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Gesellschaft: Allein und anonym: Was die Pandemie mit Studierenden macht

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Allein und anonym: Was die Pandemie mit Studierenden macht

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    Studieren unter Conrona-Bedingungen ist schwierig. Experten verzeichnen eine starke Zunahme von Depressionen unter jungen Leuten.
    Studieren unter Conrona-Bedingungen ist schwierig. Experten verzeichnen eine starke Zunahme von Depressionen unter jungen Leuten. Foto: Franziska Gabbert, dpa

    Für viele junge Menschen ist es das Highlight ihres Studiums: Sie lernen an einer Uni oder Hochschule im Ausland neue Freunde und Kulturen kennen, und vieles über sich selbst. Laura Weiher, International-Management-Studentin an der Hochschule Augsburg, musste ihr Auslandssemester in Bordeaux nach nur zwei Monaten abbrechen – wegen Corona. Im August hatte das Semester noch mit Präsenzvorlesungen begonnen. Aber das änderte sich bald: "Nach zwei Monaten hatten wir einen Wechsel aus Online- und Präsenzvorlesungen, kurz darauf war alles online", sagt die 21-Jährige. Dann kamen weitere Einschränkungen: "Ich hätte mich nur noch anderthalb Kilometer von der Wohnung wegbewegen dürfen."

    Das Semester hätte nur noch in ihrer Wohnung stattfinden können, weshalb sie nach Hause zu ihren Eltern in Schwabmünchen bei Augsburg zurückkehrte. Weiher ist eine von vielen Studierenden, dessen Alltag sich durch die Pandemie grundlegend geändert hat. Was macht die Situation mit jungen Leuten, die mitten ihrer Entwicklungsphase ein großes Opfer bringen?

    Sozialwissenschaftler Hurrelmann: Junge Leute müssen sich ausleben können

    "Das ist eine Lebensphase, die man nicht mit denen davor und danach vergleichen kann. In dem Lebensabschnitt möchte man sich selbst finden", sagt Sozialwissenschaftler Prof. Klaus Hurrelmann. Der Schulabschluss, den Wechsel in die Ausbildung und später in den Beruf sei eine Umbruchsituation. "Da kommt man nur durch, wenn man sich ausprobieren kann und seine Fähigkeiten und Stärken austestet. Das ist in der Studentenbude mit dem Bildschirm vor der Nase nicht möglich." Das könne laut Hurrelmann zu vielen verschiedenen Beeinträchtigungen führen: Leistungen, Identitätsbildung, psychische Stabilität und der Körper könnten davon beeinträchtigt sein, dass junge Erwachsene sich nicht ausleben können, sondern sich künstlich zurückhalten müssen.

    Das hat Folgen für diese Altersgruppe: "Insgesamt haben sich die Raten klinisch relevanter Depressionen verdoppelt", berichtet Prof. Sabine Walper, Forschungsdirektorin beim Deutschen Jugendinstitut in München. Sie bezieht sich auf das Beziehungs- und Familienpanel Pairfam. Die Studie wird seit über zehn Jahren erhoben. Die Daten seien besonders repräsentativ, weil man wisse, wie es denselben Menschen im Vorjahr ging. Bei jungen Frauen gebe es fast eine Verdreifachung der Depressionen, sagt Walper. "Einsamkeit ist ein starker Faktor. Das betrifft nicht nur diejenigen, die sich sonst als eher verletzbar erweisen oder emotional instabil sind. Es sind dieses Mal auch die Jugendlichen, die sozial sehr aufgeschlossen und gesellig sind." Bei ihnen bestehe ein höheres Risiko, sich einsam und abgeschnitten von Freunden und Bekannten zu fühlen, und deshalb depressiv zu werden.

    Studium und Corona: Entschleunigung kann erst mal gut tun, aber dann...

    Walper beobachtet unterschiedliche Reaktionen auf die Pandemie. "Für einige ist die Entschleunigung, das Arbeiten von zuhause und die Videokonferenzen, erst mal eine Entlastung, aber deutlich mehr Menschen erleben mehr Belastung. Gerade für die, die ihr Studium hätten aufnehmen sollen und vielleicht schon ein Zimmer angemietet haben, ist die Situation erschwert."

    Damit Studierende untereinander leichter in Kontakt treten können, organisiert die Universität Augsburg eine Kontaktvermittlung: Prof. Markus Dresel, Vizepräsident für die Bereiche Lehre und Studium, berät sich in Workshops mit Studierenden einerseits über die Selbstorganisation des Studiums im Lockdown, aber auch über kontaktschaffende Angebote wie digitale Spieleabende oder Kontaktbörsen für Spaziergänge. Die Fachschaften würden viel organisieren. "Wenn es wieder geht, werden wir viele Präsenzveranstaltungen machen und Erstsemesterbegrüßungen nachholen", verspricht Uni-Präsidentin Prof. Sabine Doering-Manteuffel.

    Doch nicht nur die, die ihr Studium beginnen, beklagen Einsamkeit. Silvia Mikulic sieht ihre Kommilitonen nur noch in Lerntreffen via Video. Die 25-Jährige studiert Jura im sechsten Semester an der Uni Augsburg. "Das soziale Bedürfnis ist riesig", sagt sie. Deshalb sei sie froh, einen festen Kreis an Mitstudierenden zu haben, an die sie sich wenden kann. An den Klausuren zeigt sich besonders, wie sich Studieren verändert hat. Mikulic hat im Winter in Zivilrecht, Strafrecht und Öffentlichem Recht insgesamt drei Stück geschrieben, sie sind Teil der Zulassungsvoraussetzungen für das erste Staatsexamen. "Bei der ersten im Dezember gab es noch keine Maskenpflicht am Platz, aber das Konzept war gut ausgearbeitet. Es gab verschiedene Eingänge und einen Check-In-Schalter." Der Sitzplatz war vergeben, die Maske durfte man bei genug Lüftung abnehmen. "Es war sehr kalt. Ich habe so gefroren, dass es mir schwerfiel den Stift zu halten." Bei der dritten Klausur gab es schon wieder andere Regeln: Die Prüflinge mussten eine Maske am Platz tragen, sie konnten zwischen medizinischer und FFP2 wählen. Ihnen wurde zuvor geraten, in Skihosen zu kommen. "Man kann in den Räumen ja nicht heizen, wenn alles belüftet werden muss."

    Laura Weiher hat nach dem Auslandssemester ebenfalls Klausuren hinter sich: "Auf dem Campus wurden Zelte aufgebaut. Die waren belüftet und es war gut organisiert." Auch der Abstand konnte eingehalten werden. "Es war beheizt und wir haben nicht gefroren." Manche Klausuren fanden auch drinnen, in der Mensa statt.

    Die Hörsäle sind leer, Studieren findet fast nur noch vor dem Bildschirm statt.
    Die Hörsäle sind leer, Studieren findet fast nur noch vor dem Bildschirm statt. Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    Auch das Lernen hat sich verändert. Weiher hat vor allem Gruppenarbeiten, in Frankreich war das ein Problem: "Als wir uns noch treffen konnten, waren wir viel schneller und effizienter. Wenn man sich online trifft und einer im Auto sitzt oder nebenbei telefoniert, ist es schwer." Jetzt in Augsburg - Weiher absolviert ihr Schwerpunktsemester im Bereich Marketing - sei zumindest die Absprache einfacher. Generell sieht sie die Vorlesungssituation gelassen: "Inhaltlich geht nichts verloren, die Vorlesungen sind genauso aufgebaut wie vorher." Das Online-Studium hat auch zu neuen Methoden geführt: "Manche Dozenten zeichnen die Vorlesungen auf und laden sie in unser Online-Portal hoch, sodass sie sich jeder anschauen kann." So sei sie flexibler und könne ihr Wissen vor Prüfungen noch einmal auffrischen.

    Sie geben den Traum vom Highlight im Studium nicht auf

    Silvia Mikulic hat andere Erfahrungen: Die meisten Lehrveranstaltungen sind Podcasts zum Herunterladen. "Es werden Folien eingeblendet und dazu trägt ein Professor oder wissenschaftlicher Mitarbeiter den Inhalt vor." Die Folien würden oft nur abgelesen – die Studierenden könnten keine direkten Rückfragen stellen. Ab und an gebe es Video-Sprechstunden, in denen man offene Fragen ansprechen kann. Aber unterm Strich sei der Austausch erschwert. "Früher haben wir uns in Diskussionen ausgetauscht, jetzt ist vieles Eigenarbeit."

    Studieren hat sich also deutlich verändert. "Man ist in vielen Bereichen auf sich allein gestellt. Das Jurastudium lebt von Diskussionen und vom Austausch, das fällt weg", beklagt Mikulic. Das gelte sowohl für die Vorlesungen als auch für den Austausch untereinander danach. "Das Studium ist anonym geworden", bilanziert Weiher.Gerade das Besondere an der Studienzeit würden einem genommen. Wie es ist, wenn das Auslandssemester nur auf dem Bildschirm stattfindet, erlebt sie jetzt von der anderen Seite: "Wir haben auch Studenten aus Italien, Spanien und China, die Diskussionen und Gruppenarbeiten finden nur virtuell statt." Ein Kommilitone aus

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