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Genf: Wie neutral verhält sich die Schweiz im Ukraine-Krieg?

Genf

Wie neutral verhält sich die Schweiz im Ukraine-Krieg?

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    Die Übernahme von Sanktionen sei neutral, eine Waffenlieferung an die Ukraine sei es nicht. Die Neutralität der Schweiz wird auch von der eigenen Bevölkerung kritisiert.
    Die Übernahme von Sanktionen sei neutral, eine Waffenlieferung an die Ukraine sei es nicht. Die Neutralität der Schweiz wird auch von der eigenen Bevölkerung kritisiert. Foto: Patrick Seeger, dpa

    Die Neutralität gehört zu den tragenden politischen Säulen der Schweiz. Sie gilt als Teil der helvetischen Identität und erlaubt es dem Land in der Mitte Europas, sich aus Konflikten stärker herauszuhalten als andere Staaten. Besonders Politiker der rechtsnationalen Schweizerischen Volkspartei verklären und überhöhen die Neutralität als noble Tugend, zu der im Prinzip nur die wackeren Eidgenossen fähig sind. „Die Schweizer Neutralität ist ein wesentlicher Schutz unserer Sicherheit“, doziert Christoph Blocher, Übervater der SVP.

    Russlands Überfall auf die Ukraine bringt die Neutralität ins Wanken

    Einen Schritt weiter geht der SVP-Publizist und Abgeordnete Roger Köppel. Er schrieb für die Neue Zürcher Zeitung: „Die Welt braucht eine neutrale Schweiz.“ Köppel belehrte seine Leser: „Neutralität erfordert Kraft und Festigkeit.“ Die Eidgenössische Technische Hochschule in Zürich bringt das Konzept auf den Punkt: „Eine Macht ist neutral, wenn sie in einem Krieg nicht Partei ergreift.“

    Doch Russlands militärischer Überfall auf die Ukraine, die Grausamkeiten und Kriegsverbrechen der Kremltruppen, bringen die Schweizer Neutralität ins Wanken. Erwähnung fand die Neutralität schon 1647 in Dokumenten der Tagsatzung, der Versammlung der Schweizer Orte. Der Wiener Kongress erkannte das Konzept 1815 international an. Und die Schweiz ist Vertragsstaat des Haager Abkommens von 1907 über Rechte und Pflichten der Neutralen. Doch passt das Konzept in eine neue Ära der Konfrontation, die Russlands Präsident Wladimir Putin mit Gewalt begann? Immerhin schloss sich die Schweiz den harten Sanktionen der EU gegen Russland an.

    Der Bundespräsident der Schweiz Ignazio Cassis steht hinter den Sanktionen gegen Russland, lehnt aber Waffenlieferungen an die Ukraine ab.
    Der Bundespräsident der Schweiz Ignazio Cassis steht hinter den Sanktionen gegen Russland, lehnt aber Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Foto: Andrew Medichini, AP, dpa

    Die Regierung muss die Strafmaßnahmen gegen Kritiker wie SVP-Mann Blocher verteidigen, die darin eine Aufweichung der Neutralität sehen. „Die Übernahme von Sanktionen ist voll und ganz mit unserer Neutralität kompatibel“, betont Bundespräsident Ignazio Cassis. „Neutralität bedeutet nicht, dass wir eine krasse Verletzung des Völkerrechts nicht verurteilen können.“ Helvetiens Regierung, der Bundesrat, will es aber bei den Sanktionen bewenden lassen.

    52 Prozent der Schweizer fordern, Unparteilichkeit zu überdenken

    Der Bundesrat sieht keinen Anlass, eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union anzustreben. Die wohlhabenden Schweizer zieht es traditionell nicht in den Brüsseler Club, in dem sie zu den Nettozahlern gehören würden. Schon gar nicht denkt der Bundesrat daran, einen Aufnahmeantrag für das westliche Militärbündnis Nato zu stellen. Verteidigungsministerin Viola Amherd erklärte kurz und bündig: Ein Nato-Beitritt der Eidgenossen sei „kein Thema“. Wegen der Neutralität.

    In der Bevölkerung mehren sich aber die Forderungen, das Konzept der Unparteilichkeit zu überdenken. Laut einer Umfrage der Tamedia befürworten 52 Prozent der Interviewten eine Beteiligung der Eidgenossenschaft an der Europäischen Verteidigungsunion. Noch 2021 wollten mehr als 90 Prozent der Bevölkerung grundsätzlich an der selbstgewählten, dauernden und bewaffneten Neutralität festhalten. „Putins Krieg verschiebt die politischen Parameter, international, aber auch in der Schweiz“, erklärt der Politologe Fabio Wasserfallen.

    Weiter fachte der Parteichef der „Mitte“, Gerhard Pfister, die Debatte an. Pfister verlangt, Munition aus Schweizer Produktion über Deutschland in die Ukraine zu liefern. Die Mitte ist Regierungspartei, früher hieß sie Christlichdemokratische Volkspartei. Da die Schweizer Regierung die Lieferung der Munition untersage, sei sie verantwortlich für „unterlassene Hilfe“. Pfister erhält Rückendeckung nicht nur in seiner Partei, sondern auch in den Medien. In den Zeitungen des Verbundes CH-Media heißt es über die Schweizer und ihre Neutralität: „Sie verleitet uns kollektiv dazu, den Lauf der Dinge vom warmen Stubensofa aus seltsam entrückt mitzuverfolgen.“ Die Südostschweiz urteilt noch härter: Die Schweiz sei „anfällig für eine gewisse Portion Feigheit“.

    Thema Waffenlieferung: Schweiz verweist auf das Haager Übereinkommen

    Auslöser der Forderungen Pfisters ist Deutschlands Entschluss, der Ukraine Flugabwehrpanzer vom Typ Gepard zu liefern. Da die Bundesregierung die Ukrainer auch mit Munition versorgen will, gingen zwei deutsche Anfragen beim Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ein. Es ging um die Weitergabe von Munition an die Ukraine, die Deutschland zuvor aus der Schweiz erhalten hatte.

    Die Anfragen seien mit Verweis auf die Schweizer Neutralität und die „zwingenden Ablehnungskriterien der Schweizer Kriegsmaterialgesetzgebung“ abschlägig beantwortet worden, stellte das Seco gegenüber dieser Zeitung klar. Deutschland habe sich verpflichtet, das aus der Schweiz erhaltene Kriegsmaterial nicht ohne das vorherige Einverständnis der Eidgenossen weiterzugeben. Mit anderen Worten: Bern verfügt über ein Veto.

    Als rechtliche Grundlage seines Neins nennt Bern das Haager Übereinkommen von 1907. Danach muss ein neutraler Staat eine Gleichbehandlung der Kriegführenden beim Rüstungsexport sicherstellen. Insofern dürfe die Eidgenossenschaft nicht einseitig die Lieferung von Munition oder anderem Kriegsgerät an die Ukraine ermöglichen. Tatsächlich hat die Schweiz nach Regierungs-Auskunft „seit Jahren“ keine Waffenexporte in die Ukraine oder Russland bewilligt. Das gültige Haager Gebot führte Bundespräsident Cassis schon im März ins Feld. Polens Regierung forderte von der Schweiz Waffen, die Warschau in die Ukraine leiten wollte. Cassis lehnte höflich ab: „Neutralität heißt aber, dass wir keine Waffen liefern können.“

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