Gendern ist in Frankreich wie auch in Deutschland immer wieder ein Streitthema. Diskutiert wird, ob – und wenn ja, wie – die männlichen Formen in der Sprache durch weiter gefasste Begriffe ersetzt werden können oder sollten – um zum Beispiel Frauen offensiver einzubeziehen. Die Rolle des Sterns übernimmt im Französischen ein Punkt, der es ermöglichen soll, Worte so zu schreiben, dass sie gleichzeitig die männliche und die weibliche Form einer Bezeichnung sichtbar machen. So ließe sich mit „un·e ami·e“ eine Freundin wie auch ein Freund bezeichnen.
2021 hatte der Bildungsminister inklusive Sprache an Schulen verboten. Nun zog der von den Konservativen beherrschte Senat nach und verbot das Gendern in allen offiziellen Dokumenten. Die mächtige „Academie française” als Hüterin der französischen Sprache spricht sich ebenfalls strikt gegen neue gendergerechte Formen aus.
Macron plädiert für Vielfalt und Modernität in der französischen Sprache - und gegen das Gendern
Einer der prominentesten Gegner des Genderns ist Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Allerdings plädiert er zugleich für Vielfalt und Modernität in der französischen Sprache. „Wir müssen dieser Sprache erlauben, zu leben, sich inspirieren zu lassen und Worte am anderen Ende der Welt zu stehlen“, sagte Macron jüngst.
Aber man müsse nicht dem Zeitgeist nachgeben. „Das Maskulinum ist das Neutrum, man muss keine Punkte in die Mitte der Wörter setzen oder Bindestriche oder andere Dinge, um sie lesbar zu machen“, so die Haltung des Präsidenten. Die französische Sprache hält noch weitaus mehr Fallstricke bereit als die deutsche Sprache. Es müssten auch Adjektive und Verben an die weibliche Form angepasst werden. Versucht wurde, das genderneutrale Pronomen yel/iel einzuführen, anstelle des „la“ oder „le“.
Wie in anderen Ländern auch verläuft die Front zwischen Gegnern und Befürwortern keineswegs klar entlang der Geschlechtergrenze. Als Édith Cresson 1991 zur ersten Premierministerin Frankreichs gewählt wurde, bestand sie auf die Anrede Madame le Premier Ministre anstelle von Madame la Première Ministre.
Gerade für viele Österreicherinnen und Österreicher der älteren Generationen – aber nicht nur – ist es ein Reizthema, bei dem die Emotionen hochkochen. Dass das Thema Gendern auch im längst laufenden Nationalratswahlkampf eine nicht unbedeutende Rolle spielen wird, dafür sorgen fast alle Parteien, allen voran aber die extrem rechte FPÖ: Deren Parteichef Herbert Kickl hetzte in seiner Rede am vergangenen Politischen Aschermittwoch auch auf die „Genderwissenschaften“ an den Universitäten.
Deren Studierende bezeichnete der FPÖ-Chef als „arbeitsscheu“ – Kickl, der auch sonst in seiner Rede nicht mit frauenfeindlichen Ansagen sparte, hält, wo immer möglich, das Thema am Kochen. Im Ringen um Wähler lässt aber auch ÖVP-Kanzler Karl Nehammer das Thema Gendern nicht aus. Geht es nach ihm, sollen künftig in Amtstexten und auch in wissenschaftlichen Arbeiten keine Symbole wie Gendersternchen, Doppelpunkte oder Varianten wie das Binnen-I mehr verwendet werden dürfen. Stattdessen sollen Behörden, aber auch Universitäten angehalten werden, das Verwenden von beiden Geschlechtern zu empfehlen.
Alma Zadic verfasste einen Gesetzestext in weiblicher Form
Nehammers Interesse am Gender-Thema kann nicht nur im Kontext des Wahlkampfs und dem Ringen um FPÖ-Stimmen, sondern auch als Reaktion auf die grüne Justizministerin Alma Zadic gesehen werden. Diese hatte im vergangenen Sommer einen Gesetzestext auf den Weg gebracht, in dem nur die weibliche Form verwendet wurde. In Deutschland war ein ähnlicher Gesetzestext gekippt worden – die Kanzlerpartei ÖVP stimmte jedoch für Zadic‘ Vorschlag. In der Auseinandersetzung mit der in Umfragen führenden FPÖ weiß Nehammer nun aber: Am Kulturkampf-Thema Gendern führt kein Weg vorbei.
Das frühere Macholand Spanien wurde unter dem seit fast sechs Jahren regierenden sozialdemokratischen Premier Pedro Sánchez zum europäischen Vorreiter in Sachen Gleichstellungspolitik. Doch der geschlechtergerechte Wortgebrauch gefällt auch im Schrittmacherland Spanien nicht allen. Vor allem die Rechtsaußenpartei Vox, die in einigen spanischen Regionen und Rathäusern zusammen mit der konservativen Volkspartei regiert, hat dem Gendern regelrecht den Krieg erklärt. Im nationalen Parlament ist die Partei drittstärkste Fraktion. Die Ultrarechten wollen die geschlechtergerechte Sprache nun verbieten lassen. Das Argument: Das Gendern sei aus ideologischen Gründen eingeführt worden und entspreche nicht der Sprachtradition der Spanier.
