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Gesundheitswesen: Intensivmediziner über Krankheitswelle: "So etwas habe ich noch nicht erlebt"

Gesundheitswesen

Intensivmediziner über Krankheitswelle: "So etwas habe ich noch nicht erlebt"

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    Eine Intensivpflegerin versorgt auf einer Kinder-Intensivstation einen am Respiratorischen Synzytial-Virus (RS-Virus oder RSV) erkrankten Patienten, der beatmet wird.
    Eine Intensivpflegerin versorgt auf einer Kinder-Intensivstation einen am Respiratorischen Synzytial-Virus (RS-Virus oder RSV) erkrankten Patienten, der beatmet wird. Foto: Marijan Murat, dpa (Symbolbild)

    Der Krankenstand in der Bevölkerung hat nach Aussage des Intensivmediziners Christian Karagiannidis historische Dimensionen erreicht."Der Krankenstand in der Gesellschaft ist aktuell extrem hoch, so etwas habe ich noch nicht erlebt", sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin der "Rheinischen Post". In vielen Regionen gebe es so gut wie keine freien Intensivbetten mehr. Hauptproblem seien nicht mehr Corona-Infektionen. "Derzeit kämpfen wir gegen sehr breitgefächerte Krankheitsbilder: Grippe, RS-Virus, Corona und andere Atemwegserkrankungen, dazu die üblichen Notfälle."

    Hoffnung setzt Karagiannidis auf die Feiertage. "Ich setze darauf, dass wir uns bald in die Feiertage retten können. Dann ebbt üblicherweise das Aufkommen in den Kliniken ab, die Kapazitäten in den Krankenhäusern steigen wieder."

    Der Mediziner forderte grundlegende Reformen im deutschen Gesundheitssystem. In allen Berufsgruppen gingen pro Jahr rund 500.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Rente, sagte Karagiannidis der Wochentaz. Millionen Stellen würden nicht nachbesetzt. "Diese Arbeitskräfte fehlen als Pflegekräfte, sie fehlen als Beitragszahler – das wird noch völlig unterschätzt. Und sie werden selbst zu Pflegefällen. Das ist ein Teufelskreis, aus dem wir erst in ungefähr zehn Jahren wieder rauskommen."

    Christian Karagiannidis, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN).
    Christian Karagiannidis, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN). Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Allein Arbeitsplätze in der Pflege attraktiver zu machen, genüge angesichts der demografischen Entwicklung nicht zur Schließung von Personallücken. "Das Einzige, was die Zahl der Arbeitskräfte erhöhen würde, wäre strukturierte Migration im großen Stil."

    DRK: Mehr Drohungen und Übergriffe auf Gesundheitspersonal

    Angesichts überlasteter Kinderkliniken bekommt es das Gesundheitspersonal nach Einschätzung des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) zunehmend auch mit Drohungen und Gewalt zu tun. "Es häufen sich Fälle von Androhung oder der tatsächlichen Ausübung psychischer und physischer Gewalt gegenüber dem Gesundheitspersonal", sagte DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt der "Rheinischen Post". Eltern müssten teils stundenlang in den Notaufnahmen sitzen oder kranke Kinder auf Krankenhausfluren übernachten, beklagte sie. Kurzfristige Abhilfe zu schaffen, sei aber kaum möglich. Das Pflegefachpersonal müsse dringend entlastet werden.

    Intensivmediziner Karagiannidis ist auch Mitglied der Regierungskommission für Krankenhausversorgung. Neben den Engpässen an den Kliniken kämpft das Gesundheitswesen auch mit Engpässen bei einer Reihe von Medikamenten. Karagiannidis plädierte dafür, dass der Staat in Kooperation mit hiesigen Pharmaherstellern bestimmte Medikamente auf Vorrat produzieren lässt, damit diese immer in ausreichenden Mengen verfügbar sind. "Das wird für das Land zwar teuer, aber ich finde es bedenklich für ein Land wie Deutschland, dass wir seit langer Zeit immer wieder mit solchen Engpässen zu kämpfen haben und sich dieser Mangel wegen der vielen Infekte in diesem Jahr besonders verschärft hat", sagte Karagiannidis.

