Füße rollt“.
Zweifelsohne trauern viele Abgeordnete Johnson nach, trotz allem. Denn während der Rückhalt für Truss' Vorgänger bei seiner Wahl 2019 in der Bevölkerung hoch war, blicken die Menschen in Großbritannien skeptisch auf seine Nachfolgerin. Laut Umfragen des Meinungsforschungsinstitutes YouGov denken nur zwei Prozent der Britinnen und Briten, dass die neue Premierministerin gute Antworten darauf hat, wie man mit den explodierenden Energiepreisen umgehen soll. Carol Walker, eine Mitarbeiterin des nationalen Gesundheitssystems NHS aus Sedgefield im Norden Englands, jedenfalls zweifelt an ihren Führungsqualitäten: „Ich glaube nicht, dass sie gut für die Arbeiterklasse sein wird. Ich mache mir große Sorgen über unsere Zukunft.“