Santiago Abascal möchte Gesetze für LGBTQ-Rechte abschaffen
Vox-Chef Santiago Abascal macht kein Geheimnis daraus, dass er insgesamt von Gleichberechtigung wenig hält. Er findet, dass Frauen sich vor allem der Küche und dem Kinderkriegen widmen sollten. Und dass Gesetze, welche die Rechte von LGBTQ-Menschen garantieren, abgeschafft werden müssten. Wo Vox mitregiert, wird die Gleichstellungspolitik zurückgefahren – wie etwa auf Mallorca geschehen.
Doch auch Spaniens angesehene „Königliche Sprachakademie”, oberste Hüterin des korrekten Wortgebrauchs, stemmt sich gegen eine Veränderung der Sprache. Gerade erklärten die Gelehrten der Akademie: „Man erreicht keine Fortschritte in der Gleichberechtigung, indem man die Grammatik und den Wortschatz auf künstliche Weise verrenkt.” Damit reagierte die Akademie auf konkrete „Empfehlungen für den nicht sexistischen Gebrauch der Sprache“, die das Präsidium des spanischen Parlaments erarbeitete und einstimmig verabschiedete. Darin wird den Angestellten des hohen Hauses nahegelegt, bei der Erarbeitung von parlamentarischen Dokumenten auf eine möglichst geschlechtsneutrale Wortwahl zu achten.
Richtlinien der „Königliche Sprachakademie” sollen maskuline Substantive für Gruppen vermeiden
Laut dieser Richtlinie soll zum Beispiel die Verwendung maskuliner Substantive zur Bezeichnung von Gruppen vermieden werden. Ein Beispiel: Statt von Bürgern sollte man lieber von „Bürgerschaft“ oder von „Bürgerinnen und Bürgern“ reden. Oder wenn es generell um Ärzte gehe, dann sei der Ausdruck „medizinisches Personal“ oder „Ärztinnen und Ärzte“ vorzuziehen. Spaniens Sprachwächtern geht auch das zu weit. „Die Verwendung maskuliner Substantive beinhaltet keinerlei sexistische Diskriminierung“, sagen sie. Die sich ausbreitenden geschlechtsneutralen Hilfskonstruktionen seien lediglich ein sprachliches Hindernis, das die Erstellung und Lektüre von Texten unnötig erschwere.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die „Königliche Akademie“ eine Institution der Männer ist. Nur langsam erhalten Frauen Zutritt zu dem Gremium. Eine von ihnen ist die 68 Jahre alte Schriftstellerin Clara Sánchez, die 2023 in die Akademie aufgenommen wurde. Sie fühle sich geehrt, dass sie in diese „Institution der Herren“ eintreten durfte. Sánchez sagt aber auch: „Inklusive Sprache ist etwas, das angegangen werden muss, weil es ein soziales Anliegen ist und zu den Dingen gehört, die uns die Zeit bringt. Die Sprache darf nicht verknöchern.“
In Großbritannien stehen voraussichtlich im Herbst landesweite Wahlen an, und die regierende Tory-Partei liegt in den Umfragen weit hinten. Konnte Ex-Premier Boris Johnson die Wähler 2019 noch mit dem Versprechen, den Brexit durchzuboxen, dazu bewegen, ihr Kreuz bei den Konservativen zu machen, muss die Partei nun andere Themen finden, um die Briten zu überzeugen.
Vertreter des rechten Parteiflügels versuchten deshalb insbesondere im vergangenen Jahr, Wähler durch „Kulturkampf“-Themen zu mobilisieren. Die englische Sprache bietet hierfür allerdings nur wenig Potenzial – viele Worte sind ohnehin geschlechtsneutral. Der Streit wird deshalb weiter gefasst: Welche Rechte haben Transgender-Personen? Kann jeder Mensch selbst seine Geschlechtsidentität bestimmen? Die britische Regierung blockierte im vergangenen Jahr sogar ein schottisches Gesetz, das Transsexuellen die Geschlechtsänderung per Selbstdeklaration hätte ermöglichen sollen.
Die Tory-Partei zählt Kulturkampf nicht zu Hauptaufgaben Großbritanniens
Im Gegensatz zur Labour-Partei, die einer „extremistischen Gender-Ideologie“ anhänge, setzten die Konservativen auf „gesunden Menschenverstand“, so die Argumentation. Diese Strategie verfängt nicht wirklich, zumindest nicht in der Breite. Deshalb konzentriert sich die Tory-Partei inzwischen vor allem auf wirtschaftliche Themen – und behauptet im Gegensatz zu Labour, eine langfristige Strategie zu haben. Der Grund: Kulturkampf und „Wokeness“ werden zwar auch in Großbritannien zunehmend als spaltend empfunden, gehören aber im Gegensatz zu den steigenden Lebenshaltungskosten oder dem maroden Gesundheitssystem längst nicht zu den Hauptsorgen der Briten, wie Umfragen zeigen.
Unter anderem, um der rechten Reformpartei etwas entgegenzusetzen, führt die Tory-Partei einen Kampf jedoch weiter: den um das Asylrecht und den Umgang mit illegalen Einwanderern. Schließlich plädieren Teile der Partei für eine härtere Gangart und weniger Einfluss des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Großbritannien. Premierminister Rishi Sunak verspricht weiterhin, Flüchtlinge auf dem schnellsten Weg nach Ruanda abzuschieben – trotz der Bedenken von Menschenrechtlern und entgegen dem Urteil des Obersten Gerichtshofs. Laut der britischen Journalistin Rachel Cunliffe setzen die Tories damit auf eine Strategie, die den wirtschaftlichen Aufschwung in den Vordergrund stellt, aber von einem Kulturkampf überlagert wird – „um dem Ganzen einen Anti-Woke-Geschmack zu verleihen“.