Im politischen Überlebenskampf setzt die konservative britische Regierung verstärkt auf fossile Energien. Premierminister Rishi Sunak kündigte nun Hunderte Lizenzen zur Förderung von Öl und Gas in der Nordsee an. Zudem kommen aus den Reihen seiner Tories verstärkt Forderungen, die angekündigte Vorschrift zu verwässern, dass von 2030 an keine neuen Verbrenner mehr verkauft werden dürfen. Die wichtigste Oppositionspartei Labour, die in Umfragen klar in Führung liegt, warf Sunak vor, er führe einen "Kulturkrieg gegen das Klima", um das Versagen seiner Tories in der Energiepolitik wettzumachen. Die nächste Parlamentswahl ist für 2024 geplant.
Die Konservativen setzen mit Nachdruck auf die Klima-Karte - und zeigen sich damit an der Seite des "kleinen Mannes", der Umfragen zufolge mit einigen umweltpolitischen Vorhaben unzufrieden ist. In einem Interview mit der Zeitung "Sunday Telegraph" stellte sich Sunak jüngst demonstrativ als Förderer der 35 Millionen Autofahrer Großbritanniens dar, wo zuletzt 46,5 Millionen Menschen als wahlberechtigt registriert waren. Seine Tories schimpfen laut über das Vorhaben von Bürgermeister Sadiq Khan, die Umweltzone in London massiv auszudehnen - die von seinem konservativen Vorgänger Boris Johnson eingeführt worden war. Immerhin: In Johnsons einstigem Wahlkreis in Nordwestlondon konnten die Tories dank des Streits gegen den Trend eine Nachwahl gewinnen.
Sunak: Klimaschutz muss "verhältnismäßig und pragmatisch" sein
Nun wittert Sunak seine Chance. Downing Street bestätigte, dass alle Minister "im Lichte einiger Herausforderungen bei den Lebenshaltungskosten" die bestehenden Zusagen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen prüfen. Sunak betonte, alle klimaschützenden Maßnahmen müssten "verhältnismäßig und pragmatisch" sein, um zusätzliche Kosten und "Scherereien" für Verbraucher zu vermeiden.
Vorwürfe, die Regierung unterlaufe ihr eigenes Ziel, bis 2050 die Treibhausgasemissionen auf Null zu reduzieren, weist Sunak zurück. Auch dann müsse noch ein Viertel des Energiebedarfs von Öl und Gas gedeckt werden, sagte er. Es sei aber klimafreundlicher, selbst zu fördern, als von "ausländischen Diktatoren" abhängig zu sein und die Brennstoffe um die halbe Welt zu verschiffen.
Vorstoß in den sozialen Medien
Dass Sunak mit seinen Ankündigungen vor allem politisch punkten will, machte die Regierung in sozialen Medien deutlich. Sunak behauptete dort, die sozialdemokratische Labour-Partei wolle sich in Energiefragen allein auf Importe verlassen und würde damit Russland stärken.
Und Grant Shapps, Minister für Energiesicherheit, twitterte: "Heute sagen wir Nein zu Just Stop Oil und ihrem politischen Arm, der Labour-Partei." Dabei hat auch Labour-Chef Keir Starmer wiederholt radikale Proteste der Aktivisten kritisiert.
Kritiker reagieren empört
Umweltschützer zeigten sich von der Klima-Wende der Regierung empört. Oxfam nannte die neueste Entscheidung "heuchlerisch" und "gefährlich inkonsequent". Noch mehr fossile Brennstoffe aus der Nordsee zu fördern, wirke wie eine "Abrissbirne" für die Klimaverpflichtungen des Vereinigten Königreichs. Mike Childs von der Organisation Friends of the Earth forderte mehr Förderung für Erneuerbare. "Hunderte neue Öl- und Gaslizenzen zu erteilen, wird die Flammen nur noch mehr anheizen", sagte Childs mit Blick auf die Waldbrände im Mittelmeerraum. Zur Energiesicherheit hingegen würden noch mehr Öl und Gas nicht beitragen, da sie nicht für die heimische Verwendung reserviert werden könnten.
Doch auch in den eigenen Reihen stößt Sunak auf Widerstand. Der "grüne" Tory-Abgeordnete Chris Skidmore kritisierte, dass das Vorhaben ohne Debatte in der parlamentarischen Sommerpause verkündet worden sei. "Dies ist die falsche Entscheidung zur völlig falschen Zeit, während der Rest der Welt Rekordhitzewellen erlebt", sagte Skidmore der britischen Nachrichtenagentur PA. Dass die Tories mit dieser Taktik Erfolg haben könnten, bezweifelte er: Fortschrittliche Wähler würden für Parteien stimmen, die die Umwelt schützen und nicht bedrohen. Sunak stehe auf der falschen Seite der Geschichte.
(Von Benedikt von Imhoff, dpa)