Gerade wenn es um ihre medizinische Versorgung in den Arztpraxen und Krankenhäusern geht, schauen die Deutschen in eine ungewisse Zukunft angesichts der Altersentwicklung der Bevölkerung. Die Zahl der behandlungsbedürftigen Menschen im Seniorenalter wird in den kommenden Jahren deutlich steigen. Doch zugleich gehen immer mehr Ärztinnen und Ärzte in den Ruhestand. Vier von zehn niedergelassenen Ärzten sind bereits über 60 Jahre alt. Und die Jahrgänge, aus denen neues medizinisches Personal nachwächst, schrumpfen. Laut einer neuen Studie des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung fehlen schon jetzt jedes Jahr 2500 neue Mediziner von den Universitäten, um die Qualität der medizinischen Versorgung bis zum Jahr 2040 aufrechtzuerhalten.
Deutschland steht im Kampf um ausländische Ärzte im harten Wettbewerb
„Unsere Analyse zeigt, dass frühere Versäumnisse in der Ausbildung in den kommenden zehn Jahren nicht mehr aufzuholen sind“, sagt Institutschef Dominik von Stillfried. Zugleich stehe Deutschland beim Werben um ausländische Fachkräfte in einem sehr harten Konkurrenzkampf mit vielen anderen Ländern. „In ganz Europa zeichnet sich ein zunehmender Fachkräftemangel in der medizinischen Versorgung ab“, sagt der Institutschef. Es brauche dringend mehr Medizinstudienplätze.
„Wir stehen vor einem Kipppunkt und haben große Sorgen, dass die Versorgung der Menschen durch die Praxen perspektivisch wegbricht und dann nicht mehr regenerierbar ist“, warnte auch jüngst der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, im Petitionsausschuss des Bundestags. Gassens Organisation hatte zuvor eine Petition mit der Warnung vor einem „Praxiskollaps“ gestartet und binnen weniger Wochen mehr als eine halbe Million Unterstützer gesammelt. Das ambulante System werde seit Jahren kaputtgespart und leide unter immer mehr Bürokratie. Statt ausreichend Nachwuchs flüchteten immer mehr Ärzte aus dem System.
Lauterbach schiebt die Schuld auf seine Vorgänger
Minister Karl Lauterbach räumte in der Ausschusssitzung Fehler der Vergangenheit ein. Er schob sie auf seine Vorgänger, obwohl auch der SPD-Mann seit Jahrzehnten als Experte seiner Partei die Gesundheitspolitik an vielen Stellen entscheidend mitgeprägt hat. „Wir werden einen Arztmangel, wie es ihn jetzt schon bei Hausärzten gibt, bei fast allen Facharztgruppen haben“, warnte Lauterbach. Die Zahl der Medizinstudienplätze hätte schon seit Langem um 5000 pro Jahr erhöht werden müssen, wiederholte der Bundesminister seine Forderung an die Länder.
Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach ärgert sich über ihren Kollegen aus dem Bund. „Bundesgesundheitsminister Lauterbach kümmert sich zwar um die gefährliche Cannabis-Freigabe, aber nicht um wirklich wichtige Themen“, kritisiert die CSU-Politikerin. Sie kann darauf verweisen, dass Bayern so viele neue zusätzliche Studienplätze wie kein anderes Bundesland schafft.
Bayern schafft 2700 neue zusätzliche Medizinstudienplätze
In den kommenden fünf Jahren sollen 2700 zusätzliche Medizin-Studienplätze entstehen, davon allein 1500 an der neuen Uniklinik in Augsburg, sowie je 600 in Niederbayern und Oberfranken. Dagegen wartet Bayern wie andere Bundesländer bis heute darauf, dass der Bund seine Zusagen aus dem gemeinsamen „Masterplan Medizinstudium“ erfüllt, die bis 2020 versprochen waren. „Der Masterplan wurde vor mittlerweile sieben Jahren von Bund und Ländern beschlossen“, sagt Gerlach. „Dessen Herzstück ist die Reform der ärztlichen Ausbildung, die seither allerdings auf sich warten lässt.“ Obwohl alles beschlussfähig vorliege, verzögere der Minister den Beschluss des Bundeskabinetts und das Bundesratsverfahren. „Das ist nicht nachvollziehbar“, klagt sie.
CSU-Ministerin Gerlach fordert von Lauterbach Taten statt Ankündigungen
Die Länder ärgert, dass die Reform der Ausbildung mit einer neuen Approbationsordnung für die Arztzulassung die Kosten für jeden Studienplatz nach oben treiben könnte, offenbar, ohne dass der Bund mehr Mittel zur Verfügung stellen will. Ohne bundesweit zusätzliche Studienplätze könne die Versorgung aber nicht aufrechterhalten werden, warnt Ministerin Gerlach. „Bundesgesundheitsminister Lauterbach muss dieses strukturelle Problem jetzt angehen“, fordert sie. „Es braucht auch vom Bund Weichenstellungen für bessere Rahmenbedingungen.“
Doch Lauterbach verzettele sich in Ankündigungen, statt zu handeln, klagt Gerlach. „Die Liste der angekündigten, aber nicht umgesetzten Maßnahmen und Gesetze ist lang: die Regulierung der investorengetragenen medizinischen Versorgungszentren, Bürokratieabbau für die Praxen, Entbudgetierung für die Hausärzte, Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetze“, zählt sie zusätzlich zur neuen Approbationsordnung für Ärzte und der Umsetzung des Masterplans Medizinstudium auf. Lauterbach dürfe die eindringlichen Appelle der Ärzteschaft nicht länger ignorieren. „Die Zeit der Ankündigungen muss vorbei sein“, fordert Gerlach. „Nach rund zweieinhalb Jahren im Amt muss die Zeit des Umsetzens beginnen.“