Kassenärzte, Zahnärztinnen und Apotheken erheben schwere Vorwürfe gegenüber Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Er fahre das System der freien Heilberufe gegen die Wand, ob unbewusst oder vorsätzlich. Nachdem Gespräche mit dem Minister nicht erhört oder gefruchtet hätten, wenden sich nun der Apothekerverband (Abda), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) direkt an Bundeskanzler Olaf Scholz.
"Wir setzen einen Notruf ab", sagt Abda-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening bei einer Pressekonferenz am Donnerstag. Die Ampel habe die Situation der freien Heilberufe verbessern wollen, "jetzt müssen wir feststellen, dass das nicht der Fall ist". Es sei, so Overwiening, immer schwieriger die Versorgung sicherzustellen. Die Listen der nicht verfügbaren Medikamente würden immer länger. Dabei sei die lokale ambulante Versorgung von Patientinnen und Patienten durch Ärztinnen und Apotheken ein fester Bestandteil der Infrastruktur und "Garant für den sozialen Frieden".
Fachkräftemangel und Medikamentenengpässe erschweren die Arbeit der Apotheken
Die Zahl der Apotheken ist ihrem Verband zufolge um 20 Prozent zurückgegangen. Das liege unter anderem an den Honoraren, die durch die Regierung gekürzt worden seien und trotz steigender Kosten auf einem Niveau von 2013 lägen. Lauterbachs Pläne würden diese Infrastruktur zerstören. Der Minister plant Gesundheitskioske in benachteiligten Vierteln, die nicht von Apothekerinnen und Apothekern, sondern anderem Pflegepersonal betreut werden. Labor- und Rezeptureinrichtungen fielen dadurch weg. "Es entsteht ein Zwei-Klassen-System", sagt Overwiening. "Darum bitten wir Olaf Scholz: Lassen Sie nicht zu, dass das Bundesgesundheitsministerium das durchsetzt."
Andreas Gassen, KBV-Präsident, sagt: "Es ist ein Ausmaß an Frust und Wut, das wir so noch nie gesehen haben." Selber während der Pandemie seien die Arztpraxen zufriedener gewesen als jetzt. Die Hälfte der Mediziner beschreibe ihre Situation als schlecht. Die Gründe dafür sind laut Gassen bekannt: Die Kosten für Räume und Personal steigen, das Budget der Praxen allerdings nicht. Darum wanderten viele Ärzte in Kliniken ab - dort seien die Bedingungen besser. Ganze 61 Tage pro Jahr verbringen Arztpraxen mit Bürokratie, das habe eine Befragung durch die KBV ergeben. Die Digitalisierungspläne seien schlicht nicht praktikabel. "Der Minister fährt die gesamte freie gesundheitliche Versorgung teils mit Absicht an die Wand", sagt Gassen.
Verbände kritisieren Lauterbachs Sparkurs scharf
Viele der Ärztinnen und Therapeuten seien ausgebrannt. Jede zehnte Leistung in Hausarztpraxen werde nicht vergütet, sondern sei Mehrarbeit der Behandelnden. "Es ist eine schnelle Kursänderung notwendig", forderte Gassen. "Wir werden nicht tatenlos zuschauen." Gesundheitsminister Lauterbach betone immer wieder, dass es keine Leistungskürzungen gebe. Real sehe das anders aus.
Ein Beispiel dafür legt Zahnärzte-Chef Martin Hendges vor: 2021 waren die Leistungen der Parodontitis-Prävention (Zahnfleischentzündung) erhöht worden. Die Mittel dafür wurden für 2023 und 2024 wieder entzogen. "Lauterbachs Spargesetz geht da mitten rein", beklagte Hendges. "Prävention bedeutet Kosteneinsparung. Die Folgen von Parodontitis belaufen sich auf etwa 200 Millionen Euro jährlich."
In Deutschland kümmern sich nach Angaben 731.000 Ärztinnen und Ärzte, Psychologen sowie medizinische Fachangestellte um 580 Millionen Behandlungsfälle im Jahr. In den 17.800 Apotheken mit 160.000 Beschäftigten würden täglich mehr als drei Millionen Patienten bedient und beraten.