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Gesundheitsreform: SPD-Experte Lauterbach: "Bald herrscht Drei-Klassen-Medizin"

Gesundheitsreform

SPD-Experte Lauterbach: "Bald herrscht Drei-Klassen-Medizin"

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    Karl Lauterbach
    Karl Lauterbach Foto: mb/nid /ae

    Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach gehört zu den schärfsten Kritikern der von der schwarz-gelben Bundesregierung beschlossenen Gesundheitsreform. Vor allem die Zusatzbeiträge für gesetzlich Krankenversicherte kritisiert er als "unsolidarische Kopfpauschale". Im Interview unserer Zeitung kündigt er eine komplette Rücknahme der Reform an, falls die SPD im Bund wieder in Regierungsverantwortung kommt.

    Warum kritisieren Sie die Reform der Bundesregierung als ein Ende des solidarischen Gesundheitssystems?

    Lauterbach: Ab jetzt werden alle Kostensteigerungen nur noch von den Arbeitnehmern bezahlt, ohne Beteiligung der Arbeitgeber. Das heißt in Zukunft werden die Kosten für die Arbeitnehmer doppelt so schnell steigen und für die Arbeitgeber gar nicht mehr. Die die Folgen der Alterung der Gesellschaft und der technische Fortschritt in der Medizin sollen künftig allein aus den Nettoeinkünften der Arbeitnehmer bezahlt werden.

    Wirtschaftsverbände loben, dass mit der Abkoppelung der Arbeitgeberbeiträge, die Wettbewerbsfähigkeit der Arbeitsplätze in Deutschland steigt.

    Lauterbach: Ich glaube nicht, dass die Kosten für Arbeitgeber am Ende sinken werden. Die Gewerkschaften werden bei Tarifverhandlungen einen Aufschlag für die Übernahme der Gesundheitskosten verlangen. Es kann ja auch nicht sein, dass die Lohnerhöhungen allein durch die steigenden Kosten der Kopfpauschale aufgezehrt werden.

    Was erwarten Sie, wie hoch die Zusatzbeiträge in Zukunft steigen?

    Lauterbach: Wir werden innerhalb weniger Jahre Kopfpauschalen von 80 Euro erleben. Hätte die Regierung diese Reform schon 2007 gemacht, hätten wir bereits eine Kopfpauschale von 40 Euro. Das wird am Schluss die Rentner am stärksten belasten, weil sie von höheren Löhnen für Arbeitnehmer kaum profitieren werden. Geringverdiener und Rentner sind die größten Verlierer dieser Reform.

    Die Regierung will die Folgen der Zusatzbeiträge mit einem Sozialausgleich abfedern ...

    Lauterbach: Zunächst einmal wird der Sozialausgleich nicht über Steuern bezahlt, sondern aus den Beitragssätzen selbst. So bleiben die Arbeitnehmer auch auf diesen Kosten sitzen. Aber der Sozialausgleich ist ohnehin nur von symbolischem Wert: Zum Beispiel bekäme jemand, der 800 Euro im Monat verdient, bei 20 Euro Kopfpauschale vier Euro Sozialausgleich. Bereits bei einem Einkommen von 1000 Euro würde er gar nichts mehr bekommen. Weit mehr als 90 Prozent der Beitragszahler gehen leer aus.

    Wird die SPD, sollte sie im Bund wieder an die Regierung kommen, diese Reform rückgängig machen?

    Lauterbach: Es ist ganz klar, dass wir diese Form der einseitigen Belastung der Arbeitnehmer komplett rückgängig machen werden. Das gilt auch für die Grünen. Von dieser Reform wird nichts übrig bleiben, wenn wir wieder Verantwortung übernehmen. Dieses Gesetz ist so schlecht, dass wir nicht einmal Änderungsvorschläge einbringen werden. Ich glaube, dass die FDP mit Reformen dieser Qualität sich nicht lange an der Regierung halten kann.

    Was schlagen Sie vor, um die Kostenexplosion in den Griff zu bekommen?

    Lauterbach: Wenn die Kosten steigen, müssen auch die Einkommensstärksten in der Gesellschaft mehr herangezogen werden. Deshalb wollen wir das System der Bürgerversicherung und Privatversicherten, Gutverdiener und Bezieher von Kapitaleinkommen mehr an der Finanzierung des Systems beteiligen. Das würde auch ein Ende der Zwei-Klassen-Medizin bedeuten. Auf der Ausgabenseite ist insbesondere eine Begrenzung der Arzneimittelkosten notwendig. Wir haben in Deutschland die höchsten Arzneimittelpreise in Europa, obwohl wir der größte Abnehmer sind. Wir werden dafür sorgen, dass die Preise auf das europäische Durchschnittsniveau und darunter sinken. Das allein spart fünf bis zehn Milliarden Euro.

    Auch Gesundheitsminister Philipp Rösler will zwei Milliarden bei den Medikamentenausgaben einsparen ...

    Lauterbach: Herr Rösler will eine ganze Menge. Ich kann aber nur das bewerten, was er vorlegt. Und das ist ein Gesetz, das weitestgehend mit der Pharmalobby entwickelt und in Teilen von Vorschlägen der Industrie abgeschrieben wurde. Es ist eine völlig illusorische Annahme, dass es hier zu Einsparungen von zwei Milliarden Euro kommt. Im Moment steigen die Arzneimittelkosten ja besonders stark. Wenn Herr Rösler Glück hat, steigen sie etwas weniger.

    Worauf stützen Sie Ihren Vorwurf der Zwei-Klassen-Medizin?

    Lauterbach: Ein Arzt nimmt sich heute viel Zeit für den voll privat Versicherten und schleust denjenigen durch, der nur gesetzlich versichert ist. Wir bekommen aber zunehmend eine Drei-Klassen-Medizin in Deutschland. Die Verlierer sind vor allem die Menschen auf dem Land. Sie bezahlen hohe Beiträge, demnächst zusätzlich die Kopfpauschale, bekommen aber eine stetig schlechtere Versorgung, weil Hausärzte wegfallen, zum Teil auch Krankenhäuser. Insofern ist die Situation für Landbewohner doppelt schlecht: Es gibt eine Kostenlawine für schlechtere Versorgung.

    Wie wollen Sie das ändern?

    Lauterbach: Wir als SPD treten klar ein für die Verlängerung der Hausarztverträge, die zu einer besseren Honorierung in diesem Bereich führen. Das ist der einzige Weg, mehr junge Ärztinnen und Ärzte zum Beruf Hausarzt zu bewegen.

    Die Fragen stellte Michael Pohl.

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