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Georgien: Protest gegen Regierungskurs: „Was hat uns Russland anderes gebracht als Krieg?“

Georgien

Protest gegen Regierungskurs: „Was hat uns Russland anderes gebracht als Krieg?“

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    Die Proteste gegen das "russische Gesetz" und die Regierung in Tiflis gehen trotz großer Präsenz der Sicherheitskräfte weiter: Eine Frau mit einer georgischen National- und einer EU-Fahne steht vor Polizisten, die eine Straße blockieren.
    Die Proteste gegen das "russische Gesetz" und die Regierung in Tiflis gehen trotz großer Präsenz der Sicherheitskräfte weiter: Eine Frau mit einer georgischen National- und einer EU-Fahne steht vor Polizisten, die eine Straße blockieren. Foto: Zurab Tsertsvadze, AP, dpa

    Ein sanfter Regen setzt ein und die Demonstranten hüllen sich in ihre mitgebrachten EU- und Georgien-Flaggen. Tausende Menschen sind wieder vor das Parlament in der georgischen Hauptstadt Tiflis geströmt; junge Menschen wie die 19-jährige Politikstudentin Ani. Auf ihrem Plakat steht: „Fuck Russia.“ Jeden Tag komme sie hierher, erzählt sie, „weil meine Zukunft Europa ist“. Eine Zukunft, die auf dem Spiel steht, seit die georgische Regierung ein Gesetz ins Spiel gebracht hat, das Kritiker für unvereinbar mit EU-Werten halten. 

    Trotz der wochenlangen Massenproteste hat das Parlament das Gesetz „über die Transparenz ausländischer Einflussnahme“ verabschiedet. Es sieht vor, dass sich Organisationen, die überwiegend aus dem Ausland finanziert werden, als Interessensvertreter einer ausländischen Macht registrieren müssen. Dies betrifft so gut wie alle NGOs in Georgien – in der kleinen Kaukasusrepublik gibt es praktisch keine Ressourcen, um die Zivilgesellschaft ohne Hilfe von außen zu fördern. Auf den Straßen von Tiflis nennen sie das Gesetz das „russische Gesetz“ – in Anlehnung an das in Russland seit über zehn Jahren geltende Agentengesetz, mit dem der Kreml kritische

    Gegner des Gesetzes fürchten Repressionen und willkürliche Festnahmen

    Eine „Attacke auf die Zivilgesellschaft“ sei das, sagt Irakli Khvadagiani von der Organisation „Sovlab“. Er öffnet die Tür zu seinem Büro, in dem sowjetische Propagandaplakate und ein Gemälde einer schreienden Frau in den Farben der Ukraine hängen. Sovlab betreibt Aufklärung und Forschung zur Unterdrückung in der Sowjetzeit – Themen, die die georgische Regierung lieber unangerührt lassen will. Khvadagiani ist sich sicher: Die Registrierung als Interessensvertreter sei nur der Anfang. Als Nächstes folgten „wie in Russland dann Razzien und Sabotage. Denn genau dafür ist das Gesetz konzipiert“. Bereits jetzt würden Aktivisten schikaniert. Khvadagiani berichtet von willkürlichen Festnahmen und Droh-Anrufen bei Familienangehörigen seiner Mitarbeiter. Er ist sich sicher: Sollte das Gesetz nicht gekippt werden, wäre es das Ende von Sovlab und vielen anderen Organisationen. 

    Doch für Khvadagiani und die Menschen auf den Straßen geht es längst nicht mehr nur um NGOs. Es geht um die Zukunft Georgiens. Die Menschen in der ehemaligen Sowjet-Republik wollen sich endlich aus dem Griff Moskaus lösen. Seit Dezember ist Georgien offiziell Beitrittskandidat der EU, die Hoffnungen von laut Umfragen 80 Prozent der Bevölkerung haben seitdem eine Perspektive bekommen. Da ist es nicht verwunderlich, dass viele Georgierinnen und Georgier jetzt darauf setzen, dass aus Brüssel und aus den Hauptstädten der wichtigsten EU-Mitgliedsländer klare Worte der Unterstützung für ihre Proteste kommen. 

