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Großbritannien: Abgang des Premierministers: Boris Johnson geht, aber wann?

Großbritannien

Abgang des Premierministers: Boris Johnson geht, aber wann?

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    Boris Johnson sagte zu seinem Abschied: «Ich möchte, dass Sie wissen, wie traurig ich bin, den besten Job der Welt aufzugeben.»
    Boris Johnson sagte zu seinem Abschied: «Ich möchte, dass Sie wissen, wie traurig ich bin, den besten Job der Welt aufzugeben.» Foto: Alberto Pezzali/AP, dpa

    Es war eine kurze Rede, mit der Boris Johnson am Donnerstag seinen Rücktritt ankündigte. Vor der schwarzen Tür der Downing Street 10 stehend wirkte er mit seinem zugeknöpften Jackett aufgeräumter als sonst. Ansonsten präsentierte er sich jedoch wie immer: optimistisch verwies er auf seine Erfolge. Er sei „ungeheuer stolz auf die Errungenschaften dieser Regierung“, dass sie den Brexit durchgezogen hatten, die Pandemie gemeistert und das Impfprogramm vorangetrieben haben. Johnson machte jedoch erneut ganz klar, dass er nicht freiwillig ging. Er habe versucht, seinen Ministern klarzumachen, dass es der falsche Zeitpunkt sei, um einen Nachfolger zu suchen. Er sei traurig, „den besten Job in der Welt“ aufzugeben. Reue zeigte der 58-Jährige nicht.

    Boris Johnson tritt als Premierminister ab: Alle tragen Schuld – außer er

    Johnson kündigte im Rahmen seiner Ansprache außerdem an, dass er geht, aber noch nicht gleich. Er will weiter regieren, bis ein Nachfolger gefunden ist. Ein Vorgehen, das in dieser Situation üblich, in der aktuellen Situation jedoch höchst umstritten ist. Viele Tories waren am Donnerstag der Meinung, dass er besser gleich aus der Downing Street ausziehen und stattdessen ein sogenannter „Caretaker” die Regierung leiten sollte, ein Übergangschef. Der konservative Abgeordnete Simon Hoare schrieb auf Twitter: „Es ist unbegreiflich, dass Herr Johnson im Amt bleiben kann. Er muss gehen und gehen bedeutet gehen.“ Auch der Labour-Oppositionschef Keir Starmer forderte den sofortigen Abzug. Denn die Suche nach einem neuen konservativen Parteivorsitzenden kann Monate dauern, während Johnson zwar im Amt bleibt, aber keinerlei Autorität mehr hat.

    Vor zwei Wochen hat Johnson während einer Reise nach Ruanda noch darüber gescherzt, dass er noch mindestens bis in das Jahr 2030 Premierminister bleiben wolle. Die Realität sieht anders aus. Nachdem seit Dienstag mehr als 50 Minister, Abgeordnete und Mitarbeiter zurückgetreten waren, wuchs der Druck auf Johnson massiv. Damit blieb ihm letztlich nichts anderes übrig, als seinen Rücktritt zu erklären. Gegen seinen Willen. Johnson beschrieb es am Donnerstag so: „In Westminster ist der Herdeninstinkt stark und wenn sich die Herde bewegt, bewegt sie sich." Es war klassisch Johnson: Alle tragen Schuld an der Krise – außer er.

    In Gang gesetzt hatten den politischen Sturm Schatzkanzler Rishi Sunak und Gesundheitsminister Sajid Javid, als sie am Dienstagabend ihr Amt niederlegten. Sie teilten dem Premier in ihrem Rücktrittschreiben mit, dass es so nicht weitergehen könne und bezogen sich damit auf den Skandal um den konservativen Abgeordneten Christopher Pincher. Johnson hatte ihm im Februar dieses Jahres den Posten des stellvertretenden parlamentarischen Geschäftsführers verschafft, obwohl er wusste, dass ihm schon in der Vergangenheit sexuelle Übergriffe vorgeworfen worden waren. Johnson leugnete dies jedoch tagelang, gab sich trotz zahlreicher Anschuldigungen ahnungslos, mal wieder.

    Erleichterung über Abgang von Johnson: Eine Partei atmet auf

    Nach dem Abgang von Javid und Sunak stürzte die Autorität Johnsons zusammen wie ein Kartenhaus. Die Zahl der Rücktritte von Ministern und Abgeordneten stieg stündlich. Der Fernsehsender BBC News blendete die aktuelle Anzahl ununterbrochen ein, so rasch änderte sich die Lage. Schließlich besuchte Johnson am Mittwochabend eine Delegation von Ministern, darunter auch Innenministerin Priti Patel, in der Downing Street 10, um ihn zur Aufgabe zu bewegen. Vergeblich. Nach dem Treffen herrschte unter den Tories Frustration, vor allem aber Wut und Fassungslosigkeit darüber, dass der Premierminister keine Einsicht zeigte. Sie beschrieben sein Verhalten als „würdelos und egoistisch".