    "Es ist ein Armutszeugnis für die Politik"

    Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek sprach sich in der "Rheinischen Post" für ein Spitzentreffen zur Medikamentenversorgung aus. "Dafür sollte der Bund noch vor Weihnachten einen Gipfel mit allen beteiligten Institutionen einberufen und gemeinsam mit Ärzteverbänden, Kassenärztlicher Bundesvereinigung, Apothekern, Pharmagroßhändlern und pharmazeutischen Unternehmen nach Lösungen suchen", sagte der CSU-Politiker.

    Atemwegsinfekte bei Kindern und Jugendlichen

    Derzeit gibt es ein massives Aufkommen von hochfieberhaften Atemwegsinfekten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Kinderkliniken sind deutlich überlastet und auch Kinderärzte schieben Zehn bis Zwölfstundenschichten. (Quelle RKI, AZ)

    Ein hoher Prozentsatz der Erkrankungen fällt auf das RS-Virus zurück, das das Respiratorische Synzytial-Virus. Es ist ein weltweit verbreiteter Erreger von akuten Erkrankungen der oberen und unteren Atemwege in jedem Lebensalter.

    Das RS-Virus ist einer der bedeutendsten Erreger von Atemwegsinfektionen bei Säuglingen, insbesondere Frühgeborenen und Kleinkindern.

    In Saisonalität und Symptomatik ähneln RSV-Infektionen der Influenza, der echten Grippe. In Mitteleuropa ist ihr Auftreten von November bis April am höchsten (RSV-Saison), in den übrigen Monaten kommen sporadische Infektionen vor.

    Bei älteren Säuglingen und Kleinkindern ist eine RSV-Infektion die häufigste Ursache von Erkrankungen des unteren Atemwegstraktes und von damit verbundenen Krankenhauseinweisungen.

    Schwere, mit Krankenhausaufenthalt verbundene RSV-bedingte Erkrankungen bei Kindern betreffen etwa doppelt so oft Jungen wie Mädchen. Doch kommt RSV bei Männern wie Frauen gleichermaßen vor.

    RSV-infizierte Personen können schon einen Tag nach der Ansteckung und noch vor Symptombeginn infektiös sein. Die Dauer der Ansteckungsfähigkeit beträgt in der Regel 3–8 Tage. Frühgeborene, Neugeborene, immundefiziente oder immunsupprimierte Patienten können das Virus über mehrere Wochen, im Einzelfall über Monate ausscheiden.

    Die ambulante Behandlung von RSV-Infekten verläuft mit Inhalationspräparaten. In Arztpraxen werden auch die Sauserstoffsättigung des Blutes und die Entzündungswerte überwacht. Gefährdete kleine Patienten werden engmaschig überwacht. Die Krankheit selbst kann nicht medikamentös geheilt werden, der Körper muss sie selbst überwinden. (AZ)

    Wegen der Lieferprobleme bei Medikamenten für Kleinkinder übte der Kinderschutzbund scharfe Kritik. "Es ist ein Armutszeugnis für die Politik, dass jetzt nicht einmal genug Medikamente und fiebersenkende Mittel für die Kinder vorhanden sind", sagte Verbandspräsident Heinz Hilgers der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten" (Samstag). "Die Bundesregierung muss jetzt so schnell wie möglich handeln und Medikamente beschaffen. Und sie muss dringend die Weichen dafür stellen, dass sich eine solche Situation möglich nie mehr wiederholt."

    Zuletzt gab es Lieferschwierigkeiten bei Kindermedikamenten wie Fieber- und Hustensäften. Auch Mittel für Erwachsene sind betroffen, etwa Krebsmedikamente und Antibiotika, wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erläutert hatte. Um Problemen gegenzusteuern, hat er für die neue Woche einen Gesetzentwurf angekündigt. (dpa)

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