Es ist fast ein bisschen wie früher. Mit Pappschildern in der Hand und dem Eifer der jugendlichen Empörung im Gesicht bahnt sich die Gruppe ihren Weg durch die Augsburger Innenstadt. Die letzten Schneereste schmelzen unter den Stiefeln der Demonstranten. Und doch ist etwas anders. Wo es Fridays for Future früher geschafft hat, Hunderte, manchmal sogar Tausende zu mobilisieren, ist an diesem trüben Freitag nur noch ein kleiner Kern übrig geblieben. 50 Klimaaktivisten, die meisten von ihnen jung, skandieren ihre Parolen. Doch der Funke will nicht so recht überschwappen.
Rund 6000 Kilometer weiter südlich tagt seit einer Woche die Klimakonferenz. Ausgerechnet im Öl-Emirat Dubai. Ausgerechnet in dieser Stadt, die sich die Natur untertan gemacht hat wie es nur wenige Orte auf dieser Erde getan haben. Kohle, Erdgas und Erdöl werden nicht nur hier in immer größeren Mengen verbrannt. Das Jahr 2023 ist drauf und dran, alle Rekorde zu brechen und das wärmste seit Beginn der Industrialisierung zu werden. Doch der allgemeine Aufregungspegel ist zu hoch, um überhaupt noch Ausschläge wahrzunehmen.
Greta Thunberg stellt sich klar auf die Seite der Hamas
Die Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen haben die Klimakrise längst aus den Schlagzeilen verdrängt. Und ausgerechnet Greta Thunberg, die Ikone der Klimabewegung, trägt ihren Teil dazu bei. Während ihre Mitstreiter aus aller Welt versuchen, die Mächtigen davon abzubringen, den Weg in Richtung Klimaschutz schon wieder zu verlassen, postet die 20-jährige Schwedin auf ihrer Instagram-Seite einen Link. Er führt zum Guardian, einer linksliberalen britischen Zeitung. Greta Thunberg hat für das Blatt einen Gastbeitrag verfasst. Schon die ersten beiden Sätze, getarnt als reine Zusammenfassung von Tatsachen, machen klar, was die junge Frau will: „Mehr als 15.000 Menschen, darunter mindestens 6000 Kinder. So viele Menschen hat Israel Berichten zufolge innerhalb weniger Wochen im Gazastreifen getötet – und diese Zahlen steigen weiter.“ Die israelischen Opfer der Hamas sind ihr allenfalls eine Randnotiz wert. „Völkermord zu begehen, ist weder Selbstverteidigung noch in irgendeiner Weise verhältnismäßig“, schreibt sie.
Es spricht Trotz aus ihren Zeilen. Eine Haltung, die lange als eine der größten Stärken der jungen Frau angesehen wurde, scheint sich in ihr Gegenteil zu verkehren. Was im Ringen um den Klimaschutz als mutig galt – sich gegen die gesellschaftliche Bequemlichkeit zu stellen und allem Gegenwind standzuhalten, sei er auch noch so eisig – wirkt nun ideologisch, halsstarrig, verbohrt. Kompromisse waren ihre Sache nie. „Trotz dieser Schrecken haben sich einige dafür entschieden, die öffentliche Debatte auf Versuche zu konzentrieren, die Aussagen junger Menschen aus der Bewegung für Klimagerechtigkeit über Gaza zu delegitimieren“, schreibt Thunberg. „Im Gegensatz zu dem, was viele behauptet haben, hat sich Fridays for Future nicht ,radikalisiert‘ oder ist ,politisch geworden‘. Wir sind immer politisch gewesen, weil wir immer eine Bewegung für Gerechtigkeit waren.“
Demonstration für Klimaschutz in Amsterdam eskaliert
