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Gesellschaft: Willkommen im Lala-Schlechte-Laune-Land

Gesellschaft

Willkommen im Lala-Schlechte-Laune-Land

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    regierungsviertel
nacht
    regierungsviertel nacht Foto: Giso Bammel

    Auf der nach oben seit jeher offenen, deutschen Miesepeter-Skala geht es momentan scheint's nur in eine Richtung. Regierung nix, Wirtschaft nix, Preise hoch, Popp dagegen nicht – und selbst der Bundesflieger hebt nicht ab, was nicht einmal an den Klebern liegt, die derzeit mal wieder versuchen, München, Sylt, was auch immer lahmzulegen. Kurz: Die Stimmung könnte besser sein, zumal nun auch noch der Sommer schon wieder vorbei. 

    Von dem allgemeinen, selbst an der Fleischtheke festzustellenden Verdruss ("Ich war vor Ihnen dran!") profitieren in Umfragen scheint's nur die Populisten, also Parteien, die behaupten, dass früher alles besser war – selbst die Sommer. Und wenn man so will, hat also der seit Jahren grassierende Retro-Trend mittlerweile nicht nur die Straßenmode, sondern auch das politische Empfinden erreicht, wenngleich man beispielsweise einen Björn Höcke noch nicht in kackbrauner Adidas-Jacke gesehen hat. Doch war das so? War früher alles besser? 

    Naja, anders vielleicht, und ohne Zweifel sind die Probleme groß in dieser zumal postpandemisch, kriegs-, krisen- und kulturkampfmüden Gesellschaft. Man könnte auch sagen: "Wir leiden darunter, dass die Diskussionen bei uns bis zur Unkenntlichkeit verzerrt werden – teils ideologisiert, teils einfach idiotisiert." Stimmt. 

    Wer das allerdings gesagt hat, war Roman "the Ruck" Herzog, der damalige Bundespräsident vor gut einem Vierteljahrhundert. Denn damals, früher, klang auch nicht alles und war auch nicht alles zum Wohlfühlen (und wer heute etwa über die steigenden Bauzinsen klagt, frage mal bei seinen Eltern nach). Jedenfalls war diese Rede von 1997, die gewiss einige Schönheitsfehler hatte, nicht zuletzt, ausgerechnet in einem wiedereröffneten Berliner Luxushotel zu mehr Leistung einer- und mehr sozialer Mäßigung andererseits aufzurufen, als Weckruf gedacht. Und der scheint heutzutage plötzlich wieder umso lauter zu dröhnen.

    Die deutsche Wirtschaft stottert wieder

    Zeit für eine Relektüre also, denn wie eingangs geschrieben: Das alte, deutsche Erfolgsmodell (Flanke, Popp, Tor) scheint nicht mehr zu funktionieren, die Maschinenbauer meldeten diese Woche bedenkliche Zahlen, die sich in der Vergangenheit verdieselnd habende Autoindustrie wird nicht nur in China abgehängt und auch der Käsekonsum sinkt inflationsbedingt. Deutschland, eine Symphonie in Moll – so allerdings auch schon besagter Roman Herzog damals. Und vielleicht lohnt deswegen gerade der nicht verklärende Blick zurück heute ja ganz besonders. 

    Der Bundespräsident hatte seinerzeit jedenfalls politische Diskursmuster ausgemacht, die man mittlerweile fast schon als allgemeingültig ansehen kann. Punkt 1: "Am Anfang steht ein Vorschlag, der irgendeiner Interessengruppe Opfer abverlangen würde." Nachtigall, ick hör dir trapsen– man muss dabei gar nicht bis in die heimischen Heizungskeller steigen. Punkt 2: "Die Medien melden eine Welle kollektiver Empörung." Habeck, der norddeutsche Tor mit dem Heizhammer, fängt an zu wackeln. Punkt 3: "Spätestens jetzt springen die politischen Parteien auf das Thema auf, die einen dafür, die anderen dagegen." Und zwar unabhängig davon, ob man in einer Regierungskoalition steckt oder nicht. Punkt 4: "Die nächste Phase produziert ein Wirrwarr von Alternativvorschlägen und Aktionismen aller Art, bis hin zu Massendemonstrationen, Unterschriftensammlungen und zweifelhaften Blitzumfragen." Grüß Gott nach Erding. Punkt 5: "Es folgt allgemeine Unübersichtlichkeit, die Bürger werden verunsichert." Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Kaminkehrerbezirksmeister. Punkt 6: "Nunmehr erschallen von allen Seiten Appelle zur Besonnenheit." Is' ja gut, Herr Bundeskanzler. Punkt 7: "Am Ende steht meist die Vertagung des Problems. Der Status quo setzt sich durch. Alle warten auf das nächste Thema." Kindergrundsicherung? 