    Umso größer war am Donnerstag zunächst die Erleichterung über die Kehrtwende: Johnson wollte noch am selben Tag sein Amt abgeben. Ein Aufatmen ging durch die Reihen der Tories. Keir Starmer begrüßte den Rücktritt als „gute Nachricht für das Land“. Doch wie groß ist das Chaos, das Johnson hinterlässt? Denn bedingt durch die vielen Rücktritte wird die Regierungsarbeit nun deutlich erschwert – oder de facto unmöglich. Zudem zeigte sich die Partei empört über Johnsons Machtbesessenheit. Sein Versäumnis, sich in den letzten Tagen der Realität zu stellen, führte zu Vergleichen mit Donald Trump und Wladimir Putin. Der Schaden für die Partei, er wird bleiben.

    Lange Zeit hatte die Partei über die Verfehlungen Johnsons hinweggesehen.​ Nachdem er den Tories 2019 mit seinem Motto „Get Brexit Done" zu einem historischen Sieg verholfen hatte, galt er als Gewinner. Auch Britinnen und Briten hatten ihm seine Schwächen und seinen eigenwilligen Umgang mit der Wahrheit oft verziehen. Boris eben. Schließlich gehörten Patzer und Pannen dazu, er war absichtlich unfrisiert und nahm es mit der Wahrheit nicht so genau. Warum die Briten so großzügig waren, erklärte Tim Bale von der Queen Mary Universität in London gegenüber dieser Zeitung einst so: Der 58-Jährige sei ein „besonderer“ Premier. „Er war schon berühmt, bevor er Premierminister wurde.“ Deshalb legten viele andere Maßstäbe an ihn an. „Man ist von ihm fasziniert. Er ist die Art Mensch, mit dem man gerne mal ein Bier trinken gehen will.“ Beobachter verglichen ihn deshalb immer mal wieder mit dem auf der Insel bekannten dunkel-klebrigen Brotaufstrich „Marmite“, den man entweder hasst oder liebt.

    Nachfolger für den Premierminister: Boris Johnson will seiner Partei helfen

    Zweifel an Johnsons Integrität kamen schon während seiner Zeit als Journalist, Bürgermeister Londons und Außenminister auf. In seiner Zeit als Premier spitzte sich die Lage unter anderem zu, als versuchte er, den Abgeordneten Owen Patterson nach Korruptionsvorwürfen vor einer Suspendierung zu bewahren. Kurz darauf vergaß Johnson im Rahmen einer Wirtschaftskonferenz in London seinen Text. 20 Sekunden dauerte es, bis er wieder wusste, was er sagen wollte. Dann berichtete er ausschweifend von seinem Wochenend-Ausflug in einen Vergnügungspark namens „Peppa Pig World“. Ein Reporter richtete im Anschluss eine Frage an Johnson, die man als Premierminister eigentlich nicht ellt bekommen möchte: „Ist alles ok mit Ihnen?“. Dieser reagierte gelassen: „Ich denke, die Rede kam ganz gut an.“ Ganz gut an kam die Rede jedoch allenfalls in den sozialen Medien. Denn dort wurde sie massenhaft geteilt und mit spöttischen Kommentaren versehen.

    Die schlimmste Krise seiner Amtszeit begann jedoch, nachdem Johnson im Herbst vergangenen Jahres behauptet hatte, nichts von Partys während der Lockdowns in der Downing Street 10 gewusst zu haben. Die Beamtin Sue Gray recherchierte, schließlich nahm auch die Metropolitan Police Ermittlungen auf. Anfang des Jahres erhielt Johnson ein Bußgeld, beendet war der Skandal damit aber nicht. Eine Untersuchungskommission sollte nach wie vor herausfinden, ob Johnson das Parlament belogen hatte, als er sich bezüglich der Feiern ahnungslos gab. Die Folge von „Partygate" waren sinkende Umfragewerte für die Tories und schlechte Ergebnisse für die Partei bei den Regionalwahlen im Mai dieses Jahres.

    Wer könnte Boris Johnson ersetzen, sollte er denn wirklich einmal gehen? Als aussichtsreicher Bewerber gilt unter anderem Nadhim Zahawi, der frischgebackene Finanzminister. Zahawi war innerhalb der Regierung für das Covid-Impfprogramm zuständig und hinterließ als Erziehungsminister einen kompetenten Eindruck. Manche vermuten jedoch, dass er seine Chancen auf das Amt gesenkt hat, indem er den Posten unter Johnson übernahm, nur um ihn einen Tag später zum Rücktritt aufzufordern. Als Favorit gilt außerdem der ehemalige Außen- und Gesundheitsminister Jeremy Hunt. Viele beschreiben ihn als anständig und erfrischend. Brexiteers stehen ihm jedoch skeptisch gegenüber. Gute Chancen soll überdies die Handelsminiserin Penny Mordaunt haben, die für eine neue Generation von Konservativen steht. Ihr Problem ist aber, dass sie in den letzten Tagen an ihrem Amt festhielt und deshalb womöglich in Zukunft weniger Unterstützung erfährt.

    Johnson kündigte in seiner Rede an, dass er die Partei bei der Suche nach einem Nachfolger unterstützen wolle, bevor er wieder in der Downing Street 10 verschwand. Dass er dort bald ausziehen wird, steht nun fest. Wann das passiert, ist aber offen.

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