Früher hieß es, Boris Johnson sei ein Politiker, der sich niemals entschuldigt. Wie bei einer Teflon-Pfanne, so der allgemeine Tenor, bliebe kein Vorwurf und kein Skandal an ihm kleben. Mittlerweile trifft dies nicht mehr zu. Denn die Liste der Entschuldigungen, die der 57-Jährige in Bezug auf die sogenannte Partygate-Affäre vorgebracht hat, ist lang und der Schaden dadurch – trotz des Engagements der britischen Regierung im Krieg zwischen der Ukraine und Russland Beobachtern zufolge nachhaltig.
Nun kam eine weitere Entschuldigung um Partys in der Downing Street 10 hinzu. Johnson nahm am späten Nachmittag in dem voll besetzten Parlament zum ersten Mal Stellung dazu, dass er wegen des Verstoßes gegen die Regeln während des Lockdowns im Juni 2020 mit einem Bußgeld bestraft wurde. Er sagte, „dass er einen Fehler gemacht" hat, der ihm zutiefst leidtäte. Ihm sei damals nicht bewusst gewesen, Gesetze gebrochen zu haben. Im gleichen Atemzug betonte er, dass die Ukraine Hilfe im Kampf gegen Putin brauche, und verwies auf die Unterstützung Großbritanniens.
Kritik an Johnson wegen Partygate-Affäre reißt nicht ab
Der Labour-Chef Keir Starmer bezeichnete die Entschuldigung im Anschluss als ein Witz. Ein besonders harter Schlag kam gestern jedoch aus den eigenen Reihen. Der Tory-Abgeordnete Mark Harper, ein einstiger Unterstützer Johnsons, forderte gestern dessen Rücktritt: „Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber ich denke, er ist dem großen Amt, das er innehat, nicht mehr würdig", schrieb er in einem Brief, den er auf Twitter veröffentlichte.
Die Opposition behauptet schon seit Wochen, dass Johnson den Krieg dazu nutzt, um sich gegen die Partygate-Affäre zu schützen. Tatsächlich besuchte dieser Mitte April nur wenige Tage vor der Bekanntgabe seiner Strafe Wolodymyr Selenskyj in Kiew. Dort gingen die beiden Staatschefs umringt von Soldaten durch die Straßen der Hauptstadt. Nach dem Motto: Ihr redet über Partys, ich engagiere mich an der Seite der Ukrainer.
Johnson bestritt zunächst, von Partys gewusst zu haben
Die Liste von Feiern, die im Jahr 2020 von Regierungsmitgliedern während des Lockdowns besucht wurde, ist lang. Der Premier bestritt zunächst, von ihnen gewusst zu haben. Dann wurde klar: Er hatte nicht nur Kenntnis davon, sondern nahm auch an ihnen teil, wie die Ermittlungen durch Scotland Yard bestätigten. Vergangene Woche wurde gegen ihn eine erste Geldstrafe verhängt – wegen einer Party an seinem Geburtstag. Johnson ist damit der erste britische Premier, der während seiner Amtszeit gegen das Gesetz verstoßen hat und dafür bestraft wurde.
Während einige Tories in der letzten Woche damit beschäftigt waren, das Vergehen des Premiers klein zu reden, indem sie dieses zum Beispiel mit einem Knöllchen für zu schnelles Fahren verglichen, fordert die Labour-Partei öffentlich sowohl den Rücktritt Johnsons sowie den von Kanzler Rishi Sunak, der ebenfalls eine Strafe erhalten hatte. Sie „haben ihr Amt entehrt”, sagte Starmer.
Viele Menschen sind weiterhin wütend auf Johnson
Gestern erwirkte die Opposition, dass das Unterhaus darüber entscheiden soll, ob sich ein Komitee mit der folgenden Frage beschäftigen wird: Führte Johnson das Parlament in die Irre, indem er behauptet hatte, dass gegen keine Regeln verstoßen wurde? Als Reaktion auf diese Nachricht forderte der Führer der Liberaldemokraten, Ed Davey, Johnson „aus der Downing Street zu werfen“. Dass die Abstimmung am Donnerstag zu Ungunsten des Premiers ausgeht, ist Beobachtern zufolge angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Parlament jedoch unwahrscheinlich.
Auch wenn Johnson politisch bislang mit einem blauen Auge davongekommen ist, in der Öffentlichkeit ist er das nicht. Eine aktuelle Umfrage im Auftrag der britischen Tageszeitung „The Times” zeigt, dass die Menschen in Großbritannien weiter wütend angesichts der Partys während des Lockdowns sind. 72 Prozent betonten, dass sie ein negatives Bild von dem Premier hätten. Viele bezeichneten ihn als „Lügner”.
Wie geht es also weiter für Johnson? Experten halten zwei Szenarien für möglich: Entweder die Wut innerhalb der Bevölkerung und seiner Partei schwillt mit jeder möglichen weiteren Strafe an, oder aber er übersteht die Affäre, weil schon das erste offizielle Vergehen weitestgehend folgenlos blieb. Sicher ist, dass mehr Enthüllungen folgen werden – vonseiten der Polizei und durch die Beamtin Sue Gray. Die Zeiten, in denen alle Skandale an Johnson abperlten, sind jedoch in jedem Fall vorbei.