    So jedenfalls sprach Herzog, und wem das nun zu viel war und etwa gar nicht bekannt vorkommt, noch einmal etwas aufgedröselter und im historischen Kontext: Damals, auch das hat der Bundespräsident in seiner Rede benannt, gab es das Wort von der "deutschen Krankheit", das ursprünglich von dem Magazin Newsweek stammt und aus dem der Economist später den "kranken Mann Europas" machte. Es waren Zeiten mit hoher Arbeitslosigkeit und Staatsdefizit, es waren – was die Unionsparteien ja zu gerne verdrängen – eigentlich die Zeiten von Helmut Kohl. Aber: It's the Bimbes, stupid, und die Renten waren "sicher". 

    Ein Blüm macht allerdings noch keinen Sommer, und nur kurze Zeit danach musste sich ausgerechnet ein SPD-Kanzler in einem Hau-Ruck-Verfahren aus Trial and Error an den Umbau des Sozialstaats machen. Hartz IV und so, Sie wissen schon. Neben dem berühmten normativen Druck des Faktischen, der schieren ökonomischen Daten, übte aber auch die sogenannte Öffentlichkeit einen solchen aus: Bei "Christiansen" gaben sich die Industrie- und Arbeitgeberverbände die Mikros in die Hand, und der damalige Hauptstadtbürochef des Spiegel, Gabor Steingart, der heute irgendwas mit Medien macht und Schiffe vermietet, machte aus dem einstmals im Zweifel linken Magazin fast so etwas wie ein Verlautbarungsorgan des Bunds deutscher Familienunternehmer. Das war die Stimmung. Aber wie gesagt die Lage ja auch nicht unbedingt gut. Bis Schröder handelte, und bis heute haben sich die Sozialdemokraten davon – anders als lange Jahre das Land, der Weltgeist der Politik hat einen ausgeprägten Sinn für Ironie – nicht wirklich erholt. 

    Rational Choice? Eher Sankt Florian!

    Und wiederholt sich also nicht wieder was? Der nicht nur im Gegensatz zu ihm auf einem vermeintlich frisierten Mofa im Sauerland, sondern in ebendiesen 90er Jahren politisch sozialisierte CDU-Vorsitzende Friedrich Merz und vor allem sein neu installierter Generalsekretär Carsten Linnemann sprechen mittlerweile ja gar von Deutschland als krankem Mann nicht nur Europas, sondern der ganzen Welt (was nicht nur mit Blick auf einige andere Gegenden und jenseits deutscher Supermarkttheken einigermaßen obszön klingt), aber gut: Es ist das mitunter fleischhauerhafte Geschäft der Opposition. Gleichzeitig aber tönen und dröhnen auch die Medien, verstärkt durch ein Netz und die dortigen Kommentare, gegenüber denen ein klassischer Stammtisch eher einem therapeutischen Stuhlkreis gleicht. Es ist jedenfalls fast schon anrührend, dass ausgerechnet Mathias Döpfner dieser Tage angesichts der allgemeinen Lage und Abstiegsangst Medienschelte betrieb – hauen doch die Publikationen des Springer-Chefs in jede politische Kerbe, die sich nur bietet (und von Habecks "Heizhammer" hatten wir es ja schon).

    Doch es sind ja nicht nur die Medien, es sind ja auch wir alle, die wir irgendwie disparat in der Gegend rumstehen, rummeinen. So stehen beispielsweise in einigen Umfragen besagte Abstiegsängste ganz weit oben, während zugleich die eigene wirtschaftliche Lage noch als ganz gut angegeben wird. Phantomschmerzen? Das vielleicht nicht, aber eine ungute Gemengelage aus Gesehenem und Gefühltem, noch verstärkt von dem angesprochenen allgemeinen Getöse. 

    Überhaupt die Demoskopie, überhaupt Habeck. Der hat mal und auch damals schon in der Defensive gesagt, dass man ja nicht in die Regierung eingetreten sei, um beliebt zu werden. Echt jetzt? Beliebtheit ist vielleicht tatsächlich eher eine Kategorie, die man in irgendwelchen People-Magazinen, in der Gala oder Bunte verortet. Gleichwohl geht es in der Politik auch darum, für seine Positionen und um Mehrheiten zu werben. Das ist der Kern, das ist das Wesen. Also von Demokratie, nicht von Demoskopie. Und damit nochmals in die Vergangenheit, als es uns doch allen so unglaublich gut ging: Es ist immer mal wieder darüber berichtet worden, dass niemals zuvor so viele Umfragen in Auftrag gegeben wurden wie vom Bundeskanzleramt unter Angela Merkel. Und man kann wohl behaupten, dass das, was ihre Regierungen taten oder eben nicht, auch aus diesen Erhebungen fußten. Politik nach "Blitzumfragen" (noch einmal Roman Herzog) ist aber keine, widerspricht zumindest den Grundsätzen einer repräsentativen Demokratie – und das auch an alle nach mehr Volksabstimmungen schreienden AfD-Krakeeler.

    Eine Regierungsklausur in Meseberg räumt den Scherbenhaufen nicht auf

    Das Ergebnis jener Politik war jedenfalls, und wie wir heute wissen, eines der Versäumnisse. Denn, auch wenn man fair sein will und all die Krisen, die als Symptom unserer Zeit ja nicht mehr aufhören wollen und dessen Bewältigung unglaublich viele Ressourcen gebunden haben, miteinrechnet, so bleibt doch unterm Strich ein Land, das in gewinnsprudelnden Jahren seine Zukunft und die Investitionen darin vergessen hat. Aber wie gesagt: Wenn man nur auf Umfragen starrt, ist das nicht verwunderlich, wenn man als Wähler wiederum nur auf seinen eigen Vorteil beharrt, auch. Vornehm heißt das Rational-Choice, in Bayern würde man sagen: Sankt Florian. 

    Nun jedenfalls scheint der Scherbenhaufen groß, das Land auf Verschleiß und zugleich die Herausforderungen riesig. Und mit Verlaub: Eine Klausur in Meseberg wird diese nicht abräumen, wie überhaupt das Erscheinungsbild der jetzigen Regierung einiges zu wünschen übrig lässt, wenn also die Lisa dem Christian in aller Öffentlichkeit sein Schäufelchen wegnimmt, als handele es sich um Kindergarten denn Kabinett. Klar, in der Politik darf und muss es sogar Streit geben – gerade wir deutschen Wähler wollen das ja allerdings nicht so sehr – aber ein bisschen performative Professionalität darf es dann schon auch sein. Und nicht, wie der Vizekanzler diese Woche sagte, es sich immer permanent "selbst versauen". 

    Aber eigentlich versauen wir es uns ja alle selbst, wie vielleicht deutlich geworden ist. Alles schwarz? Wohl kaum. Alles so, wie Herzog damals, 1997 sagte? Ebenfalls. Dennoch: "Glauben wir wieder an uns selber. Die besten Jahre liegen noch vor uns." Zugegeben, man weiß nicht, ob man das glauben kann. Aber vielleicht ist es das Einzige, was wirklich alternativlos ist. Weil ansonsten auch völlig egal, wer dann als Letzter das Licht ausmacht. 

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