Die Bundesregierung hat Gewalt von Demonstranten bei der Räumung des Dorfes Lützerath für den Braunkohlebergbau kritisiert. Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann verwies auf ein Interview von Kanzler Olaf Scholz (SPD) vom Wochenende in der "taz", wo dieser erklärte, die Grenze bei Demonstrationen verlaufe dort, wo es zu Gewalt komme. "Diese Grenze wurde in Lützerath überschritten, und das verurteilen wir auch ausdrücklich", sagte Hoffmann am Montag in Berlin.
Aktivisten hatten der Polizei Gewalt-Exzesse bei der Großdemonstration am Samstag vorgeworfen. Sie schätzten die Zahl der Verletzten seit Beginn der Polizeiaktionen am 8. Januar auf rund 300. Am Samstag seien es zwischen 90 und 120 verletzte Demonstranten gewesen, sagten Sprecher von "Lützerath lebt". Die Polizei nannte keine Zahl verletzter Demonstranten und Aktivisten, bestätigte aber, dass am Samstag neun Mal Demonstranten mit Rettungswagen in Krankenhäuser gebracht worden seien. In Lebensgefahr habe sich aber keiner der Demonstranten befunden.
Bei der Räumung wurden nach Polizeiangaben binnen sechs Tagen mehr als 100 Beamte verletzt, davon mehr als 80 am Samstag. Wie viele sich dabei ohne Fremdeinwirkung verletzt haben, sei aktuell noch nicht aufgeschlüsselt, sagte ein Polizeisprecher.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) bezweifelte die von den Aktivisten genannten Zahlen. "Nach unserem heutigen Kenntnisstand können die Zahlen nicht richtig sein. Aber vielleicht sind die Leute ja auch mit Knochenbrüchen nach Hause gegangen, ohne sich behandeln zu lassen", sagte Reul. Auf der anderen Seite seien auch nicht alle Polizisten von Demonstranten verletzt worden. Viele Verletzungen seien dem schlammigen Boden geschuldet.
Hoffmann: Einsatz muss aufgearbeitet werden
"Seitens der Polizei wurde in Lützerath geltendes Recht durchgesetzt", sagte Regierungssprecherin Hoffmann. Dies müsse akzeptiert werden, und von einem Großteil der friedlich demonstrierenden Versammlungsteilnehmer sei dies auch akzeptiert worden. "Aber eben leider nicht von allen." Dies habe zu den Zusammenstößen geführt, die die Polizei eigentlich habe vermeiden wollen. Der Einsatz müsse nun aufgearbeitet werden, auch die Verhältnismäßigkeit des Vorgehens der Polizei.
Hoffmann dankte den Polizistinnen und Polizisten, die rund um Lützerath im Einsatz waren. Es sei kein leichter Einsatz gewesen, Vorbereitungen und Durchführung seien enorm herausfordernd gewesen.
An die Aktivistinnen und Aktivisten gerichtet erklärte Hoffmann: "Diese Bundesregierung hat verstanden, dass wir alles für das Gelingen der Energiewende tun müssen." Der Weg zur Klimaneutralität im Jahr 2045 müsse aber auch umsetzbar sein. Bis dahin will Deutschland nicht mehr Treibhausgase ausstoßen als auch wieder gebunden werden können. "Wir können nicht von heute auf morgen die fossilen Energien hinter uns lassen", sagte Hoffmann.
Reul nahm die Polizei am Sonntagbend gegen den Vorwurf unverhältnismäßiger Gewaltanwendung in Schutz. Die Polizei habe "hochprofessionell" gearbeitet, sagte Reul am Sonntagabend in der ARD-Talkshow "Anne Will".
Er werde jeden Fall von unangemessener Polizeigewalt untersuchen lassen. "Wir haben ein, zwei Filme im Netz gesehen, wo wir sagen: "Das sieht nicht gut aus." Das werden wir uns genau anschauen, da haben wir auch Strafanzeige gestellt vorsichtshalber, weil ich finde, das muss gecheckt werden. Das habe ich die letzten Jahre immer gemacht, und das wird auch jetzt so gemacht."
Es sei aber nicht so, als wären bei der Demo massenhaft "wild gewordene Polizisten" unterwegs gewesen. Von den Veranstaltern der Demo hätte er sich gewünscht, sich klar von Gewalt zu distanzieren, aber das sei nicht geschehen.
Neubauer: Polizeieinsatz "unverhältnismäßig gewalttätig"
Klimaaktivistin Luisa Neubauer widersprach dem und warf der Polizei in der Sendung einen unverhältnismäßig gewalttätigen Einsatz vor. "Das sah in keiner Weise professionell aus", kritisierte sie. Neubauer verwies darauf, dass nach Angaben einer Sanitäterin der Demonstranten viele Menschen von der Polizei schwer verletzt worden seien. Der Protest dagegen sei friedlich gewesen.
Die Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang verteidigte erneut die Linie ihrer Partei bei der Räumung. "Das war für mich persönlich kein einfacher Kompromiss, ich glaube, für viele aus meiner Partei", sagte sie im ARD-"Morgenmagazin". Es sei aber ein Zeichen von Stärke, dass man es sich als Partei nicht einfach mache.
Nach Einschätzung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist die Räumung weitgehend so gelaufen wie erwartet. Allerdings hätten die Wetterbedingungen mit Dauerregen und tiefem Morast den Einsatz erschwert, sagte Andreas Roßkopf, Vorsitzender des GdP-Bezirks Bundespolizei, der Deutschen Presse-Agentur. Für ihn sei unverständlich, dass es friedliche Teilnehmer nicht geschafft hätten, "sich von den gewalttätigen Teilnehmern zu distanzieren". Dies habe es den Polizisten und Polizistinnen erschwert, "hier angemessen einzuschreiten". Insgesamt hätten die Einsatzkräfte mit Besonnenheit und "dem nötigen Augenmaß" agiert.
(dpa)