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Gregor Gysi gibt Wagenknecht-Partei keine Chance

Interview

Gregor Gysi warnt: „Wir machen die Mitte kaputt!“

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    Ex-Linke-Chef Gregor Gysi räumt angesichts des Erstarkens der AfD im Osten Fehler seiner Partei ein.
    Ex-Linke-Chef Gregor Gysi räumt angesichts des Erstarkens der AfD im Osten Fehler seiner Partei ein. Foto: Xander Heinl, Photothek/Imago

    Herr Gysi, Sie sehen seit 20 Jahren praktisch unverändert aus. Wie machen Sie das bloß?
    GREGOR GYSI: Erstens habe ich irgendwann abgenommen und halte das Gewicht, das ist wichtig. Zweitens mache ich folgende Sportarten, wenn ich dazu komme: Ich fahre Rad, ich wandere, ich schwimme, ich spiele Tischtennis und eine Woche im Jahr laufe ich Ski-Abfahrten, und zwar blaue, rote und schwarze Pisten.

    Sie sagen, wenn Sie Zeit haben. Sie haben ja einen vollen Terminkalender. Ihr Büro sagt, für dieses Jahr sind Sie ausgebucht. Wie kommt das?
    GYSI: Das liegt zum einen an meinen Büchern, da gibt es viele Veranstaltungen. Und dann hat das Interesse an mir ziemlich zugenommen beim Mittelstand. Ich bin im politischen Beirat des Bundesverbands der mittelständischen Wirtschaft. In unserer Gesellschaft wird ja alles von der Mitte bezahlt - von den mittleren Einkommen und vom Mittelstand. Wir machen die Mitte kaputt! Der Mittelstand hat in mir einen Bündnispartner. Auch Leute wie Banker, die früher Geld dafür gegeben hätten, dass es mich nicht gibt, sind jetzt neugierig und laden mich ein. 

    Und jetzt bringen Sie denen linke Politik bei?
    GYSI: Ich versuche, denen meine Sicht zu erklären. Ich bin ja der Auffassung, dass der Mittelstand nicht mächtig genug ist in unserer Gesellschaft, die großen Banken und Konzerne aber zu mächtig. Das wirkt sich bei den Steuern aus. Der Mittelstand bezahlt ehrlich Steuern, die haben auch kaum Tricks. Den Großen werden Wege gezeigt, wie sie drumherum kommen. 

    Sind Sie teuer als Redner?
    GYSI: Nein. Ich schlage nie etwas vor. Wenn mir etwas angeboten wird, nehme ich das und melde das natürlich. Außer in meinem Wahlkreis: Da nehme ich nie einen Cent für Veranstaltungen. 

    Reden Sie noch mit Sahra Wagenknecht?
    GYSI: Wir haben viele Gespräche geführt, bevor sie ihr Bündnis gegründet hat. Seither nicht mehr, aber wir grüßen uns.

    Sind Sie sauer auf Sie? Sie hat immerhin die Linke um den Fraktionsstatus gebracht.
    GYSI: Es ist ihr gutes Recht, eine neue Partei zu gründen. Mein Problem ist die Mitnahme der Mandate. Das kriegt sie moralisch nicht gerechtfertigt. Die Mitglieder meiner Partei haben den ganzen Wahlkampf gemacht und bezahlt. Das finde ich von allen zehn Abgeordneten, die gegangen sind, nicht anständig. So sind wir jetzt fraktionslos. Wir mussten alle Mitarbeiter entlassen - die sind vielleicht wütend auf Sahra! Interessant finde ich die Forsa-Umfrage zu den drei anstehenden Landtagswahlen. Da kommt ihr Bündnis auf vier Prozent. Also was da geschrieben wurde von 20, 30 Prozent, das ist das Potenzial. Das hatten wir auch immer: 20 Prozent konnten sich vorstellen, uns zu wählen, sie haben’s bloß nicht getan! Zwischen Potenzial und Realität gibt es einen großen Unterschied. Sie macht ja so eine Mischung: AfD-Position bei Flüchtlingen, Wirtschaftspolitik wie Ludwig Erhard und Sozialpolitik ein bisschen wie wir. Der ehemalige Bürgermeister von Düsseldorf, Thomas Geisel, hat bei der Parteigründung aber gesagt: Weg vom Bürgergeld, zurück zu Hartz IV. Ich weiß auch nicht, was das werden soll. Das ist alles noch ein bisschen wirr.

    Sie glauben, dass sich Wagenknecht verrechnet?
    GYSI: Ich glaube nicht, dass sie einziehen in den Bundestag 2025. Das Schicksal meiner Partei, der Linken, hängt wiederum davon ab, ob sie es schafft einzuziehen. Dabei werde ich ihr helfen. Wenn wir es schaffen, haben sie die Krise überstanden. Wenn nicht, dann geht’s bergab.

    Warum hat die Linke den Osten an die AfD verloren?
    GYSI: Weil sie nach der Vereinigung mit der WASG glaubte, jetzt kommt die Sternstunde in Bayern, in Baden-Württemberg und in NRW. Das war ein leichter Irrtum! Deswegen haben sie den Osten vernachlässigt. Wir hatten früher so fantastische Rentenanträge, 17 namentliche Abstimmungen habe ich veranlasst. An alle Gruppen haben wir gedacht, da waren wir so gut. Das gab’s in den letzten Jahren zu wenig. Das haben wir jetzt verstanden. Der Osten kriegt wieder einen anderen Stellenwert. 

    Die AfD könnte bei den anstehenden Landtagswahlen stärkste Kraft werden, womöglich gibt es einen Ministerpräsidenten Björn Höcke. Befürchten Sie, dass es so weit kommen wird?
    GYSI: Das wäre schon ein bisschen das Ende unseres Landes. So weit dürfen wir es nicht kommen lassen. Die CDU kann je nach Ergebnis der Wahlen vor der enormen Schwierigkeit stehen, entscheiden zu müssen, ob sie Richtung AfD oder Richtung Linke geht. Das kann die Union fast zerreißen. Und dann hätten wir auch so unsere Schwierigkeiten: Die Länder sind für Bildungspolitik zuständig, und wie wir uns da mit der CDU diesbezüglich verständigen sollen, weiß ich noch nicht. 

    Sie sind bekannt dafür, dass Sie sich auch mit Politikern anderer Couleur gut verstehen. Wie war das mit Wolfgang Schäuble?
    GYSI: Wolfgang Schäuble war der erste, der im Dezember 1991, als ich ja noch völlig ausgegrenzt war, zu mir sagte: „Naja, Herr Gysi, ich will Ihnen nur sagen: Helmut Kohl und ich wissen, dass wir in erster Linie Hans Modrow und Ihnen zu verdanken haben, dass im Osten kein Schuss gefallen ist.“ Das durfte ich aber keinem erzählen, erst später hat er es mir erlaubt. Ich habe jetzt seiner Frau geschrieben, dass mich das wirklich aufgebaut hat. Es gab ja nicht viele Leute, die verstanden haben, was meine Aufgabe war: Für die Gegnerinnen und Gegner der Einheit aus der DDR, für diejenigen, die wussten, dass aus ihnen nichts wird, und für diejenigen, die es später mitbekamen, auch einen Weg in die Einheit zu ebnen. Einerseits deren Interessen zu vertreten, aber gleichzeitig selbstkritisch über die eigene Biografie nachzudenken. Das war schon wichtig! Und Schäuble hat es verstanden.

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