Rückenoperationen wegen Bandscheibenproblemen, Wirbelverschleiß oder anderen Schmerzen zählen mit jährlich Hunderttausenden Eingriffen zu den häufigsten Operationen in Deutschland. Und oft zu den umstrittensten: Laut einer Studie der Techniker Kranklenkasse sollen 88 Prozent der Rücken-OPs überflüssig sein. In neun von zehn Fällen hätten Fachärzte aus dem Zweitmeinungsprogramm der Kasse Betroffenen von einer Operation abgeraten und meist lieber eine Physiotherapie empfohlen. Dennoch stieg die Zahl der jährlichen Rückenoperationen allein in den vergangenen 15 Jahren um über 50 Prozent auf rund 700.000.
Kaum ein Gesundheitsminister hat unnötigen Operationen so den Kampf angesagt, wie Karl Lauterbach. „Hunderttausende Menschen werden überflüssigerweise operiert, es wird viel gemacht, was nicht nötig ist“, kritisierte der SPD-Politiker, als er seine Krankenhausreformpläne vorstellte, die jetzt erstmals im Bundestag beraten werden. Ein Mittel zum Zweck, die Krankenhauslandschaft umzubauen, war für Lauterbach der Bundes-Klinik-Atlas. Mitte Mai stellte der Minister unter großem Medienecho das Internetportal ins Netz. „Mit dem Bundes-Klinik-Atlas bieten wir Patienten einen übersichtlichen Wegweiser durch den Krankenhaus-Dschungel in Deutschland“, versprach Lauterbach. „Verständliche Informationen über gute Krankenhausversorgung sind damit für alle zugänglich und nicht mehr nur das Privileg von wenigen.“
Mediziner klagen über Fehler in den Daten
Doch schon unmittelbar nach dem Start fiel der Wegweiser durch teils absurd falsche Zahlen auf. Medizinische Fachgesellschaften beklagten "völligen Unsinn" in den angezeigten Daten. Aus den Bundesländern, die mit Lauterbach im Streit um die Gesundheitsreform über Kreuz liegen, kam der Ruf nach einem sofortigen Abschalten des Portals.
Nun entschied sich Lauterbach zur Notoperation: Seit vergangener Woche ist im Klinik-Atlas nur noch ein winziger Bruchteil der Informationen abrufbar. Statt bislang einer freien Suche bietet die neue Version nur noch sieben Suchfelder, wie zum Beispiel „Krebs“, „Herz“, „Lunge“, „Neurologie“ oder „Knochen und Gelenke“. Statt zu vorher 23.000 verschiedenen Operationen gibt es nur noch zu 20 Eingriffen Angaben zur Behandlungshäufigkeit an Kliniken. Ausgerechnet Informationen zu Rückenoperationen sucht man jetzt vergeblich auf dem zusammengestutzten Portal. Der Vorsitzende der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, zeigte sich entsetzt und forderte, den Atlas abzuschalten: "Jetzt steht nichts drin, was den Suchenden weiterhilft." Und noch immer beklagen Kliniken, dass weiterhin falsche oder nicht nachvollziehbare Zahlen auftauchten.
Union fordert Aufklärung zum Fehlstart des Klinik-Atlas
Die Opposition sieht in dem Debakel eine Bankrotterklärung des Ministers. „Die verbliebene Schmalspurversion des Atlas als umfassendes Update zu verkaufen, grenzt an vorsätzliche Täuschung“, sagt der gesundheitspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Tino Sorge. Der CDU-Politiker wirft Lauterbach Pfusch vor und fordert Aufklärung über das Scheitern des Projekts: „Es wird höchste Zeit, dass jemand für diesen Fehlstart endlich Verantwortung übernimmt“, betont Sorge. „Wer hat entschieden, den Atlas auf dieser Datengrundlage ans Netz zu lassen?“
In einer unserer Redaktion vorliegenden Antwort auf eine Kleine Anfrage der Unions-Fraktion räumt das Gesundheitsministerium nun erstmals Fehler ein. Man habe für den Atlas unter anderem auf standardisierte Qualitätsberichte der Krankenhäuser zurückgegriffen. „Diese Datenquelle hat sich seit der Veröffentlichung des Bundes-Klinik-Atlas in Teilen als unzureichend herausgestellt“, heißt es. Hinweise von Kliniken, dass „Daten fehlerhaft oder nicht mehr aktuell sind, werden kurzfristig aufgegriffen.“ Zudem räumt Lauterbachs Haus ein, dass bis Anfang Juni größtenteils aus Kliniken 900 Beschwerden und Fragen zu möglicherweise falschen Daten eingegangen seien.
Karl Lauterbach steckte kaum Geld in das Klinik-Register
„900 Fehlerhinweise allein in den ersten drei Wochen sprechen Bände über die Qualität des Registers, das Karl Lauterbach als Teil seiner Qualitätsoffensive bezeichnet hat“, sagt CDU-Gesundheitsexperte Sorge. „Auf einen Probebetrieb im Vorfeld hat man im Bundesgesundheitsministerium offenbar bewusst verzichtet“, kritisiert er. „Bis ein fehlerfreier Betrieb einwandfrei gewährleistet werden kann, muss der Klinik-Atlas vom Netz“, fordert Sorge.
Sehr viel Geld hat Lauterbach nicht in das Projekt gesteckt. „Die Errichtung des Bundes-Klinik-Atlas hat bisher Kosten von rund 275.000 Euro verursacht“, heißt es in der Antwort des Ministeriums. Für eine Einrichtung einer Onlineseite für Millionen Nutzer und eine zuverlässige Analyse von Millionen an sensiblen Daten war es offenbar zu wenig.