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Großbritannien: Bye, bye, Boris: Absturz eines Polit-Clowns

Großbritannien

Bye, bye, Boris: Absturz eines Polit-Clowns

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    Der britische Premierminister Boris Johnson hat seinen Rücktritt bekannt gegeben.
    Der britische Premierminister Boris Johnson hat seinen Rücktritt bekannt gegeben. Foto: Justin Tallis/PA Wire, dpa

    Es gibt ein berühmtes Foto von Boris Johnson aus seiner Zeit als Bürgermeister von London: Johnson hängt darauf in einer defekten Seilbahn fest, er grinst Richtung Boden, in jeder Hand hält er eine Union-Jack-Fahne. Die Aufnahme, entstanden am Rand der Olympischen Spiele 2012, wurde zum Internet-Hit und machte den exzentrischen Bürgermeister mit dem struppigen weißblonden Haar auch außerhalb des Vereinigten Königreichs zum schillernden Polit-Star. Der Auftritt, kommentierte die Financial Times damals, werde Johnsons Ruf als „Westminsters liebenswertester Clown“ nur noch mehr stärken.

    Jetzt ist das Bild wieder tausendfach zu sehen. Das britische Magazin Economist hat es auf seine nächste Titelseite gepackt. Die Überschrift: „Clownfall“, ein Spiel mit dem Begriff „downfall“. Der Clown, so die Botschaft, ist am Ende, sein Absturz nicht mehr zu verhindern.

    Lange hatte sich Johnson gegen dieses Ende gewehrt. Noch am Mittwoch tönte er, selbstsicher wie immer, seine Woche laufe „großartig“, er wolle „natürlich“ im Amt bleiben. Doch irgendwann zwischen Mittwoch und Donnerstag muss der Druck zu groß geworden sein: Über 50 Minister, Beamtinnen und Mitglieder der konservativen Tory-Partei waren bis dahin von ihren Ämtern zurückgetreten, eine Delegation aus hochrangigen Kabinettsvertretern drängte Johnson persönlich zum Rücktritt. Am Donnerstagmittag dann trat Johnson vor die Presse und gab bekannt, sein Amt als Tory-Chef abzugeben und für einen neuen Premier Platz zu machen, sobald die Partei einen neuen Kandidaten oder eine Kandidatin gefunden habe.

    Ein Misstrauensvotum gewann Boris Johnson zuletzt knapp

    Für Johnson ist es die größte Niederlage in einer Karriere, die bisher nur eine Richtung kannte: steil nach oben. Und es ist gleichzeitig eine Niederlage, die erstaunlich spät kommt. Kaum eine Woche verging zuletzt ohne eine neue Enthüllung aus dem britischen Unterhaus. So sehr häufen sich die Berichte über sexuelle Übergriffe und Fehltritte im Regierungsviertel, dass viele nur noch von „Pestminster“ statt Westminster sprechen. Johnson selbst hangelte sich von Skandal zu Skandal, mal ging es um die überteuerte Renovierung seines Dienstsitzes, mal um die unerlaubten Partys in Downing Street Nummer Zehn. Ein Misstrauensvotum Anfang Juni gewann er denkbar knapp.

    Der Premierminister schien zuletzt so unkaputtbar, so sehr Stehaufmännchen, dass selbst die für ihre oft brachiale Wortwahl bekannten Briten zu immer drastischeren Metaphern griffen: Der schottische Politiker Ian Blackford verglich ihn mit dem Schwarzen Ritter, jenem Kämpfer aus dem Monthy-Python-Film „Die Ritter der Kokosnuß“, der nicht aufgibt, bis König Artus ihm alle Glieder abgeschlagen hat. Und der Tory-Abgeordnete Andrew Mitchell sagte der BBC: „Es ist ein wenig wie bei Rasputin. Der wurde vergiftet, mit Messern und Schusswaffen verwundet, in einen eiskalten Fluss geworfen – aber er war danach immer noch am Leben.“

    Die Johnson-Methode: Aussitzen, leugnen, entschuldigen

    Dass es seiner Partei am Ende doch gelungen ist, ihn aus dem Amt zu treiben, muss für Johnson selbst die größte Überraschung sein. War er doch bisher in seinem Leben mit allen kleinen Provokationen und großen Lügen durchgekommen, solange sie nur mit ausreichend Humor und Charme überspielt wurden. Schon seine Lehrer am renommierten Internat Eton trieb er nach Aussage von Zeitgenossen mit seiner „schändlich unbekümmerten Haltung“ zum Schulbetrieb zur Weißglut. Auch in Oxford, wo Johnson vier Jahre lang studierte, soll er es mit der Wahrheit nicht so genau genommen haben: Wie sein Biograph Andrew Gimson berichtet, gab er sich vor Studierenden, die ihn zum Präsidenten des Debattierklubs

    Eine Anstellung bei der altehrwürdigen Times nach dem Studium endete mit einer Kündigung, nachdem der junge Reporter ein Zitat in einem Artikel kurzerhand erfunden hatte. Und auch in seiner Zeit als Brüssel-Korrespondent für den Daily Telegraph hielten Kollegen dem späteren Brexit-Hardliner immer wieder vor, seine Texte mit unwahren Behauptungen über die Europäische Union zu spicken.

    Nichtsdestotrotz wurde Johnson in den Nullerjahren zum TV-Liebling, zu jenem Polit-Clown, der sich bei den Olympischen Spielen 2012 der Welt präsentierte. Politische Enthüllungen und Skandale um außereheliche Affären saß er aus, leugnete, bis es nichts mehr zu leugnen gab, und entschuldigte sich anschließend mit reuiger Mine – ein Muster, das auch in den vergangenen Monaten immer wieder zu beobachten war.

    Diesen einen, letzten Skandal konnte Johnson nicht mehr aussitzen, nicht mehr mit Humor ins Lächerliche ziehen. Eigene Fehler sind jedoch in seiner Rede an diesem Donnerstagmittag vor der Tür zur Downing Street Nummer Zehn kein Thema, im Gegenteil: Die Rücktrittsforderungen seiner Partei nennt Johnson "exzentrisch". Die konservative Partei wolle einen neuen Premierminister. Und während das sicherlich einige Menschen freue, gebe es auch jene, die darüber enttäuscht seien. Er sei traurig, nun „den besten Beruf der Welt“ aufgeben zu müssen. „But them’s the breaks“, kommentiert Johnson. So ist es eben.

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