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Großbritannien: Flüchtlinge als Wahlkampf-Joker für Großbritanniens Premier Sunak

Großbritannien

Flüchtlinge als Wahlkampf-Joker für Großbritanniens Premier Sunak

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    Niederlage im Parlament abgewendet: Rishi Sunak pokert hoch
    Niederlage im Parlament abgewendet: Rishi Sunak pokert hoch Foto: House Of Commons, dpa

    Als das Ergebnis im Parlament verlesen wurde, geht ein erleichtertes Aufatmen durch die Führungsriege der Tory-Partei. Rishi Sunak umarmte sogar Chief Whip, Chef-Einpeitscher, Simon Hart, der bei wichtigen Abstimmungen für Disziplin in der Fraktion sorgen muss, so groß war die Freude des britischen Premierministers. Denn die Abgeordneten im Unterhaus stimmten am Dienstagabend in zweiter Lesung mehrheitlich für einen höchst umstrittenen Gesetzentwurf. Der Ausgang schien bis zur letzten Sekunde unklar.

    Sunak hat seine politische Zukunft mit dem Projekt verknüpft

    Zu dem Drama auf Shakespeare-Niveau geführt hat ein provokanter Plan der Tory-Regierung. Um Menschen von der gefährlichen Reise in kleinen Booten über den Ärmelkanal abzuschrecken, will der britische Premier illegale Migranten um jeden Preis nach Ruanda ausfliegen. Dort sollen diese dann auf den Ausgang ihres Asylverfahrens warten. Eine Rückkehr nach Großbritannien ist nicht vorgesehen. Weil Sunak seine politische Zukunft mit dem Projekt verknüpft, geht er große Risiken ein

    Der am vergangenen Donnerstag vorgestellte Gesetzentwurf stuft das ostafrikanische Land entgegen einem Urteil des Obersten Gerichtshofs als sicher ein. Menschenrechtler bezeichneten den Vorstoß als „Angriff auf die Gewaltenteilung“. Den einen geht er zu weit, den anderen nicht weit genug.

    Massiven Gegenwind erhielt der 43-Jährige sowohl von den gemäßigten Teilen der Partei als auch von rechtskonservativen Hinterbänklern, die sich bei den Tories in zahlreichen Gruppen formieren. Hauptdarsteller waren diesmal unter anderem die „New Conservatives“ und die „European Research Group“. Sie störten sich daran, dass sich Betroffene in Einzelfällen immer noch an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden können. Wenn das Gesetz wirken soll, müsse es verschärft werden, wetterten sie in die Fernsehkameras zahlreicher Medienanstalten.

    Die Emotionen kochten hoch: In Großbritannien war von Neuwahlen die Rede

    Verschiedene Gruppen drohten schließlich damit, in der ersten Lesung gegen den Vorschlag zu stimmen und das Gesetz damit platzen zu lassen. Das hätte den Führungsanspruch von Rishi Sunak massiv untergraben. Die Emotionen kochten hoch. Es war von möglichen Neuwahlen die Rede. Rechtskonservative Hinterbänkler dachten laut darüber nach, wer Sunak nachfolgen könnte. Im Gespräch war unter anderem die Wirtschaftsministerin Kemi Badenoch. Manche wünschten sich hinter vorgehaltener Hand gar einen Premierminister zurück, der einst mit Schimpf und Schande aus der Downing Street Nummer 10 gejagt wurde: Boris Johnson.

    So weit kam es nicht, zumindest vorerst. Für den Gesetzentwurf stimmten schließlich 313 Abgeordnete, 269 dagegen. 29 Tories dürften sich Medienberichten zufolge enthalten haben, statt dagegen zu stimmen. Der Premier habe schließlich eingeräumt, „ein offenes Ohr“ zu haben, hieß es. „Rishi hat seinen Festbraten gerettet“, so die britische Tageszeitung Metro. Doch „der Albtraum kommt nach Weihnachten“, titelte der Daily Mirror.

    Schließlich soll das Parlament voraussichtlich Mitte Januar in der dritten Lesung erneut sein Votum abgeben. Das Problem: Die Spaltung ist geblieben. Während die einen wollen, dass der Text zumindest nicht verschärft wird, fordern andere genau das. Ansonsten, so die wenig überraschend und polternd formulierte Warnung, stimmen sie gegen den Vorschlag.

    Sunak sichert sich ein Wahlkampfthema gegen Labour

    Droht Sunak die große Pleite also dann in einem Monat? Joelle Grogan von der Denkfabrik „UK in a Changing Europe“ hält das für unwahrscheinlich. „Ich denke, dass der Premierminister den Text leicht verschärfen wird und er dann auch in der dritten Lesung mehrheitlich akzeptiert wird“, sagt sie gegenüber dieser Zeitung. Die Partei hätte angesichts der schlechten Umfragewerte keinen Appetit auf Neuwahlen, bei denen viele wohl ihre Sitze verlieren würden. Der Vorteil für Sunak sei, dass die Entscheidung, wie es mit dem Vorschlag weitergeht, bald zunächst beim Oberhaus liege.

    Dass Sunak so viel aufs Spiel setzt, um eine letztlich kleine Anzahl von Menschen nach Ruanda ausfliegen zu können, begründet Grogan mit seiner Strategie: „Er will das Thema Migration zu einem Wahlkampfthema machen.“ Die Botschaft, die er vermitteln wolle, sei: „Wir sind die starke Partei, die sich dieser Sache annimmt, und es ist das House of Lords sowie die oppositionelle Labour-Partei, die uns davon abhalten will.“ Dabei wolle die Partei die Wahlen ihrer Meinung nach idealerweise im Herbst kommenden Jahres ansetzen. Ob dieser Plan aufgeht? Derzeit führt Labour in Umfragen klar. Sicher sei natürlich nichts, sagt Grogan. Doch zumindest die Weihnachtsfeiertage sind für Sunak gerettet.

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