Greta die Große, sie schrumpft auf Normalmaß. Schon vor ein paar Wochen fällt sie mit einer zweifelhaften politischen Botschaft auf. Mit einem Palästinensertuch um den Hals steht sie Mitte November auf der Bühne in Amsterdam, ruft Parolen, die im besten Fall als israelkritisch, im schlechteren als antisemitisch gelesen werden können. „Keine Klimagerechtigkeit auf besetztem Land!“, skandiert sie immer wieder. Ein Mann war kurz vorher auf die Bühne gesprungen und wollte ihr das Mikrofon entreißen. „Ich bin für eine Klimademonstration hierhergekommen, nicht für politische Ansichten“, ärgerte er sich. Später sagt er dem Spiegel: „Ich habe Greta Thunberg immer bewundert. Aber wenn sie jetzt ständig über Palästina statt Klimaschutz spricht, tut das der Klimaschutzbewegung nicht gut.“
Thunberg steht mit ihrer Haltung keineswegs allein. Seit Jahrzehnten positioniert sich die politische Linke – der man auch Greta zuordnen kann – gegen Israel. Das Palästinensertuch als Accessoire derjenigen, die den vermeintlich unreflektierten Mainstream hinterfragen. Israel mit seinem starken Verbündeten Amerika gilt vielen als der Inbegriff des Imperialismus. Die Palästinenser als Opfer, denen das Land geraubt wurde. Gut und Böse, Schwarz und Weiß. „Seit dem 7. Oktober erleben wir antisemitische Äußerungen und Aktionen verstärkt aus linken, leider auch akademischen Kreisen“, sagte Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, jüngst in einem Interview.
Krieg in Nahost: Betreibt Israel einen Völkermord?
Das Wort Genozid kommt Thunberg erstaunlich leicht über die Lippen. Ist es ein Völkermord, wenn sich ein angegriffenes Land gegen seine Peiniger wehrt? Kann man ernsthaft behaupten, Israel würde die palästinensische Bevölkerung gezielt auslöschen wollen, so wie das die Nationalsozialisten mit den Juden gemacht haben? Die Antwort lautet in beiden Fällen ganz klar: Nein.
Es war stets eines der Merkmale von Greta Thunberg, dass sie beinahe unermüdlich Studien zitierte, Fakten vortrug, Wissenschaftler heranzog. Allein mit ihrer stoischen Beharrlichkeit nervte sie ihre Gegner so sehr, dass selbst erwachsene Männer bisweilen die Contenance verloren und das damals noch minderjährige Mädchen beschimpften und beleidigten. Doch Greta konnte auch anders. Ihr zorniger Ausruf „How dare you“ – „Wie könnt ihr es wagen“ – vor den Vereinten Nationen im Jahr 2019 ist beinahe ikonisch. Sie trifft damit nicht nur den Nerv einer Generation, sie prägt deren Denken ganz maßgeblich. Viele Fortschritte im Klimaschutz sind hierzulande erst dank des von Fridays for Future erzeugten Drucks möglich geworden. Der auf 2030 vorgezogene Kohleausstieg zum Beispiel oder das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2021, das der Bundesregierung aufgab, das Klimaschutzgesetz nachzubessern. Das Time-Magazin kürte sie 2019 zur „Person des Jahres“ – sie war die Jüngste, der diese Ehre je zuteil war.
Mächtige Politiker schmückten sich mit Greta Thunberg
Sogar als mögliche Kandidatin für den Friedensnobelpreis wurde die Aktivistin gehandelt. Thunberg traf den Papst, sie traf Kanzlerin Angela Merkel, sie traf US-Präsident Barack Obama, sie traf Arnold Schwarzenegger – vielleicht muss man es sogar umgekehrt sagen: all die Mächtigen, sie suchten die Nähe des Mädchens. Sie wollten ihr gefallen und etwas von ihrer Klarheit mitnehmen. Ein Rollentausch. Den Ansprüchen, die Greta Thunberg an die Politik stellte, konnten sie indes alle nicht genügen.
Nicht alles, was Thunberg zum Nahost-Konflikt sagt, ist falsch, nicht alles ist gleich antisemitisch. Israels Siedlungspolitik ist seit Jahren umstritten. Auch rechte Hardliner auf jüdischer Seite sind nicht an einer Friedenslösung interessiert. Und selbst vonseiten seiner Verbündeten bekommt Israel immer eindringlichere Mahnungen, die Zahl der zivilen Opfer in Grenzen zu halten und humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen zuzulassen. Doch bei allen Rufen nach Menschlichkeit ist stets klar: Israel steckt in einem Dilemma, und die Hamas trägt eine maßgeblich Schuld daran, was gerade passiert. Dass Krankenhäuser und Schulen bombardiert werden, weil sie von den Terroristen als Waffenkammer missbraucht werden. Dass Israel seit Jahrzehnten mit einer Strategie des Terrors gegen israelische Zivilisten umgehen muss und der Staat die Pflicht hat, seine Bürger zu beschützen. Wie kann ausgerechnet eine Bewegung wie Fridays for Future, die durchaus als feministisch bezeichnet werden kann, kein Wort der Kritik finden, wenn eine archaische Organisation wie die Hamas Vergewaltigungen als Waffe einsetzt? Will Thunberg all das wirklich als Freiheitskampf glorifizieren?
Ist die Klimabewegung nun am Ende?
„Ich möchte überhaupt nicht rechtfertigen, dass jüdisches Leid von Greta nicht erwähnt wurde“, sagt die deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer der taz. „Aber Greta ist auch eine Projektionsfläche für eine Medienwelt, die in ihr lange gesucht hat, was kein Mensch sein kann. Und nun ist diese Medienwelt entgeistert, dass Greta das, was sie nie sein wollte, auch nicht ist.“ Neubauer trifft damit einen Punkt: Thunbergs Absturz wirkt auch deshalb so heftig, weil sie über Jahre glorifiziert wurde. Nicht weniger als die Welt retten, so lautete ihr Auftrag.
Greta Thunberg ist erwachsen geworden. Von dem 15-jährigen Mädchen, das sich am 20. August 2018 zum ersten Mal vor den Reichstag in Stockholm gesetzt hat, um von den Politikern ihres Landes mehr Klimaschutz einzufordern, ist nicht viel mehr übrig als der vorwurfsvolle Blick. Im Sommer hat sie die Schule beendet, schwänzen muss sie nicht mehr. Selbst die langen geflochtenen Zöpfe, die manchen an Pippi Langstrumpf erinnerten, sind weg. Eine „Pippi“ war Greta aber ohnehin nie.
Thunberg hat in den sozialen Medien Millionen Follower
Als Thunberg zwölf Jahre alt war, diagnostizierten die Ärzte bei ihr das Asperger-Syndrom. Fünf Jahre lang habe sie nur mit vier Personen – ihren Eltern, ihrer Lehrerin und ihrer Schwester – gesprochen. In der Schule wurde das Mädchen gemobbt, fand keine Freunde. „Ich war ein seltsames Kind. Ich konnte nicht mit Fremden reden oder essen“, erzählte sie einmal. Doch das Handicap wurde ihr Markenzeichen: Entschlossenheit. Aus dem einsamen Mädchen wurde die Anführerin einer weltweiten Bewegung. Sie beherrscht das Spiel mit den Massen. Gegenüber der Zeitschrift Elle sagte Thunberg vor einem Jahr: „Die Leute scheinen mich für einen wütenden Teenager zu halten, sie haben mich offensichtlich noch nicht kennengelernt.“
Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, sprach jüngst vom „Ende von Greta Thunberg als Klimaaktivistin“. Doch so einfach wird das nicht sein. 14,6 Millionen Follower hat sie allein auf Instagram. Das Recht, sich öffentlich zu äußern, kann ihr niemand verwehren: Fridays for Future sind keine Partei, sie sind kein Unternehmen. Thunberg ist nicht die Chefin. Niemand kann sie entlassen. Was passieren kann, ist, dass die gesamte Bewegung zerbröselt. Beispiele dafür gibt es in der Geschichte zur Genüge. Manchmal geschieht das, weil das Ziel, das eine Gruppe angetrieben hat, erreicht ist. Bei der Anti-AKW-Bewegung war das der Fall. Andere sind geschwächt, weil sie sich aufspalten, etwa in einen gewaltfreien und einen radikalen Flügel, wie bei der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Und an wieder andere – wie die Occupy-Bewegung – kann sich irgendwann kaum mehr jemand erinnern.