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Großbritannien: Drei Jahre nach dem Brexit steckt Großbritannien in der Krise

Großbritannien

Drei Jahre nach dem Brexit steckt Großbritannien in der Krise

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    Wegen des Brexits steckt Großbritannien tiefer in der Krise als viele andere Länder.
    Wegen des Brexits steckt Großbritannien tiefer in der Krise als viele andere Länder. Foto: Joe Giddens, dpa

    Drei Jahre ist es her, dass Boris Johnson vor einem Kamin in der Downing Street Nummer 10 Platz nahm, um der Nation mitzuteilen, was er unter dem Brexit versteht. "Das ist nicht das Ende, das ist ein Anfang", sagte der damalige Premierminister Großbritanniens. Dabei ballte er die linke Hand zu einer Faust, ganz so, als würde er nicht nur den Briten, sondern auch sich selbst Mut zusprechen. Es war der Abend des 31. Januar 2020. Jener Tag, als Großbritannien nach jahrelangen, zähen Verhandlungen schließlich offiziell aus der EU austrat.

    Seitdem ist viel passiert. Die Pandemie sowie der Krieg in der Ukraine und dessen wirtschaftliche Folgen haben auch Großbritannien auf eine harte Probe gestellt. Ganz zu schweigen von den politischen Unruhen in den Reihen der Tories: Zwar wurde Johnson im Juli 2022 wegen wiederholten Fehlverhaltens aus dem Amt gejagt, es war jedoch vor allem der Brexit, der die Partei weiter spaltete. Ideologisch gegensätzliche Fraktionen waren mehr damit beschäftigt, sich gegenseitig zu bekämpfen, als zu regieren, beklagten Beobachter.

    Der Brexit kostet die Briten bares Geld

    Dass der Brexit dem Königreich geschadet hat, räumt man mittlerweile sogar in den Reihen der Tories ein, wenn auch hinter vorgehaltener Hand. Das Land befindet sich in einer Rezession, der Lebensstandard sinkt. "Der Brexit kostet Geld. Die Wirtschaftskraft Großbritanniens ist fünf bis sechs Prozent geringer, als sie sonst hätte sein können“, erklärte Ulrich Hoppe von der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer (AHK) in London diese Woche unserer Redaktion. "Das bestreitet eigentlich keiner mehr.“

    Anders als früher die Ex-Premierminister Liz Truss oder Boris Johnson schlug Finanzminister Jeremy Hunt am Freitag dementsprechend zurückhaltende Töne im Rahmen einer Rede im Zentrum Londons an. Sein Plan für Wachstum sei "durch den Brexit erforderlich, angeregt und ermöglicht“, sagte er. Drei Jahre nach dem Austritt aus der EU ist die Regierung immer noch damit beschäftigt, die Lage in den Griff zu bekommen, statt echten Wandel zu bringen, betonen Experten.

    Zahl der Exporte aus Großbritannien ist gesunken

    Erst vor wenigen Tagen wurden Zahlen veröffentlicht, die belegen: Wegen des Brexits wird Großbritannien auch seine Exportziele deutlich verfehlen. Nach Angaben der Vereinigung Federation of Small Businesses hat einer von acht Exporteuren wegen des Brexits zeitweise oder endgültig seine Verkäufe in die EU eingestellt und ein weiteres Zehntel erwägt dies. Die Brexit-Anhänger hatten einst geltend gemacht, ein Austritt aus der EU werde es Großbritannien erlauben, eigene Handelsabkommen zu schließen, die viel vorteilhafter seien. Bisher ist das aber nicht gelungen. Die bisher neu verhandelten Verträge etwa mit Australien oder Neuseeland wiegen die schweren Einbußen im Außenhandel mit der EU nicht annähernd auf. Das erhoffte Freihandelsabkommen mit den USA ist in weiter Ferne.

    Wie die Regierung versuchen auch viele Unternehmen, die Produkte in die EU exportierten, seit dem Brexit einen neuen Kurs einzuschlagen. Eines von ihnen ist "Cycloc", ein Hersteller von Fahrrad-Aufhängern im Nordosten Londons. "Vor dem Brexit haben wir das Schlimmste befürchtet“, sagte der Gründer Andrew Lang. "Und dann kam es auch so." Nach dem Ausstieg aus der EU seien die Gesamtumsätze um 25 Prozent gesunken.

    Britische Unternehmer kämpfen mit der Bürokratie

    "Unternehmen kämpfen weiterhin mit der Bürokratie, mit den Papieren, den Formularen", bestätigte Hoppe von der AHK. Überdies habe der Brexit den Fachkräftemangel verstärkt, vorrangig in den unteren Lohnbereichen. Schließlich verließen während der Pandemie viele Europäer das Land, wenige kamen wieder, so Hoppe. Von den Folgen betroffen sind unter anderem Restaurants, aber auch das ohnehin schon stark unter Druck stehende nationale Gesundheitssystem NHS.

    Immer mehr Unternehmer machen ihrem Frust nun auch öffentlich Luft. Der Besitzer der Londoner Restaurants "Padella" und "Trullo", Jordan Frieda, musste kürzlich seine Öffnungszeiten reduzieren wegen des Mangels an Kellnern. Er bezeichnete dies als das traumatischste Ereignis seiner Karriere. Die Situation träfe ihn stärker als Covid und die Energiekostenkrise, sagte er gegenüber Journalisten.

    Der Industrie-Designer Andrew Lang möchte sich seinen Optimismus jedoch nicht nehmen lassen. Sein Betrieb verkauft viele seiner Produkte aktuell statt an einzelne Kunden eher auf Vertragsbasis. "Das gibt sowohl uns als auch dem Kunden mehr Planungssicherheit", erklärte er. Und auch Hoppe bleibt zuversichtlich. "Großbritannien bleibt ein attraktiver Wirtschaftsstandort."

    Die Tories steuern auf eine Wahlniederlage zu

    Andere Experten rechnen hingegen in Großbritannien mit einer schwereren und längeren Wirtschaftskrise als in vergleichbaren Ländern. Eine klare Mehrheit (77 Prozent) von mehr als 100 Ökonomen aus dem Vereinigten Königreich geht davon aus, dass die britische Inflation länger über der angestrebten Zielmarke bleiben wird als in den vergleichbaren Ländern, wie den G7-Staaten. "Großbritannien leidet an einem genauso schlimmen Energieschock wie der Rest Europas, einem so großen Inflationsproblem wie die USA und einem einzigartigen Fachkräftemangel durch den Brexit und die Krise im Gesundheitsdienst", sagte der Ökonom Ricardo Reis von der London School of Economics kürzlich der Financial Times.

    Für die Tories sieht die Zukunft auch deshalb düster aus. Sie liegen in den Umfragen weit hinter der Labour-Partei. Es gilt als wahrscheinlich, dass die konservative Partei die nächste Regierungswahl, die regulär spätestens Anfang 2025 stattfindet, nicht gewinnt. Selbst der konservative Telegraph räumte dieser Tage ein, dass durch den Brexit nichts erreicht worden sei. Der Traum vom neuen Anfang, den Boris Johnson vor drei Jahren versprach, scheint ausgeträumt.

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