    Vieles spricht dafür, dass die Regierung den Weg nach Europa verlassen hat

    Doch nun fürchten viele, dass Georgiens Regierung den europäischen Weg überhaupt nicht einschlagen will – weil die dafür nötigen Reformen die Macht und Einkommen der Polit-Elite gefährden. Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ wird im Hintergrund vom Oligarchen Bidsina Iwanischwili gelenkt, den manche den „Besitzer des Landes“ nennen. Iwanischwili wurde mit Geschäften in Russland reich, ist gut mit Moskau vernetzt – und möchte beides bleiben. Die EU befindet sich nun im Dilemma. EU-Vertreter haben das Gesetz ein Hindernis für einen Beitritt Georgiens genannt und die Regierung aufgefordert, es zurückzunehmen. Bliebe Brüssel konsequent, müsse es Georgien die Türe erst einmal wieder verschließen. Doch damit würde sie die Bevölkerung massiv enttäuschen – und Russland in die Hände spielen. 

    Der Milliardär Bidzina Iwanischwili hat das letzte Wort bei der Regierungspartei Georgischer Traum. Seine Gegner werfen ihm vor, eine enge Bindung an Moskau zu suchen.
    Der Milliardär Bidzina Iwanischwili hat das letzte Wort bei der Regierungspartei Georgischer Traum. Seine Gegner werfen ihm vor, eine enge Bindung an Moskau zu suchen. Foto: Shakh Aivazov, AP, dpa

    Offiziell will Georgiens Regierung lediglich die Einflussnahme aus dem Ausland besser kontrollieren – und verweist auf ähnliche Gesetze in Europa und den USA. Doch dieser Vergleich sei absolut unzulässig, sagt Ekaterina Metreveli, Direktorin des georgischen Think-Tanks „Rondeli Foundation“. Denn Gesetze wie der „Foreign Agents Registration Act“ in den

    Noch immer hält Russland 20 Prozent des Landes besetzt

    Offiziell sprechen Iwanischwili und Regierungspolitiker immer von Neutralität. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine vermied Georgien Schritte, die Moskau provozieren könnten – beteiligte sich nicht an den Sanktionen und baute den Handel mit Russland aus – obwohl die Bevölkerung sich mit überwältigender Mehrheit mit der Ukraine solidarisiert. Seit dem georgisch-russischen Krieg 2008 um die abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien sind zwanzig Prozent des Landes von russischen Truppen besetzt – ein Konfliktherd, den Moskau jederzeit aufflammen lassen könnte. 

    Der „Georgische Traum“ hat viele Anhänger gewonnen durch einen nationalistischen Ton, wonach Georgien souverän sein müsse, sich weder zu Russland noch klar zum europäischen Liberalismus zu bekennen. Doch die Möglichkeit, keine Seite zu wählen, sei Illusion, sagt Analystin Metreveli: „Neutralität bedeutet im georgischen Kontext automatisch die russische Einflusszone.“ 

    Die Regierung strebt die Kontrolle der Justiz an

    An dem Ziel einer EU-Mitgliedschaft bis 2030 hält Iwanischwili offiziell fest. Gleichzeitig baute die Regierung durch autoritäre Maßnahmen wie Kontrolle der Justiz seine Macht aus. Zusätzlich schürt der Georgische Traum – mit Schützenhilfe russischer Propaganda – in der konservativen, christlich-orthodoxen Gesellschaft erfolgreich Ressentiments vor sexuellen Minderheiten und einem dekadenten Westen. 

    Im Herbst stehen Parlamentswahlen an – einerseits kann Iwanischwili durch das NGO-Gesetz nun leichter kritische Stimmen marginalisieren. Andererseits könnten die Wähler die Regierungspartei dann abstrafen, und damit den Kurs korrigieren. Bis dahin gelte es durch Präsenz auf der Straße „sicherzustellen, dass die Leute noch an die Wahl glauben, dass nicht der Nihilismus überhandnimmt.“